Eine kleine bayerische Raiffeisenbank verlangt von September an von Privatkunden mit großen Summen auf dem Girokonto einen Strafzins. Josef Paul, Vorstandsmitglied der Raiffeisenbank Gmund am Tegernsee, bestätigte am Mittwoch, dass die Bank für Beträge von mehr als 100.000 Euro auf dem Girokonto oder dem Tagesgeld-Konto ein „Verwahr-Entgelt“ von 0,4 Prozent erheben werde.
„Wir haben alle Großanleger gezielt angeschrieben und ihnen empfohlen, sich Gedanken zu machen“, sagte Paul. „Wenn man keine Anreize schafft, etwas zu verändern, verändert sich auch nichts“, begründete er den Schritt.
Banken zahlen selbst 0,4 Prozent, wenn sie überschüssige Einlagen über Nacht bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken. Auch die DZ Bank, das Spitzeninstitut der Volks- und Raiffeisenbanken, verlangt von den angeschlossenen Instituten dafür Zinsen. Bisher haben Banken diese Strafzinsen nur an institutionelle Anleger und Firmenkunden weitergereicht.
Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen
In Deutschland beliebte Sparformen wie Tages- und Festgeld werfen kaum noch etwas ab. Die niedrige Inflation gleiche die negativen Effekte der niedrigen Zinsen allerdings aus, betont EZB-Präsident Mario Draghi. Derzeit liege die Verzinsung minus Inflation höher als im Durchschnitt der 1990er Jahre. „Zu der Zeit hatten Sie höhere Zinsen auf dem Sparbuch, aber zugleich meist Inflation, die weit darüber lag und alles auffraß“, sagte Draghi jüngst in einem Interview. Im Mai lagen die Verbraucherpreise in Deutschland nach vorläufigen Berechnungen gerade einmal um 0,1 Prozent über dem Vorjahresniveau.
Stand: 07.06.2016
Finanzinstitute müssen Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Für den durchschnittlichen Privatkunden sind Strafzinsen bislang kein Thema. Man werde „alles tun, um die privaten Sparer vor Negativzinsen zu schützen - in Teilen auch zu Lasten der eigenen Ertragslage“, sagte jüngst der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Georg Fahrenschon. Wenn die aktuelle Niedrigzinsphase aber lange andauere, würden die Sparkassen die Kunden letztlich nicht davor bewahren können. Zudem könnten Geldhäuser nach Angaben des Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Uwe Fröhlich, gezwungen sein, an der Gebührenschraube zu drehen: „Jeder muss in seiner Bank überlegen, wie er über Konditionen-Gestaltung gegen die Ertragsverluste anarbeitet, die ohne Zweifel da sind.“
Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die hohen Zusagen der Vergangenheit zu erwirtschaften. Die Folge: Die Verzinsung des Altersvorsorge-Klassikers sinkt seit geraumer Zeit. Auch Betriebsrenten leiden, Firmen müssen wegen der Zinsschmelze immer mehr Geld für die Pensionsverbindlichkeiten zurücklegen. Viele Unternehmen versprechen bei Neueinstellungen daher keine konkreten Leistungen mehr, sondern sagen lediglich zu, einen bestimmten Betrag pro Monat in Vorsorgekassen einzuzahlen. Das Zinsrisiko tragen die künftigen Pensionäre.
Für Privatkunden schließen sie die meisten deutschen Geldhäuser offiziell aus. Nur die Skatbank, eine zum Genossenschaftssektor gehörende Direktbank aus dem thüringischen Altenburg, hatte für Beträge über eine halbe Million Euro Negativzinsen eingeführt. Die ebenfalls genossenschaftliche Alternativ-Bank GLS plant im Kampf gegen das Zinstief von den Kunden einen monatlichen „Solidarbeitrag“ zu erheben. Viele Geldhäuser bieten inzwischen keine kostenlosen Girokonten mehr an oder erhöhen die Gebühren für Kontoführung und Kreditkarten.
