Am Montagmorgen konnte die Nachricht endlich verkündet werden. Urbanara, ein Online-Markt für Heimtextilien und Wohnaccessoires, wird in wenigen Tagen eines der größten Crowdinvesting-Projekte Europas abschließen. Insgesamt drei Millionen Euro sammelte das Berliner Unternehmen über die Crowdinvesting-Plattform Bergfürst ein, rund 1000 Investoren zeichneten die 300.000 Aktien.
Damit hat auch die Crowdbörse Bergfürst endlich ihren ersten Erfolg zu verzeichnen. Am kommenden Montag soll die Notierung starten, die Urbanara-Aktien können auf der Bergfürst-Plattform erstmalig gehandelt werden. „Der Bergfürst tritt jetzt aus dem Nebel“, kommentiert Bergfürst-Gründer Guido Sandler den lang ersehnten Börsenstart. Denn Sandler und sein Kollege, StudiVZ-Mitgründer Dennis Bemmann, mussten lange auf den Start von Bergfürst und die erste Emission warten. Da das Onlineportal Finanzierungen im Millionenbereich bietet und die Anteile der Unternehmen auf der Plattform wie an einer Börse handelbar sind, brauchten die Berliner eine Lizenz der Finanzaufsicht BaFin. Auch die Wertpapierprospekte der Emittenten müssen jeweils von der Bonner Aufsicht geprüft werden.
Als mit Urbanara endlich der richtige Emittent gefunden war, musste auch noch die Zeichnungsfrist verlängert werden. Fanden sich nicht genug Interessenten für die Papiere? Zumindest laut Bergfürst gab es dafür einen anderen Grund. Denn zwischendurch verkündete die Berliner Volksbank, sich an der Crowdbörse zu beteiligen. „Wir wollten den Kunden der Volksbank ebenfalls genug Zeit für die Zeichnung der Urbanara-Papiere einräumen“, erklärt Bergfürst-Gründer Sandler. Nachdem die Beteiligung der Volksbank verkündet worden sei, hätten auch die Nutzerzahlen bei Bergfürst noch einmal zugelegt.
Mit Bergfürst rückt erstmalig ein regulierter Player in den Fokus der immer größer werdenden Crowdfunding-Szene in Deutschland. Bisher waren es vor allem Plattformen wie Seedmatch, Innovestment oder Companisto, die das Bild der Schwarmanleger in Deutschland bestimmten. Beim Crowdinvesting sammeln Startups Geld von vielen Kleinanlegern. Diese erhalten dafür eine Beteiligung an dem Jungunternehmen. Erzielt das Startup am Ende Gewinne oder wird lukrativ verkauft, versprechen die Plattformen Chancen auf eine Rendite im zweistelligen Bereich.
Der Markt wächst stetig. Allein über Seedmatch, der erste Crowdinvesting-Anbieter in Deutschland, haben bereits über dreißig Startups Kapital eingesammelt, insgesamt haben die Schwarminvestoren über 8,7 Millionen Euro investiert. Mit der ersten Bergfürst-Emission dürfte der Crowdinvesting-Markt in Deutschland insgesamt jenseits der sieben Millionen-Marke liegen.
Deshalb wollen immer mehr Unternehmen in den wachsenden Markt einsteigen. International starten Konzerne wie Google oder Vodafone ihre eigenen Crowdinvesting-Projekte. In Deutschland setzt beispielsweise die Volksbank Bühl auf Schwarmfinanzierung. Bei „Viele schaffen mehr“ sollen vor allem regionale Projekte unterstützt werden, aktuell können Investoren den lokalen Sportverein SV Bühlertal bei der Finanzierung eines neuen Kunstrasens unterstützen.
Wachstum mit Nebenwirkungen
Das steigende Interesse darf allerdings nicht das gleichbleibend hohe Risiko der Investments überdecken. Denn für Anleger handelt es sich um hochriskantes Wagniskapital, welches sie in die Startups investieren. Schließlich handelt es sich in der Regel um Jungunternehmen, deren Geschäftsidee sich noch nicht am Markt behauptet hat. Ralph Beck, der an der Fachhochschule Dortmund über Crowdinvesting forscht, geht davon aus, dass jedes Vierte der schwarmfinanzierten Projekte scheitern wird. Andere Branchenkenner beziffern die Ausfallquote deutlich höher auf bis zu 80 Prozent. Für die Anleger würde das Totalverlust bedeuten.
Bisher musste mit betandsleep lediglich ein Startup den Betrieb einstellen. Das Unternehmen, welches über Seedmatch Investoren sammelte, wollte hochwertige Hotelzimmer vermitteln. Letztlich konnte keine Anschlussfinanzierung auf die Beine gestellt werden. Nach Ansicht von Beobachtern droht das noch einigen der schwarmfinanzierten Jungunternehmen. Denn die Qualität der Startups, die auf Crowdinvesting setzten, lasse oft zu wünschen übrig, so ein Brancheninsider. Viele würden zunächst nach einem Wagniskapitalgeber suchen. Erst wenn der sich nicht für die Geschäftsidee interessiert, wird auf die Crowd gesetzt. Und ist die Crowd erst mal mit im Unternehmen drin, sind professionelle Investoren oft skeptisch.
Gleichzeitig konkurrieren immer mehr Portale um die Startups. „Der Markt konzentriert sich stark auf Seedmatch, Companisto und Innovestment“, erklärt Lars Hornuf. Der Rechtswissenschaftler forscht an der LMU München und beschäftigt sich seit längerem mit Crowdinvesting. Für kleinere Portale sei es da schwer, Fuß zu fassen, so Hornuf. Der Konkurrenzdruck hat auch Auswirkungen auf die Auswahl der Startups, die von den Plattformen vorgenommen wird. Startups, die bei der einen Plattform abblitzen, weil die Geschäftsidee nicht überzeugt, tauchen letztlich bei anderen Anbietern wieder auf. „Mitunter entscheiden Plattformen sehr kurzfristig, ob sie ein Startup auf ihrem Portal haben wollen oder nicht“, sagt Hornuf. Auch Branchenkenner berichten von hohem zeitlichen Druck, unter dem die jungen Unternehmen von den Plattformbetreibern ausgewählt würden. Geschäftszahlen spielten da kaum eine Rolle, wichtig sei lediglich, dass sich die Geschichte gut verkaufen lasse. Größere Portale wie Seedmatch verweisen allerdings auf einen mehrstufigen Auswahlprozess. „Im ersten Quartal dieses Jahres haben sich bei uns insgesamt 300 Startups beworben“, sagt Dana Melanie Schramm von Seedmatch. „Davon haben es gerade einmal neun auf die Plattform geschafft“. Die anderen wurden von der Dresdner Plattform abgelehnt.
Aus Anlegersicht ist ein strenger Auswahlprozess enorm wichtig, schließlich bildet er eines der Qualitätskriterien. Trotzdem wird es immer wieder zu Pleiten kommen, und mit jeder Insolvenz dürfte die Diskussion um mehr Regulierung im Crowdinvesting lauter werden. Denn noch ist der Markt weitestgehend unbeaufsichtigt. „Die Frage der Aufsicht wird unumgänglich sein“, sagt Hornuf und verweist dabei auf Länder wie Österreich oder Italien, in denen entsprechende Gesetze gerade auf den Weg gebracht wurden. Die USA, das Geburtsland des Crowdfunding, haben mit dem JOBS-Act schon lange eine solche Richtlinie verabschiedet.
Regulierung als zentrale Frage
Auch Bergfürst-Chef Sandler setzt sich für mehr Aufsicht ein. „Mehr Regulierung im Crowdinvesting wäre begrüßenswert“, sagt Sandler. Wichtig sei Transparenz, der Anleger müsse genau wissen, in was er investiert. Kein Wunder, schließlich ist Sandler bisher der einzige, der seine Plattform von der Finanzaufsicht kontrollieren lässt. Dem Anleger soll das vor allem Sicherheit und Transparenz bringen. „Wir wollen eine fundamentale Börse ohne Zockerei“, sagt Sandler. Trotzdem kommen bei Beobachtern Zweifel auf. „Was passiert, wenn es auf der Plattform zu Insiderhandel oder Marktmanipulation kommt“, fragt Wissenschaftler Hornuf.
Wie berechtigt die Frage ist, zeigt das Beispiel des Seedmatch-Gründers Jens-Uwe Sauer. Er hat bisher einen Großteil der bei den Dresdnern finanzierten Startups investiert. Die Investitionen seien eine rein private Sache, Konflikte sehen die Dresdner offensichtlich nicht. Denn: „Auch wir können nicht besser als die Crowd voraussagen, welche Startups erfolgreich sein werden und welche nicht", sagt Schramm.
