Marken-Raritäten Briefmarken für den Geldbeutel

Als Kapitalanlage eignen sich Postwertzeichen nur bedingt. Raritäten aber garantieren Wertbeständigkeit.

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Der 41-jährige Sparkassenbetriebswirt aus Düsseldorf ist müde. Zwei Nächte hat er sich um die Ohren geschlagen, um die vielen Briefmarken, die er von seinem Großvater geerbt hat, zu sichten. Doch die Mühe sollte sich gelohnt haben. Denn der Abgleich Tausender Marken – darunter komplette Sätze aus den Sammelgebieten Deutsches Reich, DDR und BRD – mit den Wertangaben im Michel-Katalog, der Philatelisten-Bibel schlechthin, summieren sich auf gut 15.000 Euro. Ein stolzes Sümmchen, denkt der Mann. Also mal hören, was der Briefmarkenhändler in Düsseldorf dazu meint. Doch der stellt dem Nachtarbeiter statt der erwarteten fünfstelligen Summe höchstens 1500 Euro in Aussicht. Nein, kein Hörfehler, sondern bittere Realität.

Irreführende Katalogpreise

So wie dem Sparkassen-Banker geht es vielen, die eine 08/15-Briefmarkensammlung erben und den Katalogwert Tausender Marken von jeweils 50 Cent bis zwei Euro einfach aufsummieren. Ihre philatelistischen Miniaturgrafiken lassen sich beim professionellen Briefmarkenhändler oft nur für ein Zehntel des im Michel-Katalog angegebenen Preises versilbern, wenn überhaupt ein Preis genannt wird. Manch einer wähnt sich gar in einer Metzgerei, wenn der Händler nur einen Kilopreis bietet, weil sich für ihn Lagerung und Wiederverkauf vieler Einzelstücke mit geringem Wert nicht lohnen.

Zackige Preise - Wie wertvoll Briefmarken werden können

Das Problem: Sammler haben oft das Bestreben, ein Gebiet möglichst vollständig abzudecken. Die Sammlung beginnt dann meist mit den preiswerten Stücken und füllt sich nur langsam im höheren Preissegment. Die teuersten Stücke fehlen dann oft. Solche Sammlungen gibt es viele, und sie sind mangels Raritäten nicht besonders viel wert.

Standardware ist als Kapitalanlage untauglich. So seien nur etwa 15 Prozent von etwa 4000 deutschen Marken überhaupt anlagetauglich, schätzt Gerd Bennewirtz, Chef der Vermögensverwaltung SJB aus Korschenbroich. Bennewirtz ist einer der bekanntesten Sammler deutscher Marken und Kenner der Szene. Anleger sollten auf Massenware also verzichten. Als Faustregel gilt: Je höherwertiger, seltener, nachgefragter und besser erhalten die Stücke sind, umso interessierter werden auch Händler sein. Briefmarken mit einer geringen Auflage von ein paar Hundert Stück, die an ein historisches Ereignis anknüpfen oder eine besondere Geschichte erzählen, sind auch gegen den allgemeinen Sammlerschwund resistenter. Der vom Händler gebotene Ankaufspreis kann dann tatsächlich an den Katalogpreis heranreichen oder diesen möglicherweise gar übertreffen. Wer Glück hat, findet vielleicht doch ein wertvolles Exemplar in Opas Sammlung. Ein Abgleich mit dem Michel-Katalog bietet eine erstes Indiz. Und selbst wenn finanziell nichts zu holen sein sollte, das Stöbern in alten Marken bietet zumindest eine historische Zeitreise zum Nulltarif.

Dunkelblauer Heinemann



Doch auch Briefmarken sind keine spekulationsfreie Zone. Selbst bei hohen Auflagen kommt es manchmal zu einem Run auf einzelne Sammelgebiete oder Marken mit entsprechend starken Preisanstiegen. Passiert ist das etwa beim deutschen Posthornsatz von 1951 oder der dunkelblauen 50-Pfennig-Heinemann-Marke von 1970. Künstlich angeheizte Spekulationen sollten aber besser zum Verkauf genutzt werden, denn sie haben meist nur eine kurze Halbwertzeit.