Verständnis beim Verband
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB), dem die 299 Volks- und Raiffeisenbanken im Freistaat angehören, äußert Verständnis für sein Mitglied vom Tegernsee. „Der extreme geldpolitische Kurs der EZB verursacht bei allen Banken erhebliche Kosten. Vor allem die Negativzinsen für das Anlegen überschüssiger Liquidität bei der Zentralbank belasten die Institute zunehmend“ , sagte ein Sprecher. Auf Dauer könnten die Banken das nicht selbst tragen. Sie überlegten sich daher Maßnahmen, um die Folgen abzupuffern. „Dazu kann es in letzter Konsequenz auch gehören, einen Auslagenersatz für Einlagen ins Auge zu fassen.“ Der GVB wisse allerdings von keiner Bank, die ähnliche Pläne wie die Raiffeisenbank Gmund verfolge.
Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen
Verbraucher sparen bei Darlehen, ob für den neuen Fernseher oder für die eigenen vier Wände. Hausbauer können sich zu historisch günstigen Konditionen Geld leihen. Nach Angaben des Bankenverbandes BdB sind Hypothekendarlehen mit zehn Jahren Zinsbindung derzeit zu Effektivzinsen von durchschnittlich etwa 1,4 Prozent zu haben. 2007 lagen sie noch bei mehr als fünf Prozent.
Billiger ist es auch geworden, das eigene Konto zu überziehen. Vor fünf Jahren lagen die Dispozinsen nach Angaben der Finanzberatung FMH im Schnitt noch bei 11,26 Prozent. Mittlerweile sind es demnach durchschnittlich 9,51 Prozent.
Seit Jahren ist günstiges Notenbankgeld der zentrale Treibstoff für die Börsen. Aktionäre können von steigenden Kursen profitieren. Zuletzt wagten sich die eher börsenscheuen Deutschen wieder stärker an den Aktienmarkt. Knapp 9,01 Millionen Menschen besaßen nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts im vergangenen Jahr Aktien und/oder Anteile an Aktienfonds - das ist der höchste Stand seit 2012.
Mit der Ausgabe von Anleihen finanziert die öffentliche Hand - neben Steuereinkünften - einen Großteil ihrer Ausgaben. Am Montag fiel die sogenannte Umlaufrendite, die ein durchschnittliches Maß für die „Verzinsung“ von Staatspapieren mit einer Laufzeit von drei bis 30 Jahren ist, in Deutschland erstmals seit der Gründung der Bundesrepublik in den negativen Bereich. Der Bund „verdient“ in einer solchen Situation somit an seiner eigenen Schuldenaufnahme, anstatt den Gläubigern - den Käufern der Anleihen - einen Zins zu zahlen.
Stand: 7. Juni 2016
Der Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) erwartet nicht, dass das Beispiel aus Oberbayern Schule macht. "Der BVR glaubt nicht, dass wir in Deutschland im Privatkundengeschäft in der Breite Negativzinsen sehen werden - nicht zuletzt auf Grund der intensiven Wettbewerbssituation im deutschen Bankenmarkt." Auch in Gmund sei das klassische Breitengeschäft nicht betroffen.
Auch ein Sprecher des Sparkassen-Verbandes DSGV sagte, ihm sei kein Fall bekannt, dass eine der 408 deutschen Sparkassen eine Verwahrgebühr von Privatkunden verlangt.
Laut Raiffeisenbank-Vorstand Paul hat der Strafzins schon Wirkung gezeigt. „Ein Teil der Kunden, die wir informiert haben, hat sich für alternative Anlagen entschieden, andere haben ihr Geld zu anderen Banken verlagert.“ Eine Ausweitung auf weniger wohlhabende Kunden sei nicht geplant. Die Raiffeisenbank Gmund ist mit sechs Filialen rund um den Tegernsee und einer Bilanzsumme von 145 Millionen Euro eine der kleineren deutschen Genossenschaftsbanken.