Robert Shiller "Zu 70 Prozent erleben wir bald einen Crash"

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"Vielleicht noch zwei Jahre bis zum Crash, vielleicht auch schneller"

Sie verschweigen die positive Ausnahme: 1998 lag das Shiller-KGV bei 35. Die Märkte stiegen noch zwei Jahre lang.

Tatsächlich sind wir 1998 gut davongekommen – obwohl Russland vor der Zahlungsunfähigkeit stand und die Weltwirtschaft Schaden zu nehmen drohte. Aber anscheinend hat die Überwindung der Asienkrise und der Internethype die Märkte damals noch weiter getrieben. Vergleicht man die nackten Zahlen, ähneln die Werte heute im S&P 500 tatsächlich eher den Gegebenheiten von 1998 denn von 2000 oder 2007. Möglich, dass wir noch zwei Jahre bis zum Crash haben. Vielleicht geht es aber auch schneller.

Einen Teil der Verluste haben die Märkte inzwischen wieder gutgemacht. Also noch einmal: Haben die Märkte nur Luft für einen Angriff auf neue Rekordhöhen genommen – oder erleben wir derzeit die Vorzeichen eines großen Crashs?

Ein Crash ist denkbar, ja. Fakt ist: Der Dow-Jones-Index ist Ende August in fünf Tagen um zehn Prozent gefallen. Korrekturen im zweistelligen Bereich im US-Leitindex gab es seit 1950 genau 29 Mal. Aber: Nur neunmal geschah der Absturz innerhalb von fünf Tagen. Ich würde das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Zumal die psychologischen Effekte gewaltig sind. Die Verunsicherung der Marktteilnehmer ist mit den Händen zu spüren. Es kann ganz schnell zu einem Herdentrieb und einer regelrechten Verkaufswelle kommen.

Welches Szenario ist wahrscheinlicher: Dass der Crash noch auf sich warten lässt – oder dass wir zeitnah einen weiteren Einbruch der Aktienmärkte sehen?

Zu 30 Prozent steigen die Märkte in den kommenden Jahren über die bisherigen Rekordhöhen hinaus an. Zu 70 Prozent erleben wir zeitnah einen Crash. Die letzte Rezession ist acht Jahre her. Normalerweise gibt es regelmäßig spätestens alle zehn Jahre einen Wirtschaftseinbruch. Was wir derzeit sehen, könnten die Vorboten einer neuen Krise sein.

Wo sehen Sie – im Fall der Fälle – das Tief des Dow Jones?

Ich halte den Dow bei einem Niveau von 10.000 bis 11.000 Punkten für gesund bewertet. Das wäre ein Sturz um rund ein Drittel; weniger rabiat also als 2000, als die Märkte um die Hälfte nachgaben.

Welche Folgen hätten ein Einbruch der US-Märkte für Europa und den deutschen Leitindex Dax?

Wir leben in einer globalisierten Welt. Selbst wenn die Europäische Zentralbank, wovon ich ausgehe, noch länger an ihrer Niedrigzinspolitik festhält, wird sie damit Europa nicht vor den Ansteckungsgefahren schützen können. Der Euro wird abwerten, damit steigen die Chancen für die europäischen Exporteure. Aber: Das hilft ihnen nichts, wenn Märkte wegbrechen. Wenn in den USA Geld vernichtet wird, wenn die Nachfrage in Asien einbricht, dann werden der Dax und die anderen europäischen Indizes nach unten rauschen. Der Dow-Jones-Index gibt die Richtung vor.

Eine erste Tendenz, wie sich der US-Leitindex entwickelt, könnte am kommenden Mittwoch fallen. Dann kommt die US-amerikanische Notenbank, die Federal Reserve (Fed), zusammen und entscheidet über eine Anhebung des Leitzins. Glauben Sie, die Zentralbank leitet die Zinswende ein?

Das ist die 1-Million-Dollar-Frage. Ich weiß es nicht. Ähnlich wie bei der Frage nach einem Börsencrash hilft der Blick auf die Fakten. Wichtig ist zunächst zu wissen, dass die Fed mit ihrer Zinspolitik drei Ziele verfolgt: stabile Preise, eine hohe Beschäftig und moderate langfristige Zinsen. Die Inflation in den USA ist gering. Zuletzt lag die Inflationsrate in den USA im Jahresvergleich nur bei 0,2 Prozent. Wenn man nur die Energie- und Nahrungsmittelpreise berücksichtig, kommt man auf einen Wert von 1,2 Prozent.

Ein Wert, der unter den angestrebten zwei Prozent liegt.

Richtig. Die Fed muss deswegen also nichts tun. Punkt zwei: die Beschäftigungssituation. Wir haben in den vergangenen Jahren einen Aufschwung am Arbeitsmarkt erlebt. Derzeit sind 5,3 Prozent der Menschen auf Jobsuche – das ist der niedrigste Stand seit Herbst 2008 und vollkommen im grünen Bereich. Der Arbeitsmarkt spricht also nicht dafür, eine Zinsanhebung aufzuschieben.

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