Sparbuch Haltbarkeit: unbegrenzt

Das Sparbuch ist ohne Zinsen ein Relikt vergangener Tage, dafür aber nahezu unvergänglich. Wie Wasserzeichen, Naht und etwas Klebstoff dafür sorgen, dass Sparbücher Geld über Jahrzehnte fälschungssicher aufbewahren.

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Sparbuch Quelle: dpa

Ihren aktuellen Druckauftrag muss sie geheim halten. Deshalb kann Christine Becker gerade keinen Blick in die Live-Produktion der Sparbücher zulassen. Sie hat ihrer Kundin, einer Bank, versprochen, dass niemand erfährt, wo die ihre Sparbücher produziert.

Die 52-Jährige leitet in vierter Generation die Druckerei F.W. Becker in Arnsberg, eine der wenigen Druckereien in Deutschland, die Banken noch mit Sparbüchern beliefern. Und auch heute zählt Verschwiegenheit als hohes Gut für Kunden aus der Bankbranche.

Zwar glänzt die Druckerei im Zentrum Arnsbergs zur Straße hin mit einer modernen Glasfront, die einen Blick in die Produktion zulässt. Doch die Sparbücher stellt Becker abgeschirmt von neugierigen Blicken der Passanten im hinteren Teil des Gebäudes her, einem Saal, so groß wie ein Tennisfeld. Nur eine Handvoll Mitarbeiter hat Zutritt. Schon seit 1938 laufen hier die Sparbücher über das Fließband, die das Verlangen deutscher Anleger nach Sicherheit verkörpern. Und weil Christine Becker darauf bedacht ist, die ihrer Kundin zugesicherte Diskretion einzuhalten, kann sie heute nur die Produktion eines Sparbuch-Musters zeigen. Eines der fiktiven Sparkasse Überall. Das könnte die Sparkasse Arnsberg-Sundern sein, die bei Becker ihre Sparbücher druckt. Oder eine VR-Bank aus Norddeutschland. Oder eine von etlichen Banken im Ausland.

Deutsche mögen Gold, halten aber am Sparbuch fest
Fragt man die Deutschen nach attraktiven Anlageformen, sind sie sich weitgehend einig: Das Eigenheim, die betriebliche Altersvorsorge und Gold. Trotzdem setzt das Gros immer noch auf renditearme Sparbücher, Tages- und Festgeldkonten, wie das Investmentbarometer der GfK zeigt. Hier erfahren Sie, wie groß die Diskrepanz zwischen Einschätzung und Umsetzung ausfällt.Zur Studie: Seit 1999 untersucht das GfK-Investmentbarometer, wie sich Privatanleger in den USA und Europa verhalten. Für die aktuelle Studie haben die Konsumforscher im November 2016 in Deutschland, den USA, Italien, Frankreich und Großbritannien rund 5000 Menschen danach befragt, welche Finanzanlagen die Menschen besitzen und wie attraktiv sie verschiedene Sparmöglichkeiten und Finanzprodukte finden. Allein in Deutschland wurden 2000 Menschen befragt. Quelle: dpa
Rang 1: ImmobilienDie attraktivste Form der Geldanlage ist für die Deutschen die eigene Immobilie. 76 Prozent der Befragten gaben an, dass Investitionen in eine private Wohnung oder ein Haus attraktiv oder sehr attraktiv seien. De facto haben hierzulande aber nur 46 Prozent ihr Geld in eine Immobilie investiert. Auch für die Franzosen, Italiener und Briten sind Immobilien die attraktivste Form der Geldanlage. Quelle: dpa
Rang 2: Betriebliche AltersvorsorgeUm sich auf dem Altenteil nicht auf die gesetzliche Rente verlassen zu müssen, sorgen Millionen Bundesbürger vor. Die beliebteste Form: die betriebliche Altersvorsorge, auf die seit 2002 jeder Arbeitnehmer qua Gesetz Anspruch hat. Arbeitnehmer können einen Teil ihres Gehalts oder Sonderzahlungen als Beiträge in ihre betriebliche Altersvorsorge einzahlen. Der Arbeitgeber wiederum legt diesen Betrag für die Arbeitnehmer an – der Arbeitnehmer spart zudem Steuern und Sozialabgaben. 42 Prozent der Befragten gab an, die betriebliche Altersvorsorge für attraktiv oder sehr attraktiv zu halten. Die Realität zeigt: Aktuell nutzt sie nicht einmal jeder Fünfte. Nur 18 Prozent sind es. Quelle: obs
Rang 3: GoldGold gilt vor allem in unsicheren Zeiten als sichere Anlageform. 38 Prozent der Deutschen finden es als Anlageform attraktiv. Allerdings sind es nur 6 Prozent, die ihr Geld wirklich in Gold anlegen – nirgendwo ist die Diskrepanz zwischen Ideal und Realität so groß. Quelle: REUTERS
Rang 4: BausparvertragDer Bausparvertrag ist insbesondere bei den Deutschen beliebt – was laut den Autoren das Bedürfnis der Deutschen nach sicheren Anlagen unterstreicht. 32 Prozent geben an, Bausparen attraktiv oder sehr attraktiv zu finden – und 29 Prozent legen ihr Geld auch wirklich so an. Quelle: dpa
Rang 5: Private RentenversicherungDie private Rentenversicherung sagt immerhin 28 Prozent der Deutschen als Form der Geldanlage zu. 21 Prozent der Befragten sorgen tatsächlich privat für ihre Rente vor. Quelle: dpa
Rang 6: Private KapitallebensversicherungDie private Kapitallebensversicherung ist eine Kombination aus Kapitalaufbau und Hinterbliebenenschutz. 21 Prozent der Befragten empfindet sie als eine attraktive Geldanlage – genauso viele legen einen Teil ihres Geldes auch dort an. Quelle: dpa

