Nach meiner harschen Kritik an der Politik der Notenbanken in der vergangenen Woche habe ich einiges Lob, aber auch kritisches Feedback bekommen. Die Kritiker betonten, dass ohne die Intervention der Notenbanken die Finanzkrise zu einer weltweiten Depression mit weitaus verheerenderen Folgen geführt hätte, als bei der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren. Andere wiederum behaupten, dass ohne das beherzte Eingreifen der EZB der Euro schon lange Geschichte wäre.
Beides stimmt.
Vergessen wird dabei allerdings, dass die Notenbanken in beiden Fällen ein Feuer löschten, welches sie selber gelegt haben. Schlimmer wiegt, dass sie es nicht bei der Krisenbekämpfung belassen haben, sondern mit ihrer Politik den Brennstoff für ein noch größeres Feuer bereitstellen. Dieses zu löschen, dürfte selbst die Notenbanken überfordern.
Notenbanker wissen auch nicht mehr
Zunächst lohnt es sich in Erinnerung zu rufen, dass Notenbanker entgegen ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit – und vermutlich auch ihrer Selbstwahrnehmung – nicht mehr über die Wirtschaftsentwicklung wissen, als andere Ökonomen auch. Wie sonst ist zu erklären, dass Ben Bernanke, obwohl er über die große Depression der 1930er Jahre geforscht hat und als einer der führenden Experten weltweit zu dem Thema gilt, die Wiederholung derselben nicht kommen sah. Noch 2007 hielt er die Subprime-Krise für ein kleines Problem, welches die US-Wirtschaft nicht nachhaltig beeinflussen würde.
Dabei ist jedem Beobachter klar, dass ein deutlicher Anstieg der Verschuldung im Privatsektor immer ein eindeutiges Warnsignal für bevorstehende Turbulenzen ist. Die neuen Schulden werden dabei unproduktiv verwendet, vor allem zum Kauf von Immobilien. Platzt die Blase, kommen mit den Immobilienpreisen auch die Schuldner und letztlich das Bankensystem als Gläubiger unter Druck. Die Krise ist da. Um das zu erkennen, genügt ein Blick auf die Wachstumsrate der Schulden in einer Volkswirtschaft. Lediglich der Zeitpunkt des Krisenbeginns lässt sich damit nicht genau bestimmen. China, Kanada und Australien bleiben ganz oben auf der Liste künftiger Krisenkandidaten.
Geldpolitik der EZB
Die EZB setzt ihre ultralockere Geldpolitik unverändert fort: Der Leitzins bleibt bei null Prozent. Monatlich kauft die Notenbank weiter Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Milliardenumfang. Basierend auf den aktuellen Daten halte der EZB-Rat die expansive Geldpolitik nach wie vor für angemessen, begründete Draghi. Immerhin sagt Europas oberster Währungshüter, dass die Notenbank derzeit keine Notwendigkeit sehe, noch mehr Geld in die Hand zu nehmen - etwa über neue Langfristkredite für Banken.
Die EZB strebt für den Euroraum eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug von der Nulllinie entfernt. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum robust um 1,7 Prozent. Im Februar 2017 dann knackte die Teuerung erstmals seit vier Jahren wieder die Marke von zwei Prozent - die von den Währungshütern angepeilten Ziele scheinen erreicht. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den 19 Ländern des gemeinsamen Währungsraumes groß. „Die EZB hat einen Auftrag für den Euroraum insgesamt, und darauf muss sie ihre Geldpolitik ausrichten“, sagte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing dem „Handelsblatt“.
Hauptgrund für den Anstieg der Inflation ist ein kräftiger Sprung der Energiepreise. Ökonomen rechnen damit, dass der Höhepunkt zunächst erreicht ist. „In den nächsten Monaten dürfte die Inflationshysterie wieder etwas nachlassen“, erklärt die Commerzbank. Wichtig ist für die Währungshüter eine nachhaltige Entwicklung der Verbraucherpreise. Dabei haben sie auch die Kerninflation im Blick - also die Teuerung ohne stark schwankende Energie- und Nahrungsmittelpreise. Im Februar verharrte diese Rate bei vergleichsweise niedrigen 0,9 Prozent.
