Ginge es nach Jan Deepen, würden wir schon längst keine Münzen und Scheine mehr mit uns herumschleppen. Der Mitgründer von SumUp, einem mobilen Bezahldienst, arbeitet daran, Cash überflüssig zu machen. Klingt alles ganz einfach: Der Kunde installiert eine App auf seinem Smartphone. Bei SumUp hinterlegt er seine Bankdaten und ein Foto. Geht er dann in das Geschäft eines teilnehmenden Händlers, bekommt der über das Internet auf sein Kassensystem automatisch die Meldung eingespielt, wer gerade bei ihm einkauft.
Will der Kunde bezahlen, nennt er seinen Namen, der Händler muss nur noch prüfen, ob die Person vor ihm mit der auf dem hinterlegten Foto identisch ist. Passt alles, wird das Geld abgebucht. Der Kunde selbst macht keinen Finger krumm. „Es ist ganz offensichtlich, wir steuern auf eine bargeldlose Gesellschaft zu“, sagt Deepen zufrieden.
Die Zahlfunktion, an der SumUp arbeitet, ist eine der fortschrittlichsten und hätte die größten Auswirkungen darauf, wie wir künftig einkaufen. Marktführer PayPal testet ähnliche Konzepte. Die Deutschen lieben zwar ihr Bargeld, aber Kartenzahlung und bargeldlose Transaktionen im Internet nehmen stetig zu. Ohne dass wir uns bewusst dafür entscheiden, verschwindet das Bargeld langsam aus unserem Alltag.
Der Praxistest
Bargeldlos bezahlen, immer und überall? Um zu testen, ob das in Deutschland wirklich so einfach funktioniert, wie Deepen hofft, starte ich einen Selbstversuch: ein Wochenende ohne Bargeld. Es geht nach Bayern, ein Ausflug an die Donau steht an, mit Freundin. Vor der Abfahrt am Freitagabend wollen die Kollegen in der Redaktion mir direkt meine Geldbörse abnehmen. Ich wehre mich, behalte die Börse mit EC- und Kreditkarte und stecke noch 20 Euro ein, für den absoluten Notfall.
Los geht die bargeldlose Zukunft auf der Internet-Seite der Bahn. Meine Tickets zahle ich dort schon lange per PayPal, wähle aus, ob ich Kreditkarte oder Girokonto belaste. Das Ticket kann ich dann ausdrucken oder über die Smartphone-App als QR-Code auf dem Handy speichern. Alles simpel.
Vor der Abfahrt möchte ich am Düsseldorfer Hauptbahnhof noch schnell einen Snack für die Fahrt kaufen. Rein zum Billigbäcker mit Selbstbedienung. Ich lege ein Croissant aufs Tablett und reihe mich ein in die Schlange der Bahnpendler. Das gibt mir etwas Zeit, um die Registrierkasse zu begutachten. Mir fällt auf: kein Kartenlesegerät. Als ich an der Reihe bin, frage ich die Kassiererin, ob ich mein Hörnchen mit Karte bezahlen kann. „Nein“, lautet die klare Antwort. „Kreditkarte, EC-Karte, Sie akzeptieren gar nichts?“ „Nein.“ Dass ich meinen Notgroschen so früh anbrechen muss, hätte ich nicht erwartet.
Nächster Laden, nächster Versuch: eine Flasche Wasser für unterwegs. Nun probiere ich den Drogeriemarkt im Bahnhofsgebäude. Die Schlange reicht auch hier bis mitten in den Laden hinein; Wochenendpendler. Von Weitem erkenne ich: Die nehmen alle gängigen Karten, auch meine Kreditkarte. An der Kasse angekommen, knicke ich aber ein: mein Zug kommt gleich, ich muss zum Gleis. Außerdem drängelt die Schlange hinter mir, und das Wechselgeld aus der Backstube klimpert noch in meiner Hosentasche. Schnell zücke ich eine Euromünze und zahle mein Wasser bar. Das dauert wenige Sekunden. Keine Unterschrift, keine PIN-Eingabe. Bargeldloses Wochenende? Der Start ist verschoben.
