Ihren aktuellen Druckauftrag muss sie geheim halten. Deshalb kann Christine Becker gerade keinen Blick in die Live-Produktion der Sparbücher zulassen. Sie hat ihrer Kundin, einer Bank, versprochen, dass niemand erfährt, wo die ihre Sparbücher produziert.
Die 52-Jährige leitet in vierter Generation die Druckerei F.W. Becker in Arnsberg, eine der wenigen Druckereien in Deutschland, die Banken noch mit Sparbüchern beliefern. Und auch heute zählt Verschwiegenheit als hohes Gut für Kunden aus der Bankbranche.
Zwar glänzt die Druckerei im Zentrum Arnsbergs zur Straße hin mit einer modernen Glasfront, die einen Blick in die Produktion zulässt. Doch die Sparbücher stellt Becker abgeschirmt von neugierigen Blicken der Passanten im hinteren Teil des Gebäudes her, einem Saal, so groß wie ein Tennisfeld. Nur eine Handvoll Mitarbeiter hat Zutritt. Schon seit 1938 laufen hier die Sparbücher über das Fließband, die das Verlangen deutscher Anleger nach Sicherheit verkörpern. Und weil Christine Becker darauf bedacht ist, die ihrer Kundin zugesicherte Diskretion einzuhalten, kann sie heute nur die Produktion eines Sparbuch-Musters zeigen. Eines der fiktiven Sparkasse Überall. Das könnte die Sparkasse Arnsberg-Sundern sein, die bei Becker ihre Sparbücher druckt. Oder eine VR-Bank aus Norddeutschland. Oder eine von etlichen Banken im Ausland.
Ausgangspunkt eines Sparbuchs sind Papierbögen, die Becker von einem Papierhersteller geliefert bekommt, in denen bereits Wasserzeichen der jeweiligen Bank eingelassen sind. Ein paar davon mit dem breiten S-Logo der Sparkassen liegen jetzt in der Stapelmaschine am ersten Fließband. Einige Maschinen stammen noch aus den Siebzigerjahren. Ihre Arbeit machen sie weiterhin verlässlich. Aus vier Lagen der Stapelmaschine fallen die DIN-A5-Papierbögen auf dem Fließband übereinander. So wird ein Sparbuch mit zwölf Seiten daraus. Jedes Blatt schmiegt sich auf den Millimeter über das andere. Dann lässt sich der Stapel an der nächsten Station am Fließband einmal in der Mitte falten. Schließlich rattert er geplättet in eine Nähmaschine, die ihm in Sekundenbruchteilen die Falz mit einem Kunststofffaden aus Polyester vernäht.
Auf der nächsten Förderstraße wartet ein Topf Leim auf die Papierbögen. Was jetzt ansteht, könnte man Hochzeit nennen, ähnlich dem Vorgang bei der Autoproduktion, wenn Karosserie und Motor eins werden: Der vernähte Stapel aus blassgrauen Papierbögen bekommt hier seinen roten Buchrücken aufgeklebt. Aus dem Papier wird die Wertanlage Sparbuch.
Noch fransen sie aus, die Sparbücher: Ein Papierrand und die Naht stehen über. Deshalb rückt ihnen in der letzten der drei Maschinen ein Messer zu Leibe, das die Papierränder ausstanzt, die Ecken abrundet und überschüssige Fäden kappt. Schon ist das Sparbuch fertig, in weniger als einer Minute.
Manche Bank lässt die Bücher noch nummerieren und ihnen einen Magnetstreifen auf die Rückseite prägen. Aber das ist schon die Sonderausstattung. Je nach Auftragsgröße und Sicherungsmerkmalen kostet die Herstellung eines Sparbuches zwischen 30 Cent und drei Euro.
Alles andere als Hochtechnologie
Ein Sparbuch verkörpert alles andere als Hochtechnologie – und doch hat es sich über Jahrzehnte als fälschungssicher bewiesen und zählt zum wichtigen Begleiter deutscher Sparer. „Selbst wenn sie es schaffen, die Naht aufzutrennen, um Seiten mit Abbuchungen rauszunehmen oder neue Guthaben-Seiten hinzuzufügen“, sagt Becker, „zerstören sie dabei immer den Buchrücken, sodass es der Bank auffällt.“
Die Druckerei stellt immer noch rund eine Million Sparbücher im Jahr her. „Anfang der Neunzigerjahre gab es eine besonders hohe Nachfrage, damals haben wir bis zu sieben Millionen Sparbücher im Jahr produziert“, sagt sie. Sie weiß, dass es kein Geschäftsbereich ist, der noch rasant wachsen wird. Schon ihrem Vater prophezeiten die Banken in den Achtzigern das Ende des Sparbuchs. „Und wir produzieren heute immer noch.“
Der Sparkassenverlag, der für die deutschen Sparer die Bücher bei den Druckereien bestellt, sagt, dass es im Niedrigzinsumfeld weniger Nachfrage nach den Sparbüchern gibt. Trotzdem: Knapp 44 Millionen Sparkonten gibt es allein bei den deutschen Sparkassen, darunter sicher ein erheblicher Teil klassischer Sparbücher.
Das mag auch an der langen Haltbarkeit der Bücher liegen. „Sie wurden schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf säurefreiem Papier gedruckt und sind bis heute erhalten geblieben“, sagt Becker.
Die Bücher müssen ihren Wert bewahren. Weil sie als Inhaberpapier wie eine Urkunde ausgestellt werden, können Besitzer damit Jahrzehnte nach der letzten Buchung noch die Auszahlung des Ersparten bei der Bank verlangen. Wer das Sparbuch vorlegt und damit abheben will, müssen die Institute nicht überprüfen. Kunden können deshalb zum Schutz zusätzlich ein Passwort mit ihrem Buch verknüpfen. Getreu dem Motto: „Fröhlich schaffen, sinnvoll sparen, hilft vor Not und Sorg bewahren“, wie es auf einem alten Sparbuch der Sparkasse zu Schwelm steht, das Christine Becker aus dem Firmentresor zieht.
In einem anderen Buch zeigt der Bankstempel aus dem Jahr 1934, dass es damals stattliche vier Prozent auf das Ersparte gab. Solche Zinsen würden bei den sicherheitsbewussten deutschen Sparern wohl auch heute wieder einen Run auf Sparbücher auslösen.