Prozessbeginn Mister Finanzkrise Fabrice Tourre ab Montag vor Gericht

Mit dem Spitznamen „Fabulous Fab“ ging Fabrice Tourre in die Annalen der Finanzkrise ein. Millionenverluste erlitten Anleger wie die deutsche Mittelstandsbank IKB mit den Schrottpapieren des Ex-Goldman-Sachs Händlers. Der Prozess gegen Tourre in den USA wegen Anlagebetrugs bringt die Finanzkrise zurück auf die Agenda und rückt Goldman Sachs erneut ins Zwielicht.

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Fabrice Tourre im Jahr 2013 Quelle: rtr

Fabrice Tourres E-Mails kennt mittlerweile die ganze Welt. Sie sind wichtige Beweisstücke für einen Prozess, den die US-Börsenaufsicht (SEC) gegen den Ex-Händler von Goldman Sachs angestrengt hat. An diesem Montag beginnt der Prozess am Bezirksgericht in Manhattan.  

Die USA schlagen damit ein neues Kapitel der Aufarbeitung der Finanzkrise auf. Tourre ist der einzige Investmentbanker, den die SEC zivilrechtlich wegen Anlagebetrugs im Zusammenhang mit dem Verkauf von verbrieften Immobilienpapieren anklagt. Mit diesen Finanzprodukten erlitten Anleger weltweit ab Mitte 2008 Milliardenverluste.

Tourre erfand damals als führender Kopf einer Händlertruppe von Goldman Sachs Finanzprodukte, die er in E-Mails an Freunde als „Produkte reiner intellektueller Selbstbefriedigung“ bezeichnete. Sie hätten einen kleinen Frankenstein kreiert, der sich gegen seine eigenen Erfinder richtete, machte er sich in seinen E-Mails über die Schrottpapiere, die er an Großanleger in aller Welt verkaufte, lustig. Frank und frech prophezeite er – und sollte Recht behalten: „Das ganze Gebäude steht kurz vor dem Kollaps…, einziger möglicher Überlebender der fabelhafte Fab.“   

Finanzprodukte mit fatalen Folgen

Ihren katastrophalen Lauf um die Welt nahm die Finanz- und Wirtschaftskrise Mitte 2007. Die Immobilienblase in den USA platzte – zu viele finanzschwache Häuslebauer hatten Hypothekenkredite erhalten, die sich nicht abbezahlen konnten.

Verbriefte Hypothekenkredite, die nicht nur Goldman Sachs, sondern auch andere Finanzhäuser wie etwa Bank of America, Deutsche Bank, JP Morgan auf den globalen Finanzmärkten platziert hatten, verwandelten sich über Nacht in wertlose Papiere und verursachten bei Investoren Milliardenverluste. Mit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers im September 2008 stürzten die Börsen weltweit ab.

Staatliche Finanzspritzen retten das Bankensystem vor dem totalen Kollaps. Die USA stürzten in eine schwere Rezession, die Regierung spannte einen Milliardenrettungsschirm für die Wirtschaft auf. Mittlerweile haben sich die großen Institute längst von der Krise erholt.

Die Aufarbeitung der Ursachen für die Finanzkrise zog etliche Klagen nach sich, um den Banken eine Mitschuld an der Finanzkrise nachzuweisen. Geeinigt haben sich die Staatsanwälte mit den Finanzhäusern auf Vergleiche – mit der Deutschen Bank, mit Bank of America, mit JP Morgan, mit der Ratingagentur Standard & Poor’s und auch mit Goldman Sachs.

Zivilrechtliche Klagen gegen einzelne Banker? Fehlanzeige – bis auf den Fall Fabrice Tourre.

Ein ausgebufftes Derivat

Wo das Geld jetzt sicher ist
Bargeld Quelle: Sebastian_Wolf
Goldbarren und -münzenDas Edelmetall ist die Notfallreserve außerhalb des Finanzsystems schlechthin. Wer mit dem Schlimmsten rechnet, hofft, dass er kleinere Goldmünzen gegen Lebensmittel oder Medikamente tauschen kann, wenn Banken ihn nicht mehr mit Bargeld versorgen. Verwahren Anleger ihr Gold allerdings im Bankschließfach, kann es nach einer Bankpleite dauern, bis sie Zugriff bekommen. In Krisenzeiten fällt der Goldpreis mitunter. Großanleger wie Hedgefonds müssen ihren Goldbestand verkaufen, um flüchtende Anleger auszuzahlen. Da in Panikphasen andere Anlagen wie Aktien oder Anleihen stark an Wert verlieren oder illiquide werden, ist Gold dann eine der wenigen Anlagen, die sie noch zu Geld machen können. Quelle: dpa
Spareinlagen: Sparkassen/VolksbankenIhren Kunden versprechen Sparkassen, Landesbanken sowie Genossenschaftsbanken, dass sie Pleiten der zu ihrer jeweiligen Gruppe gehörenden Institute im Vorfeld verhindern. Meist geschieht das über Fusionen von schwachen mit stärkeren Mitgliedern. Kommt es zu keiner Pleite, muss auch kein Geld gerettet werden. Dadurch sollen auch Zertifikate und Anleihen vor einem Totalverlust sicher sein. Das ist ein Unterschied zu anderen Einlagensicherungssystemen. Die Solidarität funktionierte bislang, könnte aber bei der Schieflage großer Institute überstrapaziert werden. Quelle: dpa
Fresenius Quelle: Pressebild
Deutsche Börse Quelle: dapd
Investmentfonds Quelle: Wolfgang - S - Fotolia
Sparschwein Quelle: Edel Rodriguez

Der Fall Goldman Sachs schien mit der Strafe von 550 Millionen Dollar, zu der die Bank 2010 wegen Wertpapierbetrugs verdonnert worden war, abgeschlossen. Es war die höchste Geldstrafe, die die US-Börsenaufsicht (SEC) jemals verhängt hatte.