Gehen ohne Bargeld Freiheit und Sicherheit verloren?
Mit der Kreditkarte lassen sich an der Supermarktkasse auch kleine Beträge begleichen. Wer bei Ebay bestellt, muss sich nicht ins Online-Banking einloggen, sondern kann per PayPal zahlen. Und wer sein Bahnticket bar am Automaten zahlt, verzweifelt, wenn der nur Münzen zurückgibt, die die Geldbörse zum Platzen bringen.
- Haupttreiber für Fortschritte beim Zahlungsverkehr – das Smartphone wird zum Multifunktionsgerät, soll bald als digitale Geldbörse das Portemonnaie ablösen – ist das Internet. Nebeneffekt: Noch mehr Daten für Industrie und Online-Handel.
- Stationären Händlern sind Bevorratung und Abtransport von Bargeld zu teuer (siehe Grafik rechts), und auch Banken machen Druck. Bargeld kostet, während die Finanzbranche an Kreditkarten und bargeldlosen Transaktionen verdient. Schon längst nicht mehr können Kunden überall in Europa am Bankschalter beliebig viel Geld ein- oder sich auszahlen lassen.
- Hinzu kommen politische Motive: Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Schwarzarbeit wären ohne Bargeld leichter verfolgbar. Geldpolitische Instrumente könnten ihre volle Schlagkraft zurückgewinnen, wenn Bürger Geld nicht mehr einfach vom Konto abheben und so dem Zugriff der Notenbanker entziehen könnten.
Bei aller Euphorie für den elektronischen Zahlungsverkehr gibt es also durchaus Anlass zu Befürchtungen, dass mit dem Bargeld auch ein Stück Freiheit und Sicherheit verschwinden würde. Wie realistisch sind diese Befürchtungen? Und wie stehen die Chancen wirklich, dass Bargeld allmählich abgelöst wird?
Die Deutschen gelten als konstant unfortschrittlich, verglichen etwa mit den Schweden, für die bargeldloses Zahlen selbstverständlich ist. Deepen von SumUp bleibt eine Ausnahme, wenn er sagt: „Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal am Bankautomaten Geld abgehoben habe.“
Die Europäische Zentralbank (EZB), von den Deutschen ohnehin nicht ins Herz geschlossen, ist sich der Sensibilität des Themas bewusst. Besuch bei Wiebe Ruttenberg, Leiter der Abteilung Market Integration, der in einem unauffälligen Nebengebäude des Eurotower in der Frankfurter Innenstadt sitzt. Sein Büro, mit blau gewebtem Teppich, nüchternes Corporate Design im Europa-Stil, wirkt wenig luxuriös – und ist doch Zentrum des aktuell wichtigsten technischen Projekts der EZB. Von hier hat Ruttenberg die Einführung des SEPA-Zahlungssystems geleitet. Neue, einheitliche Kontonummern für alle Europäer – ein mächtiges Projekt, dessen Sinn sich erst mal überhaupt nicht erschließt. Es soll einen einheitlichen, bargeldlosen Zahlungsraum Europa ermöglichen. SEPA ist aber dennoch nicht Teil eines Masterplans, dem Bargeld zu entsagen: „In Europa wird es keine bargeldlose Gesellschaft geben“, antwortet EZB-Fachmann Ruttenberg auf die Frage, wann denn neue Zahlungsmittel das Bargeld wohl ablösen werden – ohne zu zögern.
