Beginnen wir mit einem Zitat aus dem Lexikon: „In der Theorie der Wirtschaftsordnungen bezeichnet Marktwirtschaft ein Wirtschaftssystem, in dem die Verteilung der Entscheidungs- und Handlungsrechte durch das Rechtsinstitut des privaten Eigentums an Produktionsmitteln erfolgt. Planung und Koordination der Wirtschaftsprozesse erfolgen dezentral. Die einzelnen Verwendungspläne der Haushalte und Unternehmen und der Entstehungspläne werden durch Marktpreise koordiniert.“ Dies im Gegensatz zum Sozialismus, in dem Privateigentum (weitgehend) abgeschafft ist und die Koordination über den Plan erfolgt.
Auf den ersten Blick besteht kein Zweifel daran, dass wir uns in einem Wirtschaftssystem befinden, was näher an der Marktwirtschaft als am Sozialismus ist. Zwar hat der Staat einen übermäßigen Einfluss auf die Wirtschaft und hat immer wieder gezeigt, dass er den natürlichen Gang der marktwirtschaftlichen Prozesse verhindern möchte. Letztes Beispiel ist der Überbrückungskredit für Air Berlin, verbunden mit dem gesteuerten Prozess der Zerschlagung im Interesse des führenden nationalen Spielers. Da aber alle Länder so handeln, wäre es töricht, wenn Deutschland da nicht mitspielte. Vielleicht sollten wir sogar aktiver werden, gerade auch mit der Begrenzung der Übernahmen aus anderen Ländern.
Doch zurück zum Thema. Auf den zweiten Blick nämlich können durchaus Zweifel aufkommen, dass wir uns noch in einer Marktwirtschaft befinden. Legt man die Definition von oben zugrunde, so sind entscheidende Merkmale einer Marktwirtschaft Marktpreise, die koordinierend wirken, und privates Eigentum an den Produktionsmitteln.
Seit Beginn der Finanzkrise vor zehn Jahren – die ich, wie regelmäßige Leser meiner Kolumnen wissen, keineswegs für überwunden halte – hat eine Entwicklung eingesetzt, die diese Wirkungsmechanismen zunehmend außer Kraft setzt. Verantwortlich sind die Notenbanken, die mit ihren Handlungen die Marktwirtschaft retten wollen, sich aber auf dem besten Weg befinden, deren Totengräber zu sein.
Der Zins als wichtigster Marktpreis
Zweifellos gehört der Zins zu den wichtigsten Marktpreisen überhaupt. Er signalisiert Risiken und Opportunitäten. Er schlägt sich indirekt in anderen Preisen nieder. Das Zinsniveau ist einer der wichtigsten Indikatoren für das zukünftige Wachstum. Tiefe Zinsen, geringes Wachstum und umgekehrt.
Schon seit Jahrzehnten sinken weltweit die Zinsen deutlich. Der Rückgang hat sich seit Beginn der unüberwundenen Krise weiter fortgesetzt. Hinter dem Zinsrückgang stehen verschiedene Faktoren (ausführlich hier). Doch unstrittig haben die Notenbanken das ihrige dazu getan, das Zinsniveau zu drücken.
Bei jedem Problem an Finanzmärkten und in der Realwirtschaft haben sie die Zinsen gesenkt und danach nicht wieder auf das ursprüngliche Niveau erhöht. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Notenbank der Notenbanken, rügt dieses asymmetrische Verhalten schon lange – vergeblich. Die Notenbanken setzen sie munter fort.
Dadurch ist nicht nur das Zinsniveau zu tief. Noch schwerer wiegt, dass die Zinsdifferenz zwischen guten und schlechten Schuldnern reduziert, eliminiert oder gar auf den Kopf gestellt wurde. zehnjährige US-Staatsanleihen erbringen genauso viel Zinsen (2,16 Prozent) wie europäische „High Yield Bonds“ schlechter Schuldner. Spanien (1,42 Prozent) und Italien (2,01 Prozent) zahlen deutlich weniger Zinsen auf ihren Staatschulden als die USA! Da mag man zu Donald Trump stehen wie man will, alleine ein Blick auf die demografische Entwicklung genügt um zu sehen, dass Spanien und Italien niemals ihre Staatschulden ordentlich bewältigen werden.
Notenbanken gehören 20 Prozent aller Staatsanleihen
Dabei ist der Zins der als Vergleich herangezogenen US-Staatsanleihen ebenfalls verzerrt durch die Politik der Notenbanken. Selbst wenn man konzidiert, dass die tiefen Zinsen auch Ausfluss anderer Faktoren wie vor allem der Demografie sind, bleibt unstrittig, dass derart verzerrte Zinsdifferenzen nur durch eine erhebliche Intervention der Notenbanken zustande kommen. Es gibt einen Käufer, der den Preis manipulieren will und dies aufgrund der per Definition unbegrenzten Mittel auch kann.
Die Bilanz der sechs Notenbanken, die nach Beginn der Überschuldungskrise auf Quantitative Easing – also den Aufkauf von Wertpapieren – gesetzt haben, wuchs seit 2007 immerhin auf 15.000 Milliarden US-Dollar. Spitzenreiter ist die EZB (umgerechnet 4.900 Milliarden US-Dollar), gefolgt von der Bank of Japan (4.530 Milliarden US-Dollar) und der US-Fed (4.470 Milliarden US-Dollar). Die Bank of England, die Schweizer Nationalbank und die schwedische Reichsbank folgen auf den Plätzen.
Am liebsten kaufen die Notenbanken die Staatsanleihen der eigenen Regierung – beziehungsweise in Europa der verschiedenen Euro-Mitgliedsländer. Immerhin 9.000 Milliarden US-Dollar haben sie dafür per Mausklick geschaffen. Das sind rund 20 Prozent der gesamten Staatsschulden dieser Länder.
Spitzenreiter bleibt die Bank of Japan, die 85 Prozent ihrer Bilanzsumme in japanische Staatsanleihen „investiert“ hat und bereits heute rund 40 Prozent der japanischen Staatsanleihen hält. Ende 2018 dürften es mehr als 50 Prozent sein.
Davon sind wir in der Euro-Zone noch weit entfernt, dennoch dürfte unstrittig sein, dass die Zinsdifferenzen zwischen den einzelnen Staaten deutlich höher lägen ohne die 2.000 Milliarden an Staatsanleihen, die die EZB bisher gekauft hat.
Verzerrte Zinsen – verzerrte Preise
Ist das Zinsniveau manipuliert, stimmen auch die Preise anderer Vermögenswerte nicht mehr. Alles erscheint „billig“ im Vergleich zu Staatsanleihen. Anleihen schlechterer Schuldner, Aktien, Immobilien, Kunst und weitere Dinge, die als „Geldanlage“ gesehen werden, erreichen damit Bewertungsniveaus, die ähnlich geringe künftige Renditen erwarten lassen wie die Staatsanleihen selbst. Vorausgesetzt, es geht nichts schief.
Damit fehlt unserer Wirtschaft das Korrektiv. Wo Risiken nicht adäquat verzinst werden, wo der Glaube vorherrscht, es gäbe immer einen Käufer, da kann keine sinnvolle Allokation „knapper“ Ressourcen stattfinden. Einfach, weil sie eben nicht mehr knapp sind. Wer immer den Investoren eine höhere Rendite verspricht, wird mit Geld überschüttet, wie der Run auf Anlagen bei Private Equity beweist.
Der Zinssozialismus wirkt überall.
Geldpolitik der EZB
Die EZB setzt ihre ultralockere Geldpolitik unverändert fort: Der Leitzins bleibt bei null Prozent. Monatlich kauft die Notenbank weiter Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Milliardenumfang. Basierend auf den aktuellen Daten halte der EZB-Rat die expansive Geldpolitik nach wie vor für angemessen, begründete Draghi. Immerhin sagt Europas oberster Währungshüter, dass die Notenbank derzeit keine Notwendigkeit sehe, noch mehr Geld in die Hand zu nehmen - etwa über neue Langfristkredite für Banken.