Entscheidende Informationen über Finanzprodukte mit Hypothekenpapieren hätte die Bank ihren Investoren wie der deutschen Mittelstandsbank IKB oder Royal Bank of Scotland vorenthalten, so die US-Börsenaufsicht.

Das Besondere an dem Derivat mit dem Namen Abacus 2007-AC1: Hedgefonds-Manager John Paulson war bei der Zusammenstellung des Produktes mit riskanten Immobilienkrediten beteiligt und wettete gleichzeitig auf deren Ausfälle. Davon wussten die Anleger nichts.

Als die Immobilienblase platzte, strich der Hedgefonds-Manager mit seinen Wetten auf den Ausfall dieser Hypothekenpapiere Milliarden ein. Anleger dagegen verloren nach Angaben der SEC mehr als eine Milliarde Dollar. Die deutsche IKB etwa überlebte nur dank einer Finanzspritze der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW. Goldman Sachs räumte ein, der Verkaufsprospekt habe „unvollständige Informationen“ enthalten.

Abacus-Erfinder Tourre fühlt sich unschuldig

Die Klage wegen Anlagebetrugs gegen Tourre nahm die SEC nach der Strafzahlung von Goldman Sachs aber nicht zurück.  Investment-Banker Tourre wehrt sich gegen die Vorwürfe der US-Börsenaufsicht. Er könne nicht für etwas zur Verantwortung gezogen werden, was er nicht getan habe, sagte der heute 34-jährige Franzose.

Tourre, der zurzeit an einer Doktorarbeit an der Universität von Chicago arbeitet, argumentiert, er sei nur einer von sechs Goldman-Sachs-Händlern gewesen, die an dieser Transaktion mitgewirkt hätten. Zudem hätten interne und externe Juristen von Goldman Sachs sowie die Compliance-Abteilung der Bank die Korrektheit des Finanzproduktes gescheckt. Auch einer seiner Anwälte erklärte, die Vorwürfe basierten auf Fehlern, die vielen Angestellten bei Goldman Sachs, einschließlich der Rechtsabteilung, bekannt gewesen sein.

Ob Tourre mit dem Argument, einer von vielen gewesen zu sein, der in dieser Sache verstrickt war, vor Gericht durchzukommen, bleibt abzuwarten.

Neues Exempel in der Finanzbranche?

Ihren Frust darüber, wie schwierig es ist, Bankmanager in Betrugsfällen persönlich zu belangen, ließ Elizabeth Warren, Senatorin und Vorsitzende des Bankenausschusses in Washington vor einigen Monaten freien Lauf.

Wer in den USA mit Kokain erwischt werde, der lande ziemlich sicher im Knast. Wer mehrmals ertappt werde, lande wahrscheinlich lebenslänglich hinter Gittern, sagte Warren. Wer allerdings Anlagebetrug begehe oder als Bankmanager Millionen Dollar für Drogenkartelle wasche, der zahle halt eine Strafe, ginge brav nach Hause und schlafe des Nachts seelenruhig im eigenen Bette, polterte die demokratische Politikerin.

US-Justizminister Eric Holder antwortete drauf kurz und aufschlussreich: Die großen Institute und einzelne Manager anzuklagen, hätte unweigerlich negative Folgen für die gesamte Wirtschaft, konstatierte Amerikas oberster Ankläger.

Auch fast sechs Jahre nach der Finanzkrise ist die Diskussion wie groß eine Bank sein darf, bevor sie systemkritisch wird – also „too big to fail“ ist – groß. Erst Anfang Juli einigten sich die US-Bankaufsichtsbehörden auf höhere Eigenkapitalvorschriften für große US-Institute. Risikoreiche Geschäfte sollen beschränkt werden. Die Diskussion um eine Trennung vom Investment-Banking und dem normalen Bankgeschäft plätschert weiter ergebnislos vor sich hin. Denn unklar ist, wo überhaupt die Trennlinie zwischen spekulativen und traditionellen Finanzprodukten verläuft.

Setzt Richterin Forrest ein neues Exempel bei der Aufarbeitung der Krise?

Wird also Richterin Katherine Forrest, die mit dem Fall SEC versus Tourre betraut ist, mit der Verurteilung eines Bankers zumindest ein neues Exempel bei der Aufarbeitung der Finanzkrise setzen?  Forrest, die US-Präsident Barack Obama erst vor zwei Jahren zur Richterin ernannt hat, ist jedenfalls in Sachen Wall Street und komplexen Finanzprodukte völlig unbeleckt.

Die Anwälte des Angeklagten sind das sicherlich nicht: Goldman Sachs hatte Tourre zunächst von seinem Job beurlaubt. Ende Dezember 2011 schied er aus der Bank aus. Die Kosten für den rechtlichen Beistand des Ex-Mitarbeiters übernimmt allerdings die Investment-Bank.

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