Ohne Bargeld droht Sparern Negativzins
Mein nächster Versuch: ein Feierabendbier im Bordbistro. 3,70 Euro soll das kosten. „Mit Karte bitte“, hauche ich verlegen über den Tresen und erwarte schon die nächste Enttäuschung. „Wir nehmen aber nur Kreditkarten“, lautet dann die sehnlichst erwartete Antwort. Das ist mir ohnehin am liebsten. Denn ich bin Kunde bei einer Direktbank. Die stellt mir eine Kreditkarte aus, mit der ich weltweit kostenlos Bargeld abheben – und in Deutschland auch ohne Gebühren bezahlen kann. Ein erster Erfolg. Zwar muss ich mein Bier aus einem Plastikbecher am Platz trinken, der erste Schluck schmeckt trotzdem fantastisch. So kann die bargeldlose Zukunft starten.
Auf der anderen Seite des Atlantiks ticken manche schon anders. Larry Summers, ehemaliger US-Finanzminister, dachte auf einer Konferenz in Washington laut über die Abschaffung des Bargelds nach. Nur dann könnten Zentralbanken negative Leitzinsen einführen, zur Abwehr der Deflation und zum Ankurbeln des Konsums. „Die globale Finanzkrise ist noch nicht überstanden. Deshalb müssen wir in den kommenden Jahren darüber nachdenken, wie wir eine Volkswirtschaft managen, in der nominale Zinssätze von null chronische Hemmstoffe sind, die unsere Volkswirtschaften hinter ihrem Potenzial zurückhalten“, sagte Summers.
Der Gedanke dahinter: Weil die Zinssätze schon nahe null sind, könnte die Geldhaltung auf Konten mit negativen Zinsen bestraft werden. Wer Geld bei der Bank parkt, zahlt eine Gebühr. Normalerweise würden die Menschen dann auf Bargeld ausweichen, der Negativzins würde wirkungslos. Können sie aber nicht mehr bar bezahlen, würde das Geld auf die Konten getrieben – oder ausgegeben. So könnte der Konsum angekurbelt werden.
Wer wissen will, wie die bargeldlose Zukunft aussieht, muss sich in Messehallen drängen. Etwa auf der Euroshop in Düsseldorf, der weltweit größten Messe für den Einzelhandel. Dort wird klar: Wo heute noch graue Supermarkt-Kassenklötze aus Hartplastik stehen, sollen demnächst schlanke Tablet-Computer Zahlungen abwickeln. Am besten ohne Bargeld. Denn Tablet-Kassen mit Flachbildschirmen bieten keinen Platz mehr für Münzen und Scheine. Die wandern allenfalls noch in eine zusätzliche Schublade, die in den Verkaufstresen eingelassen werden muss, wie etwa heute schon in manchem Apple-Store – eine Übergangslösung, für Bargeld-Nostalgiker unter den Kunden.
Smartphones der Konsumenten und Tablet-Computer der Händler gehen, so erlebt man es auf der Messe, eine Symbiose ein. Für Zahlungen, klar, aber auch für neues Marketing: Zum Beispiel für Sonderangebote, die dem Verbraucher direkt aufs Smartphone gespielt werden, wenn er an einem Laden vorbeiläuft. Er geht kurz rein, bezahlt mit dem Smartphone und rennt weiter zum nächsten Angebot.
Zahlen mit Fingerabdruck auf dem Vormarsch
Für manchen Konsumenten eine Horrorvision, für andere nur lästig oder gar eine willkommene Bereicherung. „Ich zahle möglichst nur mit Bargeld,“ sagt Claudia Franke, „da behalte ich die Kontrolle, wie viel ich ausgeben kann.“ Ihre Kunden aber lässt die Düsseldorfer Unternehmerin, die unter anderem Tierpflegeprodukte auf Schulungen oder Messen verkauft, unterwegs am liebsten über ein mobiles Kartenterminal bezahlen. Den Adapter von SumUp steckt Franke an ihr Smartphone oder Tablet. Ihre Kunden können mit dem Finger auf dem Display unterschreiben, sagt sie, bekommen anschließend Quittungen per E-Mail oder SMS zugeschickt. „Am liebsten wäre mir, wenn alle mit Karte zahlen würden“, sagt Franke.
