Selten war der Unterschied zwischen Strategie und Taktik augenfälliger als bei der Entwicklung des Dax in den vergangenen Monaten: Zunächst die Freude über den Einstieg der EZB in das sogenannte Quantitative Easing, also den umfangreichen Aufkauf von Staatanleihen. Damit verbunden ein schwächerer Euro, der gerade der exportorientierten deutschen Wirtschaft zusätzlichen Schub verleiht – und weitere Schubkraft für den Dax bedeutet.
Dann begann das griechische Theater. Drohte mal wieder der Zahlungsausfall, fielen die Aktien; sah es nach Lösung aus, stiegen sie – besonders stark am vergangenen Montag. Zu groß ist offensichtlich die Versuchung, aktuellen Moden, Nachrichten und Stimmungen hinterherzulaufen.
Zum Autor
Daniel Stelter war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Seit 2007 berät Stelter internationale Unternehmen zu den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise. Zusammen mit David Rhodes verfasste er das 2010 preisgekrönte Buch „Nach der Krise ist vor dem Aufschwung“. Weitere Bücher folgten, aktuell hat Stelter eine Replik auf das Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ des französischen Ökonomen Thomas Piketty unter dem Titel „Die Schulden im 21. Jahrhundert“ veröffentlicht. Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums „Beyond the Obvious“, das Antworten auf die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit sucht.
Doch mit Strategie hat das nichts zu tun! Ist es denn wirklich relevant, was mit Griechenland passiert? Sicherlich für die Griechen selbst und alle Steuerzahler in der Eurozone. Doch darüber hinaus? Ich denke, nein. Investoren sollten das Theater nur als einen weiteren Baustein in einer eher ernüchternden Analyse sehen: die Zukunft liegt nicht in Europa. Nicht nur wegen der ungelösten Euro- und Schuldenprobleme und der verkrusteten Strukturen von EU und Eurozone. Dies muss Ihre Anlagestrategie berücksichtigen.
Machen wir zunächst eine Bestandsaufnahme. Mit Sicherheit ist der größte Teil Ihres Vermögens in Europa, vermutlich sogar Deutschland investiert. Ihre selbstgenutzte Immobilie? In Deutschland. Die vermietete Wohnung? Ebenfalls in Deutschland. Ihre Ferienwohnung – so Sie eine haben – mit ziemlicher Sicherheit in Europa. Die Aktienfonds? Orientieren sich am Dax oder Euro-Stoxx. Ihre Lebensversicherung: investiert überwiegend in europäische Staatsanleihen. Ihre Rente? Wird von künftigen Generationen in Deutschland verdient werden müssen. Und Ihre vermutlich größte Vermögensposition, der Gegenwartswert Ihrer künftigen Einkommen? Ebenfalls in Deutschland verdient. 90 Prozent und mehr Ihres Vermögens dürften damit in einer Region liegen.
Auf der anderen Seite dieser Bilanz: Die Aussichten für Deutschland und Europa. Richtig, heute mögen wir vor Kraft kaum laufen können: Exportweltmeister, fast Vollbeschäftigung und unbestrittener Wirtschaftsmotor in Europa.
Aber auch hier ist es gut, weiter zu blicken. Deutschland ist eines der Länder mit der weltweit schlechtesten demographischen Entwicklung. Je nach Schätzung schrumpfen wir um bis zu 15 Millionen Menschen bis 2060. Weitaus dramatischer ist dabei die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung. Im Rest Europas sieht es nur wenig besser aus. Frankreich und Großbritannien dürften die einzigen Länder sein, die noch Bevölkerungswachstum aufweisen.
Die Produktivitätsfortschritte sind seit Jahren rückläufig, werden den demographischen Effekt also nicht kompensieren können. Dies ist eine schlechte Nachricht für das weitere Wirtschaftswachstum und damit unseren Wohlstand.
Zugleich tut die Politik wenig, um dieser Entwicklung entgegen zu treten. Europaweit sinken die Investitionen, die Bildungsleistungen bleiben im internationalen Vergleich schwach und nur 13 der besten fünfzig Universitäten der Welt befinden sich in Europa, davon immerhin 8 in Großbritannien und zwei in der Schweiz.
Stattdessen wird Klientelpolitik betrieben, die vor allem der Umverteilung und der Bewahrung des Status Quo dient. Bestes Beispiel sind die jüngsten "Rentenreformen", die die Probleme weiter verschärfen statt sie zu lösen. Getrost können wir davon ausgehen, dass künftige Politiker in massiver Umverteilung den einzigen Weg sehen, um die ungedeckten Versprechen für künftige Renten und Gesundheitsleistungen wenigstens teilweise zu erfüllen. Schon 2009 wurde die wahre deutsche Staatsverschuldung auf über 400 Prozent des BIP geschätzt.