Stelter strategisch

Brexit wäre für Anleger mehr Chance als Risiko

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Geldpolitik der EZB ist träge

Diese Rezession wird dann jedoch die EU und vor allem die Eurozone deutlich stärker erschüttern als Großbritannien. Die Eurozone hat sich im Unterschied zu England noch nicht von der Krise des Jahres 2009 erholt und hat bis jetzt keine Antwort auf die Krise gefunden. Die Geldpolitik der EZB – so sehr wir sie in Deutschland auch kritisieren – reagiert viel träger als jene Großbritanniens und der USA auf eine erneute Krise. Das spiegelt überdeutlich den zerrissenen Zustand einer Währungsunion wider, die in einem starren Korsett Volkswirtschaften aneinander kettet, die weniger gemeinsam haben als eine hypothetische Währungsunion von allen Ländern der Welt, die mit dem Anfangsbuchstaben „M“ beginnen, wie JP Morgan schon 2012 vorrechnete.

Die politischen Spannungen dürften dann in der EU noch weiter zunehmen und könnten von einem Brexit zusätzlich befeuert werden. Zeigen doch Umfragen schon heute, dass die EU-Skepsis auch in anderen Ländern hoch ist und immer weiter zunimmt. Damit nähern wir uns weiter dem Szenario einer erneuten schweren Eurokrise mit der Möglichkeit eines chaotischen Zerfalls, ausgelöst durch den Austritt eines Landes. Wie regelmäßig dargelegt, hätte ein solcher Zerfall erhebliche Konsequenzen, und als langfristig denkender Investor muss man sich darauf einstellen.

Ein Weg ist, außerhalb des Euroraumes zu investieren. Neben den Schwellenländern, der Schweiz und den USA bietet sich dann auch die englische Börse an. Es ist wenig realistisch, dass die EU ein aus der Union ausgetretenes Großbritannien schlechter behandeln wird als die Schweiz. Zu groß wird das Interesse sein, den wechselseitigen Handel zu befördern – England hat ein erhebliches Handelsdefizit – und zugleich die Tür für eine etwaige Rückkehr offen zu halten.

von Katharina Slodczyk

Die Londoner Börse beheimatet wie die Schweizer Börse viele international agierende Qualitätsunternehmen wie Diageo, Glaxo und British American Tobacco, die man als Langfrist-Investor durchaus anschauen kann. Rohstoffwerte, Banken und Versicherungen sollte man wie auch in den anderen Regionen erst mal außen vor lassen. Kommt es nun zu einem überraschenden Sieg der Brexit-Befürworter mit einem entsprechenden Einbruch an der Börse in London, böte dies eine gute Gelegenheit zum Einstieg. Fundamental dürfte es nämlich keinen Grund geben, die Unternehmen schlechter zu bewerten. Auch das Pfund könnte in einem solchem Szenario nachgeben, wobei offen ist, ob der Euro oder das Pfund mehr unter dem Ausgang der Wahl leiden. Schon jetzt eine Position im Pfund aufzubauen, mag deshalb keine schlechte Idee sein.

Was mich zum Fazit führt: das Risiko in Pfund und englischen Aktien ist langfristig geringer als kurzfristig. Das Risiko im Euro ist mittel- bis langfristig hoch und wächst mit jedem Tag an. Deshalb sieht meine Strategie so aus: eine Position in Pfund aufbauen, im Falle eines Einbruchs des Pfunds nach der Abstimmung weitere Pfund hinzukaufen und bei englischen Qualitätsaktien zukaufen, wenn die Börse nach unten überreagiert. Und dann in aller Ruhe abwarten. Und Tee trinken, ganz wie die Briten.

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