Noch einfacher wird es für Kunden, wenn sie ihre Karte gar nicht mehr aus dem Portemonnaie kramen müssen, um sie an der Kasse oder am mobilen Lesegerät scannen zu lassen. Warum nicht mit biometrischen Daten bezahlen? Sprich: mit dem Fingerabdruck? Auch das zeigen erste Versuche auf der Düsseldorfer Messe. Die Natural Security Alliance, getragen unter anderem von BNP Paribas, Crédit Agricole und Mastercard, testet hier, wie digitale Zahlungen sicherer werden können. Etwa so: Wie der Zoll bei der Einreise am Flughafen in den USA scannt ein kleines Gerät an der Kasse den Fingerabdruck des Käufers. Dann wird die Zahlung drahtlos über eine spezielle Chipkarte, die der Käufer bei sich führen muss, abgewickelt. Der Fingerabdruck dient sozusagen als fälschungssichere Unterschrift oder PIN.
Samstagnachmittag, ein kurzer Abstecher in ein Shoppingoutlet. Die Logos in den Läden zeigen mir, dass sie sich auf meine Visa, Mastercard oder American Express freuen. Nur finde ich bei ihnen weder Schuhe noch Hemden, die mir gefallen. Bei sonnigem Frühlingswetter soll wenigstens ein Eis das Gedrängel vor den Schaufenstern versüßen. Die Eisdiele verlangt 3,60 Euro für drei Kugeln. Eigentlich würde ich mit der Kassiererin gern über die Preise diskutieren. Ihre Aussage, dass ich nur bar bezahlen kann, nimmt mir aber die Lust. 20 Euro hatte ich am Freitag vor der Bahnfahrt für den Notfall eingesteckt. Die aber schwinden schnell dahin. Am Samstagnachmittag treibt es mich – in weiser Voraussicht – an den nächsten Bankautomaten. Ich muss meinen Notgroschen aufstocken.
Warum Schweden beim bargeldlosen Zahlen vorn liegt
Thilo Weichert, Landes-Datenschutzbeauftragter in Kiel, sieht die Datenspuren, die Nutzer von digitalen Zahlungsmitteln hinterlassen, mit Sorge: „Auch bei allen denkbaren technischen Sicherungen sind digitale Spuren zumeist leichter festzustellen, automatisiert auszuwerten und dadurch umfassend zu überwachen.“ Knackpunkt dabei: Die Zahlungsströme laufen fast alle über die USA. Im Rahmen der Snowden-Enthüllungen wurde im Herbst bekannt, dass die amerikanische NSA auch Kreditkartendaten in den USA ausliest. „Dass wir keine europäische Infrastruktur haben, ist ein Problem. Auch das europäische Überweisungssystem SEPA wird daran nichts ändern, dazu war es gar nicht gedacht“, sagt Constanze Kurz, Projektleiterin am Forschungszentrum für Kultur und Informatik der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. „Nur über Bargeld lässt sich auch nur ansatzweise langfristig die Anonymität des Zahlungsverkehrs gewährleisten“, sagt Weichert.
Bargeld-Lösungen sind auf der Düsseldorfer Messe zwar noch vertreten, aber schon in Nischen gedrängt – wie die Münzprüfmaschinen von WH Münzprüfer aus Berlin. Die CD-großen Elemente lassen Münzen durch ihren Einwurfschlitz in einen transparenten Schaukasten klackern, scheinen in Halle 6 aber nur noch geduldet, vereinsamt in einem Durchgang neben den pompösen Multimedia-Ständen der bargeldlosen Konkurrenz.
