So wird 2018 Schafft der Mensch sich ab, Herr Opaschowski?

Wie wird 2018? Quelle: Illustration

Zukunftsforscher Horst Opaschowski wagt für uns den Blick in eine Zukunft, die unheimlich faszinierend werden könnte – oder einfach nur unheimlich. Wir haben es in der Hand. Noch.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Ausgerechnet das einst politisch leicht berechenbare Deutschland ist plötzlich nicht einmal mehr in der Lage, eine Regierung zu bilden. Welche Folgen hat das für uns und Europa?
Horst Opaschowski: Die Stabilitätsoase Deutschland ist ausgetrocknet. Über allem steht die Sorge um die soziale Sicherheit des Landes und um die eigene Zukunft. Aber nicht allein wegen der deutschen Schwäche hat Europa seine Identität verloren. Zwischen London und Paris, Berlin und Budapest liegen Welten – politische, soziale und kulturelle. Die Durchsetzung von Eigeninteressen der Parteien in Deutschland und die nationalen Egoismen in Europa werden zur Zerreißprobe für den Zusammenhalt. Die deutsche Leitkultur und die europäische Wertegemeinschaft haben ihre Durchsetzungskraft verloren.

Zur Person


Nationale Egoismen werden häufig als Populismus bezeichnet. Werden wir uns an den Populismus als politische Kraft gewöhnen müssen?
Es ist ein Teufelskreis. Einerseits wirft man der Politik vor, vorbei am Lebensgefühl der Bevölkerung zu reden und zu handeln. Andererseits wird jede emotionale Strategie, die auf aktuelle Stimmungen und Strömungen setzt, als populistisch und opportunistisch gebrandmarkt.

Übrigens auch in den Medien gehören populistische Reizthemen, die beim Zuschauer Ängste auslösen, zum Alltag. An die Skandalisierung von Politik, Medien und Gesellschaft auf der Weltbühne werden wir uns tatsächlich gewöhnen müssen. Einschaltquoten und Wählerstimmen werden durch Stimmungen gemacht und im Zeitalter der Digitalisierung in Gedankenschnelle weltweit verbreitet. Auch das erklärt, warum sich Skepsis und Zukunftszweifel in der Bevölkerung ausbreiten und Zukunftshoffnungen zu verdrängen drohen.


Welche Führungspersönlichkeiten können uns aus dem Stimmungstief heben? Sind eher Visionäre oder Pragmatiker gefragt? Wer aus den politisch gemäßigten Klimazonen kann rücksichtslosen Akteuren wie Trump, Putin, Erdogan oder Kim Paroli bieten?
Die Visionäre gehen, die Macher kommen. So sieht es aktuell in der politischen Landschaft aus. Dabei dominiert die Rücksichtslosigkeit über die Rücksichtnahme, die Lüge über die Ehrlichkeit, das Misstrauen über die Verantwortung. Und politische Führer gleichen Autokraten. Machtzwecke heiligen fast jeden Führungsstil. Ihre Frage nach den idealen Eigenschaften einer Führungspersönlichkeit scheint deshalb deplatziert.

Die Frage war kein Ruf nach einem Messias. Anders ausgedrückt: Werden in der Zukunft eher ausgeklügelte Systeme oder eher charismatische Persönlichkeiten die entscheidende Rolle spielen?
Die Intelligenz kalter Systeme und abgeklärte Politprofis üben keine Faszination auf Menschen aus, sie langweilen eher. Daher wächst auch die Sehnsucht der Deutschen nach charismatischen Persönlichkeiten mit der Aura eines Kennedy, Obama, Macron oder Trudeau. Leider vermisse ich entsprechende Hoffnungsträger in Deutschland, die Lust auf Zukunft machen. Mit bühnenreifen Balkonszenen wie während der Sondierungsgespräche in Berlin ist kein Staat zu machen, solange Politiker Inszenierungen mit Innovationen oder gar Visionen verwechseln.

