Radrennen Sportliche Zeitreise durch die Toscana

Die Eroica ist ein Radrennen mit bis zu 205 Kilometer Länge. Und eine Zeitreise in die Fahrradhistorie. Ohne Helm und Funktionskleidung durch die Toskana auf Fahrrädern, die älter als 25 Jahre sein müssen.

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Teilnehmer des Eroica Radrennens Quelle: Getty Images

Die Qual beginnt überraschend früh. Der allererste Anstieg nach wenigen Kilometern Fahrt sollte doch gehen. Soeben haben sich die Fahrer teils noch elegant aus dem Sattel gehoben, um im Wiegetritt die erste Steigung zu nehmen, da spüren sie plötzlich: Da stimmt was nicht. Ein flinker ungläubiger Blick nach hinten und unten bestätigt die schlechte Vorahnung: Bei jedem Tritt dreht das Hinterrad ein Stück weit durch, statt sich satt in den Untergrund zu beißen. So wird es nicht gehen. Schon gar nicht 135 Kilometer lang. Das ist die erste von vielen bitteren Erkenntnissen an diesem sonnigen Herbsttag in der Toskana, der so vielversprechend begonnen hatte.

Morgens um sieben am Startpunkt in Gaiole südlich von Florenz beginnt das Radrennen und mit ihm eine Zeitreise. Gaiole ist eines der typischen malerischen Nester der Toskana. Knapp 2500 Einwohner haben üblicherweise hier ihre Ruhe. Nicht jedoch einmal im Jahr zu Anfang Oktober. Während die Sonne hinter den Weinbergen aufgeht, verdreifacht am Wettkampftag das Dorf in weniger als einer Stunde die Zahl der Menschen in den Straßen.

Trotz der ungewohnten Fülle genießen Einheimische wie weit angereiste Gäste das erhebende Gefühl, in die Filmkulisse eines Giro d’Italia-Epos aus den Dreißigerjahren geraten zu sein. Die ganze Szenerie wirkt derart seltsam aus der Zeit gefallen, dass sich der Betrachter ständig die Augen reiben möchte. Da stehen Australier mit Bierbäuchen und alten Pilotenbrillen neben Kanadiern in Knickerbockern und radebrechen über Rennradschaltungen mit drahtigen Italienern, die mit ihren eingefallenen Wangen, Schlauchhelmen auf dem Kopf und Rennwollhosen an den Beinen erahnen lassen, dass sie eine lange Rennradkarriere hinter sich haben.

Willkommen auf der Eroica, dem schrulligsten Radrennen der Welt. Am 6. Oktober geht es in sein 17. Jahr und lockt inzwischen Tausende Anhänger aus allen Erdteilen an. Ein Radrennen, das nur wenige Regeln kennt, die es aber in sich haben: In der Ausschreibung stehen vier Etappen von überschaubaren 38 über nette 75, herausfordernde 135 oder mörderische 205 Kilometer. Sie werden etwa zur Hälfte auf weißen, kalkigen, Schotterpisten gefahren, jene für die Toskana typischen „strade bianche“. In Deutschland würde jeder Hobbyfahrer für diesen Straßenbelag ein gut gefedertes Mountainbike mit dicken Stollenreifen aus der Garage holen. Zugelassen sind zum Start jedoch ausschließlich historische Rennräder bis zum Baujahr 1987. Das bedeutet: Klickpedale sind verboten, die Schaltung befindet sich am Rahmen, der aus Stahl sein muss.

Für die Fahrer ist es ein technischer Rückschritt, der gelernt werden will. So gilt es, herauszufinden, dass Traktion statt durchdrehender Hinterräder im Sitzen zu vermeiden ist. Das kostet Kraft. Schon auf den ersten Kilometern zollen Teilnehmer dem Anstieg wie der schweren Technik Tribut: Sie schieben. Schweißtriefend in Wollhosen, die sich im Gegensatz zu modernen atmungsaktiven Geweben schön vollsaugen. Selbst die langsame Fahrt wirbelt weiße Staubschleppen auf, sie vernebeln im Fahrerfeld, der Staub brennt in den Augen, die noch immer intensive Oktobersonne bringt zusätzliche Pein.

Ein Vintage-Trend

Diesen Sport können Sie getrost auch drinnen machen
Wer Geschwindigkeit liebt, für den eignen sich Indoor-Kartbahnen. So kommen Motorsportfans auch im Winter auf ihre Kosten. Quelle: REUTERS
Und wer glaubt, dass Surfen und Tauchen nur im Urlaub möglich sind, der irrt. Viele Schwimmbäder bieten Tauchkurse an und sogar Surfen im Wellenbad ist im Winter möglich. Allerdings sind die Kurse nicht ganz billig. Quelle: dpa
Selbst Strandfeeling ist im Winter gegen einen kleinen Aufpreis zu haben. Nur das Meer fehlt beim Indoor-Beachvolleyball. Quelle: dpa
Hallensand gibt es natürlich auch für Golfer, die im Winter nicht auf ihr Hobby verzichten wollen. Quelle: dpa Picture-Alliance
Wer auch im Winter Ausdauer und Schnelligkeit trainieren möchte, für den eignet sich Squash. Für alle Ballsportfans das ideale Winter-Workout. Quelle: dpa Picture-Alliance
Und wer Spaß am Fangenspielen hat, kann das auch im Winter tun. Wahlweise beim Paintball oder beim Lasertag geht es mit kleinen Farbkugeln oder Laserpistolen auf die Jagd nach Arbeitskollegen oder Freunden. Das macht Spaß und ist gut für die Ausdauer. Quelle: dpa Picture-Alliance
Für Abenteuerlustige und Hobby-Skater bieten Skate-Hallen neue Herausforderungen für den Winter. Quelle: dpa Picture-Alliance

Was reizt daran so viele Menschen, dass der Veranstalter inzwischen die Teilnehmerzahlen aufstocken musste? Quälten sich 1997 bei der ersten Auflage gerade einmal 82 Verrückte über norditalienische Weinberge um Siena, war das Rennen elf Jahre später mit 3000 Teilnehmern ausgebucht, dieses Jahr dürfen 5000 starten.

Ein Grund ist die derzeit in jeder Großstadt zu beobachtende Retrowelle unter jungen oder Jugendlichkeit anstrebenden Menschen. Technisch überholte Stahlrahmenrennräder sind plötzlich bevorzugtes Fortbewegungsmittel modisch orientierter Menschen. Waren Stahlrahmen mit ihren dürren Rohren namhafter italienischer Hersteller wie de Rosa, Colnago oder Bianchi vor wenigen Jahren noch für kleines Geld zu haben, legen Sammler heute gerne mehrere Hundert Euro dafür hin – nur für den Rahmen.

Versteckte Schätze

Inzwischen hat sich eine ganze Branche um den Vintage-Trend im Radeln gruppiert: Während alte Rahmenfirmen, wie Gios, plötzlich mithilfe findiger Investoren wieder zum Leben erweckt werden, ist nach dem Ledersattelhersteller Brooks nun der französische Trikotagenhersteller Le Coq Sportiv Hauptsponsor der Veranstaltung.

Die Startplätze werden verlost, Teilnahme ab dem Frühjahr über die Homepage der Veranstaltung. Von den gut 5000 Startplätzen werden knapp 30 Prozent an internationale Bewerber vergeben. Dann beginnt am Vortag eine langwierige technische Kontrolle. Bis ins Detail wird auf Authentizität Wert gelegt: Haben die Reifen ein flaches Profil unter 20 Millimetern? Sind mindestens 32 Speichen montiert? Einzige Ausnahmen: Neben klassischen Rennrädern dürfen nur auf der Kurzdistanz auch historische Lastenfahrräder oder Posträder teilnehmen.

Ein gesellschaftlicher Trend wird zur baren Münze

Nach dem Start stellen sich den Teilnehmern ganz andere Fragen. Wer nach den ersten zwei Hügeln noch keinen Plattfuß hat, ist gut dabei – auch die Mäntel sind frei von neumodischen Schmankerln wie Pannenschutz. Die spitzen Steine verlangen volle Aufmerksamkeit, die die Fahrer nur haben, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind, mit der natürlich stufenlosen Rahmenschaltung den richtigen Gang einzulegen.

Schon nach den ersten 15 Kilometern ist das Feld zerrissen, Dutzende von Plattfüßen werden am Rand geflickt, ein Stück Asphalt wirkt wohltuend wie ein Himmelbett. Die erste Versorgungsstation: Rotwein in Pappbechern zu Schinkensandwiches und eingelegten Oliven statt Iso-Getränke und Energy-Gels wird gereicht. Die Urlaubsromantik während der Strapaze ist der sportlichen Leistung abträglich. Weiter geht es mit schwerem Kopf und vollem Magen über die Hügelketten, während die Nachmittagssonne beginnt, lange Schatten zu werfen. Es wird nochmals schwerer, die fußballgroßen Schlaglöcher zu erkennen.

Die Eroica – ein Mensch und Material forderndes Event in einer Happeninggesellschaft, die einen gesellschaftlichen Trend in bare Münze verwandelt? Nicht für Gründer Giancarlo Brocci. Er wollte mit dem ersten Rennen darauf aufmerksam machen, dass in Norditalien immer mehr der alten Schotterstraßen modernem Asphalt weichen mussten. Inzwischen sind die Routen so beliebt, dass nicht nur Schilder und Reiseführer darauf hinweisen, sogar die Profis entdecken diese Art der Wegführung wieder für sich: Zum zehnten Jubiläum der Eroica wurde erstmals das Montepaschi Strade Bianche, ein Ganztagesrennen von Gaiola nach Siena, durchgeführt, ein Profirennen unter dem Dach des Radsportverbandes UCI.

Die Gedanken an zäh strampelnde Profis sind fern, während die Sonne langsam zwischen Zypressen verschwindet. Nah sind sie bei den Hosen, denn die aus Wolle sind gar keine schlechte Sache bei rapide abnehmenden Temperaturen. Verstaubt, abgekämpft und voller Eindrücke italienischer Romantik nähert sich der schönste Moment, als sich das Teilnehmerfeld völlig aufgelöst hat und jeder Fahrer irgendwann allein mit sich, dem Fahrrad und der Landschaft ist. Unter einem kratzend und scharrend die Reifen auf dem Schotter, über einem das Blau des Himmels, am Horizont die Geschlechtertürme von Siena. Wer gut zehn Stunden und 135 Kilometer nach dem Start erschöpft am Ausgangspunkt in Gaiole wieder eintrifft, und in die Zieleinfahrt einbiegt, dem brennt sich auch unter dem lauten Applaus der Dorfbevölkerung ein: Heldengeburten sind eine zähe Angelegenheit.

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