„An unserem Geschäft sehen wir, dass Münzen weltweit immer noch eine wichtige Rolle spielen, trotz der Weiterentwicklung beim bargeldlosen Zahlen“, sagt Geschäftsführer Christian Trenner. Spiel- und Ticketautomaten, aber auch Selbstbediener-Kassen im Supermarkt brauchen Maschinen, die Euro-Münzen von Hosenknöpfen unterscheiden können. Den Messebesuchern erscheint das irgendwie bieder – sie erliegen dem Charme von Tablets und Smartphones. Wer will da noch Münzen prüfen?
Schweden jedenfalls braucht heute schon nur noch wenige Münzprüfautomaten. Bargeld spielt kaum noch eine Rolle. Selbst Zeitungen und Kaugummi können mobil oder mit Karte gezahlt werden. Die schwedischen Banken, vorneweg die Großbanken SEB und Nordea, haben sich für ein mobiles Zahlsystem namens Swish zusammengetan. Zahlungen von privat zu privat sind einfach über eine App auf dem Smartphone möglich. Wer etwa sein Fahrrad gebraucht verkaufen möchte, kann vor Ort von einem Telefon zum anderen bezahlen. Im Sommer sollen auch schwedische Unternehmen mit Swish die Zahlungen ihrer Kunden entgegennehmen können. In Deutschland gibt es einen ähnlichen Ansatz namens Kesh, von der BIW Bank. Generell halten sich Deutschlands Banken aber zurück; man beobachte die Entwicklungen, sagt der Bankenverband, der die Privatbanken vertritt.
Schwedische Banken haben seit 2010 ihren Bargeldservice schrittweise eingestellt. Nordea etwa bietet nur noch in einem Drittel ihrer 256 Filialen Bargeldservices an. „Bargeld ist immer noch teuer zu transportieren und zu verwalten, die Risiken von Überfällen haben es in den vergangenen Jahren auch nicht günstiger gemacht,“ sagte bereits 2008 Lars Nyberg, damals Vorstand der schwedischen Zentralbank.
Prominentester Unterstützer der schwedischen Bargeldlos-Bewegung ist Abba-Star Björn Ulvaeus. Im Stockholmer Abba-Museum können Besucher inzwischen nur noch mit Karte zahlen. Privat verzichtete Ulvaeus in einem Selbstversuch ein Jahr lang auf Bargeld: „Die einzige Unannehmlichkeit, die mir im Alltag begegnet ist: Man braucht eine Münze, um im Supermarkt einen Wagen zu leihen“, schreibt er auf der Homepage des Museums. Seine Kritiker werfen Ulvaeus vor, er sei bei der Aktion vor allem durch einen der Hauptsponsoren seines Abba-Museums getrieben worden: Kreditkarten-Gigant Mastercard.
Kontaktlos, aber nicht kostenlos bezahlen
Am Samstagabend möchten wir zum Italiener. Bei der Restaurantkette Vapiano bekomme ich als Gast schon am Eingang eine Chipkarte, auf der meine Bestellungen eingehen. Hier muss ich mich an Selbstbedienungstheken anstellen, Köche bereiten die Nudeln vor meinen Augen zu. Was mich meine Bestellung kostet, erkenne ich nach jeder Bestellung in einem Display, wenn meine Karte gescannt wird. Zum Bezahlen wird sie an der Kasse nach dem Essen ausgelesen. Und dort erkenne ich gleich: ein NFC-Terminal. Fantastisch! Da zeigt sie sich endlich, die bargeldlose Zukunft. Denn mit der sogenannten Near Field Communication könnte ich mein Abendessen jetzt über das Smartphone bezahlen. Einfach, indem ich das Telefon im Umkreis von etwa zehn Zentimetern an das Lesegerät lege oder darüber halte. Abgebucht wird kontaktlos. Leider bin ich von der bargeldlosen Zukunft ausgeschlossen, weder mein Handy noch meine Kreditkarte sind für NFC-Zahlungen gerüstet. Also muss ich dann doch meine Kreditkarte einlesen lassen und die PIN eingeben. Die Kassiererin tröstet mich: „Seit unserer Eröffnung vor etwa zwei Jahren hat bei mir bisher nur ein einziger Kunde kontaktlos bezahlt.“
Dass Geld bereitgehalten, gewechselt, transportiert, gesichert und bewacht werden muss und dass dies alles kostet, leuchtet ein. Doch auch bargeldlose Abwicklungen kosten Geld. „Zahlungen können nicht kostenlos sein, das müssen die Leute verstehen“, sagt Ruttenberg von der EZB. Nur seien diese Kosten eben im System versteckt. Händler zahlen in Deutschland durchschnittlich 1,25 Prozent der Transaktionssummen an Banken und Kreditkartenanbieter. Diese werden natürlich meist an die Kunden weitergegeben. Die Europäische Kommission arbeitet deshalb gerade an einer Richtlinie, alle Kreditkartengebühren für Händler auf 0,3 Prozent zu reduzieren. Kommt die, bekämen Karten einen neuen Schub.
