Stelter strategisch

Anleger, raus aus Europa!

Daniel Stelter Quelle: Presse
Daniel Stelter Unternehmensberater, Gründer Beyond the Obvious, Kolumnist Zur Kolumnen-Übersicht: Stelter strategisch

Auch ohne Griechenlandkrise steht Europa vor großen Herausforderungen. Anderswo auf der Welt gibt es mehr Potenzial. Zeit, seine Geldanlagen zu streuen: Ein Drittel Europa reicht - doch wir liegen deutlich darüber.

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Ein fast leerer Luftballon mit dem Zeichen der Europäischen Union (EU) Quelle: dpa

Selten war der Unterschied zwischen Strategie und Taktik augenfälliger als bei der Entwicklung des Dax in den vergangenen Monaten: Zunächst die Freude über den Einstieg der EZB in das sogenannte Quantitative Easing, also den umfangreichen Aufkauf von Staatanleihen. Damit verbunden ein schwächerer Euro, der gerade der exportorientierten deutschen Wirtschaft zusätzlichen Schub verleiht – und weitere Schubkraft für den Dax bedeutet.

Dann begann das griechische Theater. Drohte mal wieder der Zahlungsausfall, fielen die Aktien; sah es nach Lösung aus, stiegen sie – besonders stark am vergangenen Montag. Zu groß ist offensichtlich die Versuchung, aktuellen Moden, Nachrichten und Stimmungen hinterherzulaufen.

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Doch mit Strategie hat das nichts zu tun! Ist es denn wirklich relevant, was mit Griechenland passiert? Sicherlich für die Griechen selbst und alle Steuerzahler in der Eurozone. Doch darüber hinaus? Ich denke, nein. Investoren sollten das Theater nur als einen weiteren Baustein in einer eher ernüchternden Analyse sehen: die Zukunft liegt nicht in Europa. Nicht nur wegen der ungelösten Euro- und Schuldenprobleme und der verkrusteten Strukturen von EU und Eurozone. Dies muss Ihre Anlagestrategie berücksichtigen.

Machen wir zunächst eine Bestandsaufnahme. Mit Sicherheit ist der größte Teil Ihres Vermögens in Europa, vermutlich sogar Deutschland investiert. Ihre selbstgenutzte Immobilie? In Deutschland. Die vermietete Wohnung? Ebenfalls in Deutschland. Ihre Ferienwohnung – so Sie eine haben – mit ziemlicher Sicherheit in Europa. Die Aktienfonds? Orientieren sich am Dax oder Euro-Stoxx. Ihre Lebensversicherung: investiert überwiegend in europäische Staatsanleihen. Ihre Rente? Wird von künftigen Generationen in Deutschland verdient werden müssen. Und Ihre vermutlich größte Vermögensposition, der Gegenwartswert Ihrer künftigen Einkommen? Ebenfalls in Deutschland verdient. 90 Prozent und mehr Ihres Vermögens dürften damit in einer Region liegen.

Die Folgen eines „Grexits“
Das Nationalgetränk der Griechen droht für einen normalen Arbeiter zum unbezahlbaren Luxusgut zu werden: Ein Frappé, also eine Nescafé mit Milch, Eiswürfeln und einem Strohhalm kostete kurz vor der Einführung des Euro etwa 100 Drachmen. Das entsprach damals rund 30 Euro-Cent. Als die Griechenland-Krise ausbrach, vor etwa sieben Jahren, kostete ein Frappé bereits zwischen 2,50 und drei Euro. Quelle: dpa
Noch im Laufe des Aprils muss Griechenland zwei Staatsanleihen im Wert von 2,4 Milliarden Euro an seine Gläubiger zurückzahlen. Im Mai werden weitere 2,8 Milliarden Euro fällig, von Juni bis August muss Athen noch einmal mehr als zwölf Milliarden Euro an Schulden zurückzahlen. Woher das Geld kommen soll, ist völlig unklar. Quelle: dpa
Die sozialen Probleme sind groß, die Renten wurden gekürzt, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Regierung Tsipras plant deshalb Steuererleichterungen und die Wiedereinstellung von Beamten. Allein diese Maßnahmen werden im laufenden Jahr nach Berechnungen der griechischen Regierung mindestens zwölf Milliarden Euro zusätzlich kosten. Quelle: dpa
Schon seit Wochen ist von einem „Grexit“ die Rede, dem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion, vielleicht sogar verbunden mit einem drastischen Schuldenschnitt. Hinter der öffentlichen Spekulation könnte Absicht stecken. Quelle: ap
Würde eine neu eingeführte Drachme gegenüber dem Euro abwerten, könnte sich die griechische Regierung nach und nach leichter entschulden. Ein Austritt der Griechen aus dem Euro böte auch noch andere Vorteile: So würde die griechische Export-Wirtschaft von einer Abwertung der Landeswährung profitieren. Quelle: dpa
Besonders teuer würde ein „Grexit“ für Menschen mit geringem Einkommen und den Mittelstand mit Sparguthaben auf  griechischen Bankkonten, während das Geld reicher Griechen im Ausland unangetastet bliebe. Quelle: dpa
Die Gläubiger werden so oder so auf Reformen beharren. Für Tsipras kommt es deshalb eigentlich nur darauf an, seinen eigenen Wählern gegenüber eine möglichst gute Figur in den Verhandlungen abzugeben. Das gilt allerdings auch für seine europäischen Partner auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Für alle Beteiligten ist es wichtig, dass eine Lösung der griechischen Haushaltsprobleme möglichst wenige Kollateralschaden verursacht. Quelle: dpa