Ausgangspunkt eines Sparbuchs sind Papierbögen, die Becker von einem Papierhersteller geliefert bekommt, in denen bereits Wasserzeichen der jeweiligen Bank eingelassen sind. Ein paar davon mit dem breiten S-Logo der Sparkassen liegen jetzt in der Stapelmaschine am ersten Fließband. Einige Maschinen stammen noch aus den Siebzigerjahren. Ihre Arbeit machen sie weiterhin verlässlich. Aus vier Lagen der Stapelmaschine fallen die DIN-A5-Papierbögen auf dem Fließband übereinander. So wird ein Sparbuch mit zwölf Seiten daraus. Jedes Blatt schmiegt sich auf den Millimeter über das andere. Dann lässt sich der Stapel an der nächsten Station am Fließband einmal in der Mitte falten. Schließlich rattert er geplättet in eine Nähmaschine, die ihm in Sekundenbruchteilen die Falz mit einem Kunststofffaden aus Polyester vernäht.

Auf der nächsten Förderstraße wartet ein Topf Leim auf die Papierbögen. Was jetzt ansteht, könnte man Hochzeit nennen, ähnlich dem Vorgang bei der Autoproduktion, wenn Karosserie und Motor eins werden: Der vernähte Stapel aus blassgrauen Papierbögen bekommt hier seinen roten Buchrücken aufgeklebt. Aus dem Papier wird die Wertanlage Sparbuch.

Noch fransen sie aus, die Sparbücher: Ein Papierrand und die Naht stehen über. Deshalb rückt ihnen in der letzten der drei Maschinen ein Messer zu Leibe, das die Papierränder ausstanzt, die Ecken abrundet und überschüssige Fäden kappt. Schon ist das Sparbuch fertig, in weniger als einer Minute.

Manche Bank lässt die Bücher noch nummerieren und ihnen einen Magnetstreifen auf die Rückseite prägen. Aber das ist schon die Sonderausstattung. Je nach Auftragsgröße und Sicherungsmerkmalen kostet die Herstellung eines Sparbuches zwischen 30 Cent und drei Euro.

Alles andere als Hochtechnologie

Ein Sparbuch verkörpert alles andere als Hochtechnologie – und doch hat es sich über Jahrzehnte als fälschungssicher bewiesen und zählt zum wichtigen Begleiter deutscher Sparer. „Selbst wenn sie es schaffen, die Naht aufzutrennen, um Seiten mit Abbuchungen rauszunehmen oder neue Guthaben-Seiten hinzuzufügen“, sagt Becker, „zerstören sie dabei immer den Buchrücken, sodass es der Bank auffällt.“

Wie die Deutschen ihr Geld anlegen
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Die Druckerei stellt immer noch rund eine Million Sparbücher im Jahr her. „Anfang der Neunzigerjahre gab es eine besonders hohe Nachfrage, damals haben wir bis zu sieben Millionen Sparbücher im Jahr produziert“, sagt sie. Sie weiß, dass es kein Geschäftsbereich ist, der noch rasant wachsen wird. Schon ihrem Vater prophezeiten die Banken in den Achtzigern das Ende des Sparbuchs. „Und wir produzieren heute immer noch.“

Der Sparkassenverlag, der für die deutschen Sparer die Bücher bei den Druckereien bestellt, sagt, dass es im Niedrigzinsumfeld weniger Nachfrage nach den Sparbüchern gibt. Trotzdem: Knapp 44 Millionen Sparkonten gibt es allein bei den deutschen Sparkassen, darunter sicher ein erheblicher Teil klassischer Sparbücher.

Das mag auch an der langen Haltbarkeit der Bücher liegen. „Sie wurden schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf säurefreiem Papier gedruckt und sind bis heute erhalten geblieben“, sagt Becker.

Die Bücher müssen ihren Wert bewahren. Weil sie als Inhaberpapier wie eine Urkunde ausgestellt werden, können Besitzer damit Jahrzehnte nach der letzten Buchung noch die Auszahlung des Ersparten bei der Bank verlangen. Wer das Sparbuch vorlegt und damit abheben will, müssen die Institute nicht überprüfen. Kunden können deshalb zum Schutz zusätzlich ein Passwort mit ihrem Buch verknüpfen. Getreu dem Motto: „Fröhlich schaffen, sinnvoll sparen, hilft vor Not und Sorg bewahren“, wie es auf einem alten Sparbuch der Sparkasse zu Schwelm steht, das Christine Becker aus dem Firmentresor zieht.

In einem anderen Buch zeigt der Bankstempel aus dem Jahr 1934, dass es damals stattliche vier Prozent auf das Ersparte gab. Solche Zinsen würden bei den sicherheitsbewussten deutschen Sparern wohl auch heute wieder einen Run auf Sparbücher auslösen.

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