Das gilt vielleicht in der Theorie. Praktisch aber könnte die Fed ein Börsenbeben auslösen und damit auch die Realwirtschaft schwächen. Die Arbeitslosigkeit könnte ansteigen.
Die Märkte stehen nicht im Mittelpunkt der Entscheidung. Es ist nicht Aufgabe einer Notenbank, mit billigem Geld die Aktienhausse am Laufen zu halten. Das haben sie natürlich in den vergangenen Jahren gemacht, es ist eine Begleiterscheinung der Geldpolitik. Ich nehme auch an, es gibt einen Impuls bei der Fed, ein Börsenbeben verhindern zu wollen. Die Nervosität an den Märkten könnte eine Entscheidung verzögern. Den Entschluss, zu handeln, darf und wird aber nicht durch die Aktienmärkte beeinflusst werden.
Sie glauben also, die Fed hebt die Zinsen an?
Ja. Ich denke, wir werden noch in diesem Jahr eine erste Zinsanhebung bis zu einem Viertelprozentpunkt sehen. Wir leben seit 2008 in Extremzeiten. Die Niedrigzinspolitik kann nicht ewig so weitergehen. Wenn wir jetzt nicht die Zinsen anheben, dann werden wir sie nie mehr erhöhen. Ich wiederhole mich: Es gibt keine Gründe, die Zinswende über das Jahr hinaus aufzuschieben. Die Fed muss behutsam vorgehen, das wird sie aber auch tun. Ein Leitzins von 0,25 oder 0,5 Prozent darf die Märkte nicht in Aufruhr bringen.
Schon die Spekulationen über eine mögliche Leitzinsanhebung aber haben doch die Kurse bewegt.
Die Märkte sind volatil, die Diskussion um die Fed-Politik hat vielleicht auch die Märkte bewegt, aber sie hat definitiv nicht zu dem Einbruch geführt, den wir Ende August gesehen haben. Da haben andere Faktoren – das Verhalten der Hedgefonds, die Realwirtschaft in den Schwellenländern – eine weitaus wichtigere Rolle gespielt. Zudem: Eine 100-prozentige Sicherheit, ob ein Zinsschritt angemessen ist, gibt es nie. Gleichzeitig gilt: Sie können auch den richtigen Moment für eine Anhebung verpassen – und zu spät handeln.
Stichwort Schwellenländer. Eine Zinsanhebung der Fed könnte Staaten wie Brasilien, die Türkei oder Indonesien in eine Depression stürzen. Ihre Verschuldung, in US-Dollar, würde hochschnellen. Muss die Fed darauf Rücksicht nehmen?
Das ist eine politische Frage. Wenn Sie diese Frage der Fed-Chefin Janet Yellen stellen würden, können sie keine Antwort erwarten. Die Frage ist zu heikel.
Aber ich stelle ja auch nicht Janet Yellen die Fragen, sondern Ihnen. Sie sind nicht bei der Fed.
Ich schätze Janet Yellen sehr. Sie ist eine ausgezeichnete Ökonomin und ich habe sie als eine integre Persönlichkeit kennengelernt. Deshalb will ich vor der Entscheidung kein Öl ins Feuer gießen.
Die Fed hat die Lateinamerika-Krise mit einer Zinsanhebung ausgelöst.
Stimmt. Die Frage ist: Welche Lehren sollen wir daraus ziehen? Selbst wenn die Fed nur an den USA interessiert wäre, würden die Folgen doch Auswirkungen auf die Politik haben. Präsident Barack Obama wird sich im Ausland rechtfertigen müssen – auch wenn die Fed natürlich unabhängig entscheidet. Aber das wird vermengt werden. Vielleicht würden ganz konkrete politische Pläne, etwa die Schaffung von Freihandelsabkommen mit internationalen Partnern, aufgrund der Zinsstreitigkeiten scheitern. In der Realität ist es also keine gute Idee, nur auf sich zu schauen – und schon gar nicht, dies massenmedial zu verbreiten. Wenn Sie fragen, warum Janet Yellen den Job bei der Fed angenommen hat, denke ich lautet ihre diplomatische Antwort: Weil sie den USA und der Welt dienen will.