Auf der anderen Seite dieser Bilanz: Die Aussichten für Deutschland und Europa. Richtig, heute mögen wir vor Kraft kaum laufen können: Exportweltmeister, fast Vollbeschäftigung und unbestrittener Wirtschaftsmotor in Europa.

Aber auch hier ist es gut, weiter zu blicken. Deutschland ist eines der Länder mit der weltweit schlechtesten demographischen Entwicklung. Je nach Schätzung schrumpfen wir um bis zu 15 Millionen Menschen bis 2060. Weitaus dramatischer ist dabei die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung. Im Rest Europas sieht es nur wenig besser aus. Frankreich und Großbritannien dürften die einzigen Länder sein, die noch Bevölkerungswachstum aufweisen.

Die Produktivitätsfortschritte sind seit Jahren rückläufig, werden den demographischen Effekt also nicht kompensieren können. Dies ist eine schlechte Nachricht für das weitere Wirtschaftswachstum und damit unseren Wohlstand.

Zugleich tut die Politik wenig, um dieser Entwicklung entgegen zu treten. Europaweit sinken die Investitionen, die Bildungsleistungen bleiben im internationalen Vergleich schwach und nur 13 der besten fünfzig Universitäten der Welt befinden sich in Europa, davon immerhin 8 in Großbritannien und zwei in der Schweiz.

Stattdessen wird Klientelpolitik betrieben, die vor allem der Umverteilung und der Bewahrung des Status Quo dient. Bestes Beispiel sind die jüngsten "Rentenreformen", die die Probleme weiter verschärfen statt sie zu lösen. Getrost können wir davon ausgehen, dass künftige Politiker in massiver Umverteilung den einzigen Weg sehen, um die ungedeckten Versprechen für künftige Renten und Gesundheitsleistungen wenigstens teilweise zu erfüllen. Schon 2009 wurde die wahre deutsche Staatsverschuldung auf über 400 Prozent des BIP geschätzt.

Andere Regionen der Welt bieten weitaus bessere Aussichten

Die Politik wird unter der Überschrift „soziale Gerechtigkeit“ mit immer weitergehenden Regulierungen in die Märkte eingreifen. Die Mietpreisbremse gibt einen guten Vorgeschmack. Wie wäre es mit der Anpassung der Miete an die finanzielle Leistungsfähigkeit für langjährige Mieter im Rentenalter?

Auf Ebene der EU gilt dasselbe. Statt die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, wird an Umverteilung und Schuldensozialisierung gearbeitet. Die Solidarität in Europa wird uns Deutsche in Zukunft noch einiges kosten. Schätzungen von rund einer Billion Euro dürften nicht zu hoch gegriffen sein.