Unter dem Strich, für bare und bargeldlose Zahlungen zusammen, kosten Zahlungen in der EU etwa 130 Milliarden Euro, schätzt Ruttenberg – ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Vom Bargeld abrücken möchte er deshalb aber nicht. Vielmehr sollten die bisherigen Infrastrukturen, wie Debit- und Kreditkarten, effizienter genutzt werden. „Die bargeldlose Gesellschaft ist etwa so wahrscheinlich wie das papierlose Büro“, sagt Ruttenberg. Sein eigener Schreibtisch wirkt zwar aufgeräumt, aber dort stapeln sich Papierbögen, keine Frage.
Sonntagvormittag, Sonnenschein und blauer Himmel. Wir fahren zum Kloster Weltenburg an die Donau. Das Kloster ist für Besucher nur zu Fuß erreichbar, also biegen wir auf einen Parkplatz ab, 500 Meter vor dem Kloster. Eine junge Frau in Warnweste verteilt Parkscheine – und will Bargeld sehen. Ich frage nicht einmal nach Kartenzahlung, sie wird kaum ein mobiles Kartenterminal in ihrer Weste versteckt halten. Auch einen Kassenautomat mit Kartenschlitz suche ich vergebens. Ich drücke die Münzen ab und überlege, den Selbstversuch abzubrechen.
Nach einem Spaziergang an der Donau kehren wir im Kloster ein. Es gibt Haxe, Knödel und Kraut. Neben uns spachteln auch Amerikaner und Spanier. Da es so international zugeht, verlange ich selbstbewusst nach Kartenzahlung . Die Bedienung schüttelt den Kopf. Gut, dass ich am Bankautomaten war.
Ohne Bargeld weniger Bestechung und Hinterziehung
Ganz offensiv, zumindest verbal, wird Bargeld in Italien der Kampf angesagt. „Der Kampf gegen das Bargeld ist ein wahrer Kampf der Zivilisation“ – der Spruch von Giovanni Sabatini, Generaldirektor der Bankenvereinigung ABI, ist heute schon legendär. Dafür erntete er zwar reichlich Spott. „Sabatini erzählt Quatsch, weil er verbergen will, dass die Banken an allen Zahlungen mitverdienen, nur eben am Bargeld nicht“, ätzte Komiker Beppe Grillo, ein überzeugter Bargeld-Anhänger.
Aber: Bestechung und Hinterziehung sind vor allem mit Bargeld möglich. Der deutsche Staat würde jährlich 35 Milliarden Euro mehr einnehmen, wenn nach Abschaffung des Bargelds die Schattenwirtschaft eingedämmt würde. Das schätzen Forscher der Steinbeis-Hochschule. Ein Bargeldverbot würde Schwarzarbeit erschweren, aber auch Drogenhandel, Prostitution und illegales Glücksspiel.