Die EZB strebt für den Euroraum eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug von der Nulllinie entfernt. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum robust um 1,7 Prozent. Im Februar 2017 dann knackte die Teuerung erstmals seit vier Jahren wieder die Marke von zwei Prozent - die von den Währungshütern angepeilten Ziele scheinen erreicht. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den 19 Ländern des gemeinsamen Währungsraumes groß. „Die EZB hat einen Auftrag für den Euroraum insgesamt, und darauf muss sie ihre Geldpolitik ausrichten“, sagte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing dem „Handelsblatt“.
Hauptgrund für den Anstieg der Inflation ist ein kräftiger Sprung der Energiepreise. Ökonomen rechnen damit, dass der Höhepunkt zunächst erreicht ist. „In den nächsten Monaten dürfte die Inflationshysterie wieder etwas nachlassen“, erklärt die Commerzbank. Wichtig ist für die Währungshüter eine nachhaltige Entwicklung der Verbraucherpreise. Dabei haben sie auch die Kerninflation im Blick - also die Teuerung ohne stark schwankende Energie- und Nahrungsmittelpreise. Im Februar verharrte diese Rate bei vergleichsweise niedrigen 0,9 Prozent.
„Der große Belastungstest steht vermutlich am 7. Mai an, wenn die Stichwahl darüber entscheidet, ob mit Marine Le Pen eine erklärte Euro-Feindin französische Präsidentin wird“, erläutern Ökonomen der Landesbank Helaba. Solange dies nicht geklärt sei, dürfte EZB-Präsident Draghi keine geldpolitische Kursänderung zulassen. Ähnlich sieht das ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Sollte sich die politische Unsicherheit nach den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich legen, könnte die Notenbank im Sommer Hinweise auf einen Ausstieg im Jahr 2018 geben. „Dieses Timing könnte helfen, das EZB-Bashing im beginnenden Wahlkampf in Deutschland zu dämpfen“, sagt Brzeski.
Das dürfte noch eine Weile dauern. Draghi bekräftigte erneut, dass die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben werden - mindestens bis zum Auslaufen der Anleihekäufe Ende 2017. Für Sparer ist das Zinstief bei steigender Inflation bitter. Sparbuch und Co. werfen ohnehin kaum noch etwas ab. Solange die Teuerungsrate nahe der Nulllinie dümpelte, glich sich das in etwa aus. Bei steigenden Verbraucherpreisen bleibt Sparern unter dem Strich aber weniger Geld.
Alle, die Kredite aufnehmen, zum Beispiel Immobilienkäufer. Auch wenn die Zinsen wieder leicht steigen, sind Hypothekenkredite immer noch günstig. Die ultralockere Geldpolitik kommt auch dem deutschen Fiskus zugute, weil er sich günstig verschulden kann. „Wären die Zinsen auf dem Niveau des Jahres 2007 geblieben, hätte der deutsche Staat über die Zeit um rund 250 Milliarden Euro höhere Zinsausgaben stemmen müssen“, rechnete Bundesbank-Präsident Jens Weidmann jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor.
Die EZB kann nicht von heute auf morgen einfach den Geldhahn zudrehen. Das würde zu schweren Turbulenzen an den Finanzmärkten führen. Um den Markt vorzubereiten, müssten die Währungshüter das Auslaufen der Wertpapierkäufe einige Monate vorher ankündigen, erläutert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Friedrich Heinemann, Experte am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW, mahnt: „Dringend nötig wäre eine klare Perspektive für 2018 mit einer realistischen Strategie zum Auslaufen der Anleihekäufe. Wie bei jedem Ausstieg aus einer Droge ist mit Entzugserscheinungen an den Anleihemärkten zu rechnen, auch Panikattacken sind denkbar.“
Abnehmende Kontrolle der Produktionsmittel
Doch damit nicht genug. Die Notenbanken gehen dazu über, direkt Anteile von Unternehmen zu erwerben. Vorreiter sind dabei die Schweizer Notenbank und die Bank of Japan.