Welche Länder Rendite-Chancen bieten
Das Analysehaus Keppler Asset Management hat seine Kandidaten für seine Strategie „Top Value“ veröffentlicht. Zu dieser Liste gehören nur Industrieländer – die „Emerging Markets“ wurden bewusst ausgeblendet. Keppler setzt nach dem Prinzip des Value-Investing auf unterbewertete Märkte. Ausgehend von Einzelaktien, die den Markt des jeweiligen Landes wiederspiegeln, baut Fonds-Manager Keppler Länderwerte zusammen. Um sie anschließend zu bewerten, sieht der Analyst unter anderem auf das durchschnittliche Preis-Buchwert-Verhältnis, Preis-Cash-Flow-Verhältnis, Preis-Gewinn-Verhältnis und auf die durchschnittliche Dividenden- und Eigenkapitalrendite. Keppler sieht für Australien in den nächsten Jahren ein überdurchschnittliches Renditepotenzial.Geschätzte Index-Entwicklung (3-5 Jahre): 26,9 ProzentGeschätzte Rendite (3-5 Jahre): 48,9 ProzentQuelle: Keppler Asset Management Inc., Developed Markets Country Selection Quelle: REUTERS
Ebenfalls zu den unterbewerteten Märkten gehört laut Keppler der österreichische Aktienmarkt. Hier verspricht sich der Fondsmanager überdurchschnittliche Zuwächse.Geschätzte Index-Entwicklung (3-5 Jahre): 44,4 ProzentGeschätzte Rendite: (3-5 Jahre): 57,9 Prozent Quelle: dpa
Die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU ist laut Keppler einen Kauf wert. Der Aktienmarkt Frankreichs werde überdurchschnittlich (verglichen mit dem MSCI World) zulegen.Geschätzte Index-Entwicklung: 22,9 ProzentGeschätzte Rendite: 36,4 Prozent Quelle: dpa
Deutschland gehört schon seit mehreren Jahren zur „Top Value“ Strategie von Keppler. Bereits im Jahr 2013 sah Keppler den deutschen Markt als unterbewertet an. Im Frühling 2015 hat sich die Einschätzung immer noch nicht geändert – obwohl der deutsche Leitindex Dax in diesem Jahr bereits mehr als 20 Prozent zugelegt hat. Doch die Experten sehen noch Luft nach oben.Geschätzte Index-Entwicklung (3-5 Jahre): 22,9 ProzentGeschätzte Rendite (3-5 Jahre): 34,3 Prozent Quelle: dpa
Hong Kong zählt ebenfalls zu den Märkten, die einen Kauf wert sind. Hier sieht das Fondshaus Keppler jährliche Zuwachsraten von mehr als elf Prozent.Geschätzte Index-Entwicklung (3-5 Jahre): 39,2 ProzentGeschätzte Rendite: 53,9 Prozent Quelle: dpa
Italiens Aktienmarkt hat sich von dem Absturz im Jahr 2007, dem Jahr der Finanzkrise, nicht wirklich erholt – anders als der deutsche. Auch deshalb sieht Keppler den italienischen Markt als unterbewertet.Geschätzte Index-Entwicklung (3-5 Jahre): 22,9 ProzentGeschätzte Rendite (3-5 Jahre): 35,7 Prozent Quelle: AP
Japans Notenbank flutet den Markt mit Geld. Noch hat das Geldpolitik-Experiment keine Früchte gebracht, die Wirtschaft stottert weiterhin. Doch der schwache Yen hilft den Exportunternehmen und Experten hoffen, dass das Programm der Notenbank bald fruchtet.Geschätzte Index-Entwicklung (3-5 Jahre): 22,8 ProzentGeschätzte Rendite (3-5 Jahre): 30,8 Prozent Quelle: AP

Ist es angesichts dieser Bestandsaufnahme wirklich vernünftig, mit dem Großteil des eigenen Vermögens in Europa investiert zu sein? Es sieht nicht so aus. Höhere Abgaben und mehr Umverteilung schlagen sich in tieferen Preisen für Vermögenswerte nieder. Zugleich sinkt die Nachfrage nach Immobilien bei schrumpfender Bevölkerung. Die Befürworter von Immobilieninvestitionen verweisen hier immer als Gegenargument auf die weiter wachsende Anzahl an Haushalten, weil immer mehr Menschen alleine leben. Dies ist nichts anderes als eine simple Fortschreibung eines Trends. Doch was ist, wenn sich immer weniger Menschen eine eigene Wohnung leisten können?

Zugleich wird die Inflationsrate anziehen. Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zeigt, dass die Inflation steigt, sobald immer weniger Menschen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Diese Inflation wird die Kaufkraft weiter schmälern, was ebenfalls negativ auf die Vermögenspreise wirken dürfte.

Andere Regionen der Welt bieten dagegen weitaus bessere Aussichten. Die aufstrebenden asiatischen Staaten – mit Ausnahme von China, wo die Bevölkerung ebenfalls beginnt zu schrumpfen – stehen dabei vor einer zweifachen demographischen Dividende: wachsende Bevölkerungen und steigende Bildungsstandards. Selbst die USA bleiben unter demographischen Gesichtspunkten relativ attraktiver. Zudem gelingt es den USA nach wie vor, die Talente der Welt anzulocken und so die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten; man blicke nur nach Silicon Valley.

Wenn gilt, dass Diversifikation die beste Strategie zur Vermögenssicherung ist, dann muss dies nicht nur für die verschiedenen Assetklassen (also Aktien, Anleihen, Gold, Immobilien und Liquidität) gelten, sondern auch für die regionale Ausrichtung. Je ein Drittel für Europa, die USA und den Rest der Welt ist eine vernünftige Formel. Werfen Sie einen Blick auf ihr Vermögen, und Sie werden eine erhebliche Unwucht feststellen.

Die Taktiker werden nun einräumen, dass europäische Aktien doch gerade im internationalen Vergleich heute billig sind und deshalb eigentlich übergewichtet werden sollten. Der Stratege hält dagegen: Nur weil etwas billig ist, bedeutet es nicht automatisch, dass es nicht auch billig bleibt. Schon gar nicht angesichts der zugrunde liegenden Trends.

Daniel Stelter ist Ökonom, langjähriger Unternehmensberatung sowie Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“, das Antworten auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit sucht.

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