Die Phase der Niedrigzinspolitik erlebt einen neuen Höhepunkt. Vor wenigen Tagen hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen auf neues Rekord-Niedrigniveau gesenkt. Was die Unternehmen und die Konjunktur auf der einen Seite freut, schadet auf der anderen Seite ungemein: Lebensversicherer, Pensionskassen und insbesondere auch Stiftungen sind die großen Verlierer der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank! Denn auf der einen Seite ist eines ihrer Kernziele, das Stifterkapital zu erhalten. Auf der anderen Seite steht jedoch als zweites großes Ziel das Mehren des Stiftungsvermögens. Und hier befinden wir uns im Zentrum eines immensen Dilemmas: Positive Erträge sind angesichts der Dauerniedrigzinsen mit klassischen Anlageformen nicht mehr zu erzielen. Ein Stiftungsmanager, der heutzutage versucht, positive Erträge ohne Risiko zu erzielen, erreicht genau das Gegenteil. Er erwirtschaftet Renditen unterhalb der Inflationsschwelle und sorgt damit für ein Abschmelzen des Stiftungskapitals.
Der erneute Dreh an der Zinsschraube hat das Problem noch einmal verschärft und er kommt zur Unzeit: Aktuell sind in vielen Stiftungsvermögen hochverzinste Anleihen älteren Datums am Ende ihres Investitionszyklus angekommen. Das Kapital wird in den kommenden Monaten zurückfließen und soll neu angelegt werden. Die aktuellen Renditen von vermeintlich "sicheren" Anleihen liegen jedoch deutlich unter der Inflationsrate. Damit wird es schwer, das Stiftungskapital dauerhaft zu erhalten und darüber hinaus zur Erfüllung des Stiftungszwecks Erträge auszuschütten. Wie können die Stiftungen und deren Assetmanager auf diese Situation reagieren? Auf der einen Seite sollen Risiken gerade bei Stiftungen vermieden werden, auf der anderen Seite sinken die Renditen im Rekordtempo. Gibt es einen Weg aus dem Anlagenotstand? Das ist für Vermögensverwalter von Stiftungskapital die drängendste Frage.
Die Antwort auf die aktuelle Herausforderung ist einfach, aber dennoch scheuen viele Stiftungsvorstände davor zurück: Es müssen neue Anlagestrategien entwickelt werden, weil die alten Modelle in der aktuellen Marktphase nicht mehr funktionieren.
Ohne Frage erkennen viele Stiftungsvorstände, dass die reine Rentenanlage auf Dauer weder sicher noch ertragreich sein kann. Dennoch scheuen sie die Beimischung von Aktien- oder Sachwertanlagen. Dies hat ganz reale Hintergründe: Der Stiftungsvorstand haftet bei der Realisierung von Verlusten, sofern er grob fahrlässig gehandelt hat. Viele Vorstände halten sich aus diesem Grund lieber zurück und wählen im Zweifel lieber ausschließlich vermeintlich sichere Anlagen aus.
Dabei könnten sie problemlos anders investieren: Aktien, Aktienfonds oder Sachwerte sind für Stiftungen durchaus nicht per se tabu. Es gibt keine konkrete gesetzliche Vorgabe, wie hoch der Aktienanteil einer Stiftung sein darf beziehungsweise, dass er bei Null liegen muss. In den Stiftungsgesetzen der Bundesländer ist nur vorgegeben, dass "das Stiftungsvermögen erhalten bleiben muss". Hier bleibt unklar, ob es sich bei dieser Vorgabe lediglich um den nominalen oder den realen Kapitalerhalt handeln muss.
Höchste Zeit umzuschwenken
Aus dieser Vorgabe interpretieren viele Banken und Anlageberatern fälschlicherweise, dass eine Stiftung ihr Kapital mündelsicher anlegen muss, dass es gesetzliche Begrenzungen für eine Aktienquote gibt und dass bestimmte Anlageklassen als Investitionsobjekte gänzlich ausgeschlossen sind.