Die Psychologisierung des Computers steht bevor

Die Entwicklung intelligenter Systeme und Roboter schreitet voran. Schafft sich der Mensch wirklich wie erhofft wertvolle Helfer an oder eher sich selbst ab?
Die digitale Revolution bewegt sich in Richtung einer „KIvolution“. Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) kennt kaum noch Grenzen. Die Psychologisierung des Computers steht unmittelbar bevor. Das ist unheimlich faszinierend, wobei ich hier die Betonung auf unheimlich lege. Wenn das Gehirn gescannt und im Computer dupliziert wird, dann müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen. Aus vermeintlich wertvollen Helfern werden technologische Assistenzsysteme, die uns psychometrisch vermessen und sich dadurch verselbstständigen können. Unser Persönlichkeitsprofil und individuelles Lebensdossier gehört dann nicht mehr uns allein. Der Mensch schafft sich vielleicht nicht selbst ab, aber er verliert die Kontrolle über sich selbst.


Abschaffung und Kontrollverlust dürften wohl nahe beieinander liegen. Welches Ereignis in 2017 empfanden Sie als besonders prägend oder besonders aufmerksamkeitswürdig?
Die Übernahme der US-Präsidentschaft durch Donald Trump am 20. Januar war für mich der politische „11. September“ des Jahres 2017. Seine Präsidentschaft kam einem globalen Erdbeben gleich. Sein Politikstil bereitet mittlerweile den Boden für „Fake News“ und „Alternative Fakten“, für Rechtspopulismus und Hasskriminalität weit über Amerika hinaus.

Gab es 2017 auch positiv prägende Persönlichkeiten?
Zu den prägenden Persönlichkeiten des Jahres 2017 zähle ich Papst Franziskus, der Mut, Weitsicht und Sensibilität bei der Reise nach Myanmar und Bangladesch bewiesen hat. Gern würde ich auch noch mal den Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg hervorheben, über den wir schon in unserem zurückliegenden Jahresausblick gesprochen haben. Rosberg hat auf dem Höhepunkt seiner Lebenskarriere abgedankt, in der Familie und Kinder wieder das Wichtigste im Leben sind.


Was bedeutet der Begriff Lebenskarriere?
Traditionell verstehen wir Karriere als die vom Rest des Lebens sauber abgetrennte berufliche Entwicklung. Man könnte diese aus meiner Sicht willkürliche Trennung auch als eine biografische Amputation betrachten. Viel zukunftsfähiger finde ich es dagegen, eine gesunde Mischung aus Job, Familie und Ehrenamt anzustreben. Das meine ich mit dem Begriff Lebenskarriere.
Sehen Sie eine prägende Entwicklung oder einen globalen Risikofaktor, dem Gesellschaft und Entscheider noch nicht die erforderliche Aufmerksamkeit entgegengebracht hätten?
Gemeinsam mit dem Ipsos Institut habe ich gerade repräsentativ ermittelt, was die Deutschen vom neuen Jahr 2018 erwarten. Natürlich gibt es Hoffnungen und Wünsche, aber die ungelösten Probleme der letzten Legislaturperiode werden in das kommende Jahr wie eine schwere Hypothek mitgeschleppt: Fremdenfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft, Kriminalität und gefühlte Wohnungsnot sorgen für Verunsicherungen, für persönliche Abstiegs- und Verlustängste – und das trotz wirtschaftlicher Rekordmeldungen. Eigentlich wollen die Deutschen nur eins: Angst- und sorgenfrei in die nahe Zukunft schauen. Wenn die hoffentlich bald aufgestellte neue Regierung das den Bürgern nicht ‚verbürgt‘, ist der soziale Frieden gefährdet. Parteien könnten dann ihre Legitimation verlieren und wir wären im postdemokratischen Zeitalter angekommen.

Diese Jobs sind durch die Digitalisierung entstanden


Wie jedes Jahr die Schlussfrage: Welches wäre aus Ihrer Sicht das passende Wort oder Unwort des Jahres?
Mein Wort des Jahres heißt „Politikerverdrossenheit“ als Folge der gescheiterten Sondierungsgespräche. Und das Unwort des Jahres 2017 kann für mich nur lauten: „Fake News“ für die in manipulativer Absicht verbreiteten Falschmeldungen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%