Letztlich ist im Fall Bergfürst die BaFin dafür zuständig, Marktmanipulationen gegebenenfalls auf die Spur zu kommen. Ob das realistisch ist? Zwar unterliegt Bergfürst der Aufsicht, die Bonner prüfen unter anderem die Wertpapierprospekte der jeweiligen Emittenten. Allerdings sei Crowdinvesting insgesamt bei der BaFin nur ein „kleines Thema“, wie ein Sprecher der Aufsicht gegenüber WirtschaftsWoche Online erläutert.
Das liegt in erster Linie daran, dass fast alle Plattformen in der unregulierten Grauzone operieren. Bergfürst ist eine Ausnahme. Die Konkurrenz von Seedmatch, Companisto oder Deutsche Mikroinvest hat sich andere Konstrukte gebaut, um die Prospektpflicht zu umgehen. Während der Anleger bei einigen Anbietern, wie beispielsweise der Deutsche Mikroinvest, eine stille Beteiligung an den Startups erwirbt, sind die Marktführer Seedmatch und Companisto mittlerweile auf partiarische Nachrangdarlehen als Beteiligungsform umgestiegen.
Der Grund: Mit Hilfe des Darlehens ist es für die Startups möglich, auch größere Geldsummen bei den Schwarminvestoren einzusammeln. Während mit der stillen Beteiligung nur Summen bis zu 100.000 Euro möglich waren, können jetzt deutlich größere Finanzierungen auf die Beine gestellt werden. Das Startup AoTerra sammelte im Sommer über Seedmatch eine Million Euro ein. Insgesamt 883 Schwarmanleger beteiligten sich an den Dresdner Startup, welches Häuser mit der Abwärme von Computerservern beheizen will. Wonderpots, eine Frozen-Yoghurt-Kette, bekam auf Companisto immerhin eine halbe Million Euro zusammen.
Investieren, aber nur mit Spielgeld!
Für die Plattformen sind diese Summen lukrativ – sie finanzieren sich in der Regel mit Provisionen, die sich nach der jeweiligen Finanzierungssumme richten. Was die Anbieter freut, ist für Anleger mit Risiken verbunden. Beim partiarischen Nachrangdarlehen beteiligen sich Anleger nicht am Fremdkapital, sondern am Eigenkapital. Im Erfolgsfall werden Investoren entsprechend ihrer Beteiligung am Unternehmenswert beteiligt. Das passiert entweder nach Ende der Beteiligung oder dann, wenn das Startup von einem Investor übernommen wird.
Allerdings wird nicht jede Gründung zum neuen Twitter oder Facebook. Das Darlehen wird nachrangig bedient, im Falle einer Pleite bekommt die Crowd ihr Geld also – wenn überhaupt – ganz zum Schluss. „Bei einem partiarischen Darlehen ist das Risiko des Totalverlusts hoch. Gleichzeitig sieht es für den Anleger aber auch auf der Chancenseite schlecht aus“, warnt Sandler. Dieses Missverhältnis würde allerdings oft verschwiegen, so der Bergfürst-Gründer. Forscher Beck stuft das Investment aus Anlegersicht als eine Mischung aus Lotto und Aktie ein, allerdings mit größerer Nähe zur Aktie. Allerdings: „Mit partiarischen Nachrangdarlehen, Genussscheinen oder stillen Beteiligungen haben Anleger weniger Rechte als bei Aktien“, sagt Hornuf. Mitspracherechte gäbe es beispielsweise keine.
Fazit: Grundsätzlich ist Crowdinvesting eine schöne Sache, wenn damit junge Unternehmen und ihre Ideen gefördert werden. Wer gezielt investieren will, muss sich allerdings immer vor Augen halten, dass das Risiko des Totalverlusts bei derartigem Wagniskapital extrem hoch ist. Crowdinvesting ist keine Altersvorsorge, sondern ein gutes Investment für das sogenannte Spielgeld, was übrig ist. Anleger sollten sich selber über ihre jeweiligen Rechte informieren. "Die Beteiligungsverträge sind von Portal zu Portal unterschiedlich“, sagt Wissenschaftler Hornuf. Startups und Investoren müssten genau schauen, womit sie es zu tun haben. Wichtig ist insbesondere, nicht nur in ein Startup zu investieren, sondern sein Portfolio zu diversifizieren. Bei zehn Beteiligungen ist die Chance größer, dass ein oder zwei Erfolge dabei sind.