Konsequenz: Die Anlageprofis scheuen das offene Gespräch mit den Entscheidern der Stiftung. Sie bleiben aus Unwissenheit oder Vorsichtsgründen bei ihren herkömmlichen Empfehlungen mit der Folge, dass Stifter und Stiftungsvorstände heute häufig sehr unzufrieden mit der Performance des Stiftungsportfolio sind und letztlich auch reale Vermögenseinbußen hinnehmen müssen. Die geplanten Ausschüttungen an den gewählten Stiftungszweck bleiben aus und das Ziel, zum Beispiel den Bau eines Kinderheims zu unterstützen, kann nicht erfüllt werden.
Die größten Stiftungen in Deutschland
In Deutschland gibt es fast 20 000 rechtsfähige Stiftungen. Mit einem Vermögen von 5,1 Milliarden Euro ist die Robert Bosch Stiftung GmbH die größte Stiftung Deutschlands.
Die Dietmar-Hopp-Stiftung gGmbh, die seit 1995 Projekte aus den Bereichen Jugendsport, Medizin, Soziales und Bildung fördert, verfügt über ein Vermögen von 4,3 Milliarden Euro.
Mit einem Vermögen von 4,2 Milliarden Euro landet die 1983 gegründete Else Kröner-Fresenius-Stiftung auf Platz drei. Die Stiftung fördert Medizin- und Forschungsprojekte.
Die Klaus Tschira Stiftung wurde 1995 von dem Physiker Dr. h.c. Klaus Tschira gegründet. Sie gehört zu den größten gemeinnützigen Stiftungen Europas und besitzt ein Vermögen von drei Milliarden Euro.
Die VolkswagenStiftung hat ein Vermögen von 2,6 Milliarden Euro, mit dem sie Forschungsprojekte aus den Bereichen Wissenschaft und Technik fördert.
Die Baden-Württemberg Stiftung besitzt 2,2 Milliarden Euro, die in die Förderung verschiedener Projekte des Landes investiert werden.
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt ist mit einem Vermögen von zwei Milliarden Euro die siebtgrößte Stiftung in Deutschland und fördert innovative Projekte zum Umweltschutz.
Die Joachim Herz Stiftung hat ein Vermögen von 1,3 Milliarden Euro und engagiert sich regional, national und international im Bereich der Berufsbildung und Berufsvorbereitung für Jugendliche und junge Erwachsene.
Sowohl die Software AG-Stiftung als auch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung besitzen ein Vermögen von 1,1 Milliarden Euro, weshalb beide den neunten Platz im Ranking der größten deutschen Stiftungen belegen. Die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung verwaltet das Familienvermögen und Erbe der Familie Krupp, während die Software AG-Stiftung verschiedene soziale Projekte aus den Bereichen Erziehung und Bildung
sowie Wissenschaftsförderung unterstützt.
Dies ist vor allem ein Problem von kleinen Stiftungsvermögen, denn häufig werden sie nicht von professionellen Stiftungsberatern betreut, sondern von Anlageberatern, die sich ansonsten um das Privatvermögen "normaler" Kunden kümmern. Die Besonderheiten einer Stiftung sind hier in einigen Fällen gar nicht bekannt. Es gibt zwar mittlerweile in Deutschland knapp 20.000 private Stiftungen. Aber nur wenige Banken haben sich dem Thema bereits näher gewidmet und sich auf die Bedürfnisse der Stiftungen spezialisiert und weisen die erforderliche Erfahrung und Kompetenz auf.
Fragen und Antworten zum EZB-Zinsentscheid
Weil der Leitzins auf seinem bisherigen Rekordtief von 0,75 Prozent nicht genügend Durchschlagskraft hatte: Der Euroraum steckt weiterhin tief in der Rezession. Zwar ist umstritten, ob der niedrigere Zins die Konjunktur spürbