Heute ist ein historischer Tag. Zum ersten Mal in der Geschichte zahlen wir dem Staat Geld dafür, dass er sich bei uns für 10 Jahre verschuldet. Wer eine Bundesanleihe mit einer Laufzeit von zehn Jahren heute kauft, bekommt garantiert über die Laufzeit der zehn Jahre weniger zurück, als er heute an den Staat überweist. Was bisher schon für Anleihen mit kürzerer Laufzeit gilt, gilt nun auch für diese Kategorie von Anleihen. Damit folgt Deutschland der Schweiz und Japan immer mehr in die terra incognita des Negativzinses. Niemand weiß, wie die Reise enden wird. Gut wohl eher nicht.
Die Notenbanken der Welt, nicht nur die EZB haben beschlossen, den Sparer zu enteignen, im verzweifelten Versuch die Weltwirtschaft aus der Stagnation zu befreien, den Euro zu retten und die Finanzkrise zu überwinden. Dabei sind die Notenbanken die Hauptverantwortlichen für die Überschuldung der westlichen Welt, deren Folgen wir immer mehr zu spüren bekommen. Mit ihrer jahrzehntelangen zu laxen Geldpolitik haben sie eine Abwärtsspirale der Zinsen ausgelöst, die selbstverstärkend wirkt. Tiefe Zinsen heute machen noch tiefere Zinsen morgen erforderlich, um den Schuldenturm vor dem Einsturz zu bewahren.
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich warnt seit Jahren vor den Folgen dieser Politik, die bei jeder Krise die Geldschleusen geöffnet, danach jedoch niemals wieder richtig geschlossen hat. Vergeblich. Denn die Abwärtsspirale in der die Notenbanken gefangen sind, können sie nicht selber überwinden. Die Voraussetzung dafür ist so einfach gesagt wie schwer realisiert: die faulen Schulden müssen aus der Welt geschaffen werden.
Zur Person
Daniel Stelter war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen zu den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das 2010 preisgekrönte Buch „Nach der Krise ist vor dem Aufschwung“. Weitere Bücher folgten, so eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty unter dem Titel „Die Schulden im 21. Jahrhundert“. Im Februar 2016 erschien sein neues Buch, „ Eiszeit in der Weltwirtschaft“. Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“, das Antworten auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit sucht.
Höhere Zinsen führen zur Pleitewelle
Die Welt ist so verschuldet wie nie zuvor. Die Gesamtverschuldung von Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten lag 2015 bei 350 Prozent vom BIP in China, 370 Prozent in den USA, 457 Prozent in Europa und 615 Prozent in Japan. In allen Regionen sind die Schulden erneut deutlich schneller gewachsen als die Wirtschaftsleistung. Jedes Gerede vom Sparen ist eben nur Gerede. Aus der Überschuldung kann man sich nicht heraussparen. Es bleiben nur Pleiten, Schuldenrestrukturierung, Besteuerung und Monetarisierung über die Notenbankbilanzen um das Schuldenmonster in den Griff zu bekommen. Keine dieser Alternativen ist politisch attraktiv.
Doch solange sich die Politik darum drückt, die Antwort auf die alles entscheidende Frage zu geben, wie wir die faulen Schulden und damit auch die Forderungen/Vermögen die diesen entgegen stehen aus der Welt schaffen, bleibt den Notenbanken keine andere Wahl als mit immer mehr billigem Geld und dem Aufkaufen fauler Schulden die Illusion aufrecht zu erhalten, wir seien nicht pleite. Wir sind es aber.
Zinserhöhungen sind deshalb völlig unrealistisch. Denn was wäre die Folge? Eine Pleitewelle in den Krisenländern der Eurozone und zwar von Staaten, privaten Haushalten, Unternehmen und Banken. Ein scharfer Einbruch der deutschen Exporte bedingt durch eine deutliche Aufwertung des Euro und einer heftigen Rezession in der Eurozone. Und vor allem ein erheblicher Vermögensverlust für uns Deutsche, sind wir doch die Hauptgläubiger der Eurozone.