Aber auch ohne Bargeld lassen sich illegale Geschäfte finanzieren – etwa mit der Digitalwährung Bitcoins. Jeder, der über rechenstarke Computer verfügt, kann Bitcoins kreieren. Mittlerweile ein aufwendiger und sehr teurer Prozess – für die Geldschöpfer ein Fulltime-Job. Bitcoins waren anfangs Zahlungsmittel für Drogen und Waffen. Heute werden sie längst auch regulär genutzt, in den USA verkaufte ein Autohaus sogar ein Tesla-Elektroauto gegen Bitcoins.
Bislang wissen weder Staaten noch Notenbanken, wie sie mit der digitalen Währung umgehen sollen. Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele etwa hält Bitcoins für hochspekulative Finanzinstrumente, auf keinen Fall für Zahlungsmittel.
Alex Werkman, IT-Berater aus Köln, lässt sich seinen Enthusiasmus nicht nehmen: „Wenn man sich ansieht, was die EZB mit dem Euro macht, wäre doch eine Ausweichwährung nicht schlecht“ – etwa bei Inflation. Werkmans Frau betreibt eine Kindertagesstätte – und er hat für diese ein System eingeführt, das es Eltern erlaubt, mit Bitcoins zu zahlen. Zahlungen sind kostenfrei, Nutzer müssten nur etwas Wartezeit in Kauf nehmen. Zehn Minuten dauert eine selbst durchgeführte Bezahlaktion, schätzt Werkman. Nur wer professionelle Anbieter wie Bitpay nutzt, zahlt Gebühren für Bitcoin-Transaktionen. Dafür wandelt Bitpay Coins auch in Euro um.
Alles ziemlich zukunftsträchtig – nur ist die Nachfrage vonseiten der Tagesstätten-Eltern leider null. „Kann ja noch kommen“, sagt Werkman , „ich wollte eben mal etwas anderes ausprobieren.“ Dass ihm seine im Wert stark gestiegenen Coins verloren gehen, fürchtet er nicht. „Ich habe sie mehrfach auf Festplatten gespeichert.“ So umgeht er Probleme, wie sie Tausende Anleger mit der Bitcoin-Börse Mt.Gox hatten, die in der Insolvenz vermutlich mehrere Hundert Millionen Euro Kundengeld vernichtet hat.
Resigniert setze ich mich am Abend in den ICE. Zum Abschluss will ich es aber noch mal wissen: Ein Ticket für die Fahrt mit der Frankfurter U-Bahn muss ich doch auch ohne Bargeld bekommen können, am besten als Code auf mein Handy. Dafür lade ich mir die App des Verkehrsverbunds Rhein-Main herunter. In den Nutzungsbedingungen steht, dass ich damit den Zugriff auf meinen Telefonstatus und die Telefon-ID zulasse. Eigentlich bin ich damit nicht einverstanden, aber es hilft ja nichts. Einmal installiert, wähle ich über die App eine Verbindung und tippe auf „Ticket kaufen“ – 2,60 Euro. Nun bietet die App mir an, mich als Nutzer zu registrieren. Das ist mir zu aufwendig, ich lehne ab. Ich kann ja auch über die Mobilfunkrechnung bezahlen. Also tippe ich meine Handynummer ein, packe eine E-Mail-Adresse dazu und erstelle ein Passwort. Im nächsten Schritt erwarte ich dann mein Ticket. Von wegen! Ich bekomme den Hinweis, dass für die Abrechnung über mein Handy eine zusätzliche Gebühr anfällt. Wie hoch die ist, zeigt die App mir freundlicherweise nicht an. Und mir fehlt die Zeit, die Geschäftsbedingungen durchzulesen, meine Bahn fährt ein. Lust auf seitenweise Kleingedrucktes habe ich schon gar nicht. Also eile ich zum nächsten Ticketautomaten und beende mein bargeldloses Wochenende, wie es angefangen hat: indem ich Münzen aus dem Portemonnaie krame.