Wer Briefmarken als reine Kapitalanlage betrachtet, muss wissen, dass sie sich, wie alle anderen Sachwertanlagen auch, in großen Zyklen zwischen Unter- und Überbewertung bewegen. Ein gutes Timing ist auch hier gefragt.

In einer wirtschaftlichen Boomphase steigen die Preise. Inflationsängste heizen die Flucht in Sachwerte zusätzlich an. Aber bei sehr hohen, rasch wachsenden Inflationsraten sinkt die Wirtschaftskraft einer Gesellschaft und mit ihr die Kaufkraft der Bevölkerung. Für Luxus und Liebhabereien bleibt dann kein Geld mehr übrig. Spätestens dann werden auch die realen Preise für Antiquitäten, Kunst und Briefmarkensammlungen fallen.


Marken-Swap des Geldgurus

Wie man wertvolle Sammlungen schafft, zeigte US-Rentenfondsmanager Bill Gross, einer der fünf bedeutendsten Briefmarkensammler der Welt. Der Anleihe-König ersteigerte 2005 vier „Inverted Jenny“-Marken im Nennwert von je 24 Cent aus dem Jahr 1918. Ein berühmter Fehldruck, der ihm rund drei Millionen Dollar wert war. Abgesehen hatte es Gross aber eigentlich auf eine blaue 1-Cent-Marke aus dem Jahr 1868 mit dem Antlitz von Benjamin Franklin (Z Grill). Sie ist die seltenste US-Briefmarke. Nur zwei Exemplare existieren von ihr. Die eine besitzt die öffentliche Bibliothek von New York, die andere sicherte sich Gross – im Tausch gegen den zuvor ersteigerten Viererbogen der „Inverted Jenny“.

Der Marken-Swap machte Gross zum einzigen Sammler, der eine vollständige Kollektion klassischer amerikanischer Briefmarken aus dem Zeitraum 1847 bis 1869 besitzt.

Auflage vernichtet



Wertmäßig ein paar Stufen darunter, aber ähnlich spektakulär, trat auch Vermögensverwalter Bennewirtz in Erscheinung. Er ersteigerte für 135 000 Euro eine der verbotenen Hepburn-Marken. 2001 ließ die Deutsche Post 14 Millionen Sondermarken drucken, die Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“ zeigen. Nur hatte die Post es versäumt, die Bildrechte bei den Hepburn-Erben einzuholen. Die Auflage wurde vernichtet – bis auf wenige Bögen.

Mauritius für wenig Geld

Solche Besonderheiten haben ihren Preis, bieten dafür aber über Jahrzehnte Wertsteigerungspotenzial. Das belegt eine Studie der London School of Economics, in der Briefmarken als Vermögensklasse analysiert wurden. Nur Aktien schnitten zwischen 1900 und 2008 besser ab als die 50 wertvollsten britischen Briefmarken. Bennewirtz plant eine ähnliche Studie und einen Preisindex für Deutschland. Wenn gewünscht, berät Bennewirtz auch Kunden, die sich die eine oder andere deutsche Marke in den Tresor legen wollen. Das aber ist noch selten.

Denn die Masse bewegt sich weg von der Briefmarke. Menschen schreiben E-Mails, SMS oder verbringen Zeit in sozialen Netzwerken. Immer weniger Briefe werden verschickt, und die immer mehr mit Internet-Marken frankiert. Die Zahl der Abonnenten, die sich bei der Post regelmäßig neue Postwertzeichen sichern, sinkt ebenfalls. Gut so, mit Blick auf die Zukunft: Nur was selten ist, wird von Sammlern begehrt und bietet Chancen auf Wertsteigerung. Vielleicht sollte man heute für wenig Geld einfach mitnehmen, was an neuen Marken rauskommt. Verlieren kann man nicht viel. Und eins ist klar: Irgendeine Marke von heute wird die Mauritius von morgen sein.

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