Fundamentale Verschiebung in der Weltwirtschaft
Damit würden die Notenbanken entscheiden, auf welchem Weg die Bereinigung der faulen Schulden erfolgt. Nämlich auf dem brutalsten und auch für die Gläubiger teuersten Weg. Wie bei einer Unternehmensinsolvenz ist es auch bei der Insolvenz eines ganzen Landes aus Sicht der Gläubiger besser, einen geordneten Prozess durchzuführen, statt eines chaotischen. Deshalb halten die Notenbanken das System am Laufen und verhindern den Zusammenbruch des Schuldenturms in dem sie mit billigem Geld quasi Zement in das Fundament spritzen. Dumm nur, dass wir zeitgleich immer neue Stockwerke auf den Turm drauf setzen.
Schuldenschnitt und Reformen für höhere Zinsen
Wenn wir es ernst meinen mit dem Wunsch nach höheren Zinsen, müssen zwei fundamentale Dinge geschehen: Zunächst sind die faulen Schulden in einem geordneten Prozess aus der Welt schaffen, was übrigens für die deutschen Steuerzahler nicht billig wird. Gute eine Billion Euro dürfte es uns kosten, die Folgen der verfehlten Euroeinführung und der Euro-„Rettungs-Politik“ zu bewältigen. Wie dies zu machen wäre, habe ich hier erklärt.
Dies dem Volk zu sagen, dürfte sich wohl jede Partei in Deutschland verweigern und stattdessen lieber die EZB weiter machen lassen wie bisher.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Doch selbst wenn sich die Politik dazu durchringen würde, das Notwendige mit Blick auf die Schulden zu tun, so genügt das nicht. Die Zinsen sind nicht nur wegen der Politik der EZB so tief. Sie wiederspiegeln auch eine fundamentale Verschiebung in der Weltwirtschaft: Die Erwerbsbevölkerung stagniert bzw. beginnt zu schrumpfen und die Produktivitätszuwächse sind seit Jahren rückläufig. Diese beiden Faktoren sind es jedoch, die das langfristige Wirtschaftswachstum und damit den Zins beeinflussen. Gesellschaften die schrumpfen haben keine hohen Zinsen.
Die Antwort wäre ein Reformprogramm für Deutschland und Europa um das langfristige Wachstum zu stärken. Mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen und Alten, mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Kurz gesagt: Weniger staatlicher Konsum und mehr Investition. Gerade die Älteren müssten möglichst lange arbeiten und wir werden nicht darum herum kommen, die Leistungen für die ältere Gesellschaft zu senken.
Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen
Verbraucher sparen bei Darlehen, ob für den neuen Fernseher oder für die eigenen vier Wände. Hausbauer können sich zu historisch günstigen Konditionen Geld leihen. Nach Angaben des Bankenverbandes BdB sind Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung derzeit zu Effektivzinsen von durchschnittlich etwa 1,4 Prozent zu haben. 2007 lagen sie noch bei mehr als fünf Prozent.
Billiger ist es auch geworden, das eigene Konto zu überziehen. Vor fünf Jahren lagen die Dispozinsen nach Angaben der Finanzberatung FMH im Schnitt noch bei 11,26 Prozent. Mittlerweile sind es demnach durchschnittlich 9,51 Prozent.
Seit Jahren ist günstiges Notenbankgeld der zentrale Treibstoff für die Börsen. Aktionäre können von steigenden Kursen profitieren. Zuletzt wagten sich die eher börsenscheuen Deutschen wieder stärker an den Aktienmarkt. Knapp 9,01 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts im vergangenen Jahr Aktien und/oder Anteile an Aktienfonds - das ist der höchste Stand seit 2012.
Mit der Ausgabe von Anleihen finanziert die öffentliche Hand - neben Steuereinkünften - einen Großteil ihrer Ausgaben. Am Montag fiel die sogenannte Umlaufrendite, die ein durchschnittliches Maß für die „Verzinsung“ von Staatspapieren mit einer Laufzeit von drei bis 30 Jahren ist, in Deutschland erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik in den negativen Bereich. Der Bund „verdient“ in einer solchen Situation somit an seiner eigenen Schuldenaufnahme, anstatt den Gläubigern - den Käufern der Anleihen - einen Zins zu zahlen.
Stand: 7. Juni 2016
Doch was macht die Politik? Mütterrente, Lebensleistungsrente, jetzt Grundrente. Alles geht in Richtung Konsum und weniger Erwerbsbeteiligung. Und damit in Richtung tiefer Zinsen.
Wer wieder höhere Zinsen will, muss und kann handeln. Da ist es doch viel einfacher, die Schuld bei der EZB zu suchen. Die hat uns zwar in die Krise geführt. Beenden kann sie sie jedoch nicht!