Die Schweizer sind sicherlich unschuldig in die Situation geraten, mussten sie doch in einem Umfeld der Geldschwemme ein weiteres Ansteigen des Frankens zumindest aufschieben. Neben Staatsanleihen aus dem Euro-Raum haben die Eidgenossen für 80 Milliarden US-Dollar Direktinvestitionen in führende US-Firmen getätigt: Apple (2,7 Milliarden US-Dollar), Microsoft (1,7), Johnson&Johnson, Exxon, Amazon, Facebook, AT&T und General Electric sind die größten Einzelpositionen.
Abnehmende private Kontrolle der Produktionsmittel
Die Bank of Japan hat bisher börsengehandelte Indexfonds (ETF) im Volumen von 127 Milliarden US-Dollar aufgekauft und wird schon nächstes Jahr über drei Prozent der Tokioter Börse besitzen. Wie auch bei den Anleihen gilt auch hier, dass das Vorhandensein eines Käufers mit unbegrenzter Kaufkraft als solches schon einen Preisanstieg mit sich bringt.
Doch nicht nur die Preisfindung wird hierdurch gestört. Hinzu kommt eine abnehmende private Kontrolle der Produktionsmittel. Die Notenbanken werden sich sicherlich nicht in die Geschäftspolitik der Unternehmen einmischen, an denen sie beteiligt sind. Das Management wird immer mehr – wie auch im Sozialismus – einer Kontrolle aus ökonomischer Sicht entzogen.
Nun kann man sicherlich einwenden, dass die (bisher) geringen Anteile die von Notenbanken direkt oder indirekt gehalten werden, keine so große Rolle spielen. Hinzu kommt aber der mehrfach an dieser Stelle kritisierte Boom der Indexfonds. Auch an diesem Boom trägt die Politik der Notenbanken entscheidende Mitschuld. Zum einen hat die Geldschwemme der vergangenen Jahre alle Boote steigen lassen, was es für aktive Manager (noch) schwerer macht, den Markt zu schlagen (nicht unmöglich!), zum anderen werden die Kosten in einem Umfeld tiefer Zinsen zu einem entscheidenden Performance-Treiber.
Das billige Geld treibt Investoren in die vermeintlich sicheren Indexfonds. Diese üben jedoch keine Kontrollfunktion aus, sondern kaufen das, was im Index ist und an Wert gewinnt. An die Stelle von Kontrolle tritt also institutionalisiertes Herdenverhalten und Desinteresse an den tatsächlichen Handlungen des Managements. Treibt dieses durch kurzfristiges Financial Engineering den Kurs der Aktie nach oben, führt diese zu weiteren Käufen, keinem kritischen Hinterfragen der Situation.
Geldsozialismus setzt sich fort
Allen Beteuerungen zum Trotz werden die Notenbanken der westlichen Welt den eingeschlagenen Kurs weiter fortsetzen. Spätestens bei einer Rezession oder einer von externen Faktoren (Korea?) ausgelösten erneuten Krise an den Finanzmärkten werden die Notenbanken noch aggressiver in den Märkten intervenieren.
Doch was tun als Anleger? Nichts kaufen, weil alle Preise manipuliert sind, ist keine Strategie. Wir müssen uns damit abfinden, dass am Ende dieses Spiels die Autorität der Notenbanken und das Vertrauen in die vorherrschende Geldordnung ruiniert sein werden. Deshalb dürfte Geld am Schluss das schlechteste aller Investments sein. Zwischenzeitlich dürfte eine erhöhte Liquidität jedoch eine Möglichkeit bieten, bei Korrekturen an den Märkten gezielt zuzukaufen. Dabei bleibe ich weiterhin bei meiner Empfehlung, je 25 Prozent in Gold, Aktien, Immobilien und Liquidität zu halten. Zur Zeit dürfte von diesen vier Bereichen Gold das am wenigsten manipulierte Asset sein.