„Der große Belastungstest steht vermutlich am 7. Mai an, wenn die Stichwahl darüber entscheidet, ob mit Marine Le Pen eine erklärte Euro-Feindin französische Präsidentin wird“, erläutern Ökonomen der Landesbank Helaba. Solange dies nicht geklärt sei, dürfte EZB-Präsident Draghi keine geldpolitische Kursänderung zulassen. Ähnlich sieht das ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Sollte sich die politische Unsicherheit nach den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich legen, könnte die Notenbank im Sommer Hinweise auf einen Ausstieg im Jahr 2018 geben. „Dieses Timing könnte helfen, das EZB-Bashing im beginnenden Wahlkampf in Deutschland zu dämpfen“, sagt Brzeski.
Das dürfte noch eine Weile dauern. Draghi bekräftigte erneut, dass die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben werden - mindestens bis zum Auslaufen der Anleihekäufe Ende 2017. Für Sparer ist das Zinstief bei steigender Inflation bitter. Sparbuch und Co. werfen ohnehin kaum noch etwas ab. Solange die Teuerungsrate nahe der Nulllinie dümpelte, glich sich das in etwa aus. Bei steigenden Verbraucherpreisen bleibt Sparern unter dem Strich aber weniger Geld.
Alle, die Kredite aufnehmen, zum Beispiel Immobilienkäufer. Auch wenn die Zinsen wieder leicht steigen, sind Hypothekenkredite immer noch günstig. Die ultralockere Geldpolitik kommt auch dem deutschen Fiskus zugute, weil er sich günstig verschulden kann. „Wären die Zinsen auf dem Niveau des Jahres 2007 geblieben, hätte der deutsche Staat über die Zeit um rund 250 Milliarden Euro höhere Zinsausgaben stemmen müssen“, rechnete Bundesbank-Präsident Jens Weidmann jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor.
Die EZB kann nicht von heute auf morgen einfach den Geldhahn zudrehen. Das würde zu schweren Turbulenzen an den Finanzmärkten führen. Um den Markt vorzubereiten, müssten die Währungshüter das Auslaufen der Wertpapierkäufe einige Monate vorher ankündigen, erläutert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Friedrich Heinemann, Experte am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW, mahnt: „Dringend nötig wäre eine klare Perspektive für 2018 mit einer realistischen Strategie zum Auslaufen der Anleihekäufe. Wie bei jedem Ausstieg aus einer Droge ist mit Entzugserscheinungen an den Anleihemärkten zu rechnen, auch Panikattacken sind denkbar.“
Grundlegende Tendenz der Deflation
Wenn das Kreditwachstum ein eindeutiges, aber ignoriertes Warnsignal für künftige Probleme ist, stellt sich die Frage, wohin die Notenbanken stattdessen blicken. Sie klammern das Kreditwachstum solange aus, bis es zu gering wird und sie eine Abschwächung der realwirtschaftlichen Nachfrage befürchten. Sie handeln also, wie hier immer wieder erklärt asymmetrisch: Kreditinflation (=steigende Kreditvergabe) wird übersehen, Kreditdeflation (stagnierende oder gar sinkende Kreditvergabe) wird bekämpft.
Vor allem aber bekämpfen sie schon seit Jahrzehnten jeden Ansatz einer „Deflation“. Diese gilt als des Teufels und wird immer mit der großen Depression der 1930er Jahre gleich gesetzt. Unterschlagen wird dabei, dass dies die einzige Periode ist, in der sinkende Preise mit einer Depression einhergingen. Ursache der Depression war auch damals die überbordende Verschuldung des Privatsektors. Deflation als solche ist eigentlich normal, führen doch der technische Fortschritt und Produktivitätssteigerungen zu einer tendenziellen Preissenkungstendenz.
Beschleunigt wurde diese natürliche Tendenz zur Deflation durch den Eintritt von Osteuropa und China in den Weltmarkt. Hunderte von Millionen Menschen waren und sind bereit zu tieferen Löhnen zu arbeiten als wir im Westen. War es anerkanntermaßen falsch, wie die Notenbanken auf den Ölpreisschock der 1970er Jahre reagiert haben – es war ein einmaliger Schock –, so war auch die Reaktion seit den 1990er Jahren falsch. Sie haben versucht etwas zu bekämpfen, was sie nicht bekämpfen können.
Die Kapitalmärkte verstehen dies, was sich daran ablesen lässt, dass „Deflationsassets“ seit Jahren und auch heute noch besser performen als „Inflationsassets“, wie an dieser Stelle vor der Sommerpause diskutiert.
Notenbanker verschärfen deflationären Druck
In ihrem Bemühen die Gefahr einer Deflation zu bekämpfen, haben die Notenbanken alles getan, um das Kreditwachstum und damit die Nachfrage zu befeuern. Diese Politik muss zwangsläufig zu Blasen an den Vermögensmärkten führen. Ohne diese Politik hätte es die Technologieblase 1999/2000 und die Immobilienblasen in den USA, Spanien und Irland nicht gegeben. Ohne die einfache Verfügbarkeit von billigem Geld sind Blasen nicht denkbar.
Was den Euro zuletzt nach oben getrieben hat
Nach der jüngsten Ratssitzung der EZB hatte Notenbankchef Mario Draghi angekündigt, im Herbst über die Anleihenkäufe beraten zu wollen. An den Märkten wurde dies als Signal verstanden, das bislang auf ein Volumen von 2,28 Billionen Euro angelegte Programm auslaufen zu lassen.
Ja. Denn bis zu den Präsidentschaftswahlen in Frankreich im Frühjahr hatten viele Anleger einen Sieg der Euro-Gegner befürchtet. Doch dann zog Emmanuel Macron - ein ausgesprochener Befürworter der gemeinsamen Währung - in den Elysee-Palast ein: "Der bei einer Wahl Marine Le Pens befürchtete rasche Niedergang und das teils ausgerufene Auseinanderbrechen des Euro fällt damit vorerst aus", so die DZ Bank. Laut Devisenhändlern verstärkte dies die Euro-Käufe.
Die Wahl des Immobilien-Milliardärs zum US-Präsidenten hatte zunächst Spekulationen auf steigende Inflationsraten in den USA ausgelöst, da Trump ein riesiges Konjunkturprogramm und radikale Steuersenkungen versprochen hat. Dies hatte Anfang des Jahres den Euro auf ein 14-Jahres-Tief von unter 1,04 Dollar gedrückt. Doch bislang wurde daraus nichts, da der Republikaner innenpolitisch unter anderem aufgrund der Russland-Affäre stark unter Druck steht.
Zudem ist sich Trump mit dem von seiner eigenen Partei dominierten US-Kongress nicht einig: Für den geplanten Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko will er einen Regierungsstillstand in Kauf nehmen. "Der Konflikt, den Trump mit dem Kongress hat, wird verschärft und es stellt sich erneut die Frage nach der Handlungsfähigkeit der US-Regierung", fasst Helaba-Analyst Ulrich Wortberg zusammen. Wenn die US-Schuldenobergrenze im Herbst nicht angehoben wird, können Haushaltsmittel für Gehälter der Staatsbediensteten oder die Auszahlung von Anleihezinsen nicht mehr freigegeben werden.
Zudem fürchten Anleger, dass die Folge des Wirbelsturms "Harvey" die Konjunktur der USA schwächen und damit die Straffung der US-Geldpolitik zusätzlich verzögern könnte.
Für Exporteure verschlechtern sich die Wettbewerbschancen, da ihre Waren auf dem Weltmarkt teurer werden. Allerdings sichern sich Konzerne meist gegen solche Entwicklungen ab. Erst wenn der Trend nachhaltig dreht oder drastisch ausschlägt, sind Unternehmen wirklich unter Druck - wie beispielsweise beim Pfund Sterling nach der Brexit-Abstimmung. Außerdem bremst ein hoher Wechselkurs über die in Dollar fakturierte Ölrechnung die Inflation und erhöht das Risiko einer Deflation, einer Spirale aus fallenden Preisen und rückläufigen Investitionen. Das Ziel der EZB ist aber eine Teuerung von knapp zwei Prozent - ein Ziel, dass sie nach Einschätzung von Beobachtern noch einige Jahre lang verfehlen wird.
Sie halten still - das zumindest ist der Eindruck vieler Börsianer nach dem traditionellen Notenbank-Gipfel in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming am vorigen Wochenende. Mario Draghi verzichtete darauf, sich zum Wechselkurs zu äußern, was Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann für bemerkenswert hält. Schon im Juli sei sein Schweigen als Kaufsignal verstanden worden und habe den Euro hochgetrieben. "Draghi muss diesmal also sehr genau gewusst haben, dass jede Gelegenheit, an der er nichts zur gegenwärtigen Euro-Stärke sagt, diese weiter befeuert." Vermutlich halte Draghi die Pressekonferenz nach der September-Sitzung in der nächsten Woche für den passenderen Rahmen, um sich zum Euro zu äußern
Mit der Bekämpfung einer eigentlich harmlosen deflationären Tendenz in der Realwirtschaft haben die Notenbanken die Grundlagen für die gefährliche Schuldendeflation wie in den 1930er Jahren erst gelegt. Sie haben das Monster erst geschaffen, welches sie nun seit Jahren mit noch mehr Geld vorgeben zu bekämpfen, in Wahrheit jedoch immer mehr füttern.
- So wächst der Schuldenüberhang, der den deflationären Druck erhöht.
- So bleiben Unternehmen und Kapazitäten im Markt, die eigentlich bei normalem Zinsniveau schon längst ausgeschieden wären. Sie erhöhen Überkapazitäten und damit den Preisdruck für alle anderen.
- So bleibt den Unternehmen kein anderer Weg, als über immer mehr Leverage die Eigenkapitalrendite zu steigern.
- So wächst die weltweite Ungleichheit, weil naturgemäß nur die Vermögenden vom Anstieg der Vermögenspreise profitieren.
Kurz gefasst: die Notenbanken haben alles getan, um die Grundlage für den nächsten Crash zu legen. Wann er eintritt, kann niemand mit Gewissheit vorhersagen. Doch legt die Geschichte der vergangenen dreißig Jahre nahe, dass es in jedem Jahrzehnt mindestens einmal kracht.
Krise macht Pause
Wenn heute Aussagen getroffen werden, wonach die Krise „überwunden sei“, es keine neue Krise mehr zu „unseren Lebzeiten“ geben kann (Janet Yellen) oder wir heute ein „sicheres, einfacheres und faireres Weltfinanzsystem“ hätten (Mark Carney), ist das angesichts der Güte der früheren Vorhersagen der Notenbanker ein Warnsignal erster Ordnung.
Die Behauptung, die Krise sei Dank des tatkräftigen Eingreifens der Notenbanken und Regierungen bewältigt worden, wird trotz gebetsmühlenhafter Wiederholung in den Medien nicht zutreffend. Richtig ist, dass die Notenbanken in der akuten Phase der Krise mit ihren Maßnahmen eine deflationäre Depression verhindert haben. Ebenso richtig ist jedoch, dass wir ohne die Politik der Notenbanken gar nicht in diese Lage gekommen wären und sie durch die Fortsetzung der Politik die Grundlage für eine noch größere Fortsetzung der Krise gelegt haben. Die Krise, die vor zehn Jahren begann ist noch nicht bewältigt.
Nutzen wir die Zeit
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Notenbanken ihren Kurs ändern, liegt bei Null. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Krise in eine noch dramatischere Phase eintritt, ist erheblich. Lediglich der Zeitpunkt ist offen. Sicher ist, dass die Notenbanken genau das fortsetzen werden, was sie seit Jahren machen. Sie werden den Schuldnern helfen, die Illusion der Werthaltigkeit ihrer Vermögenswerte und Schuldentragfähigkeit aufrecht zu erhalten. Das können sie nur mit einer immer weitergehenden Monetarisierung der Schulden wie hier immer wieder diskutiert. Die „Helikopter mit den Geldsäcken“ stehen schon bereit.
Für uns bleibt die Herausforderung, in einem strukturell deflationären Umfeld mit einer strategisch inflationären Geldpolitik Vermögenserhalt zu betreiben. Glaubt man an die Allmacht der Notenbanken, greift man zu Vermögenswerten, egal was sie kosten und kauft auf Kredit. Zweifelt man an der Macht der Notenbanken, stellt man sich auf die unweigerliche Schuldendeflation mit Pleiten, Schuldenrestrukturierung und Vermögensabgaben ein. Das Dilemma ist: wir müssen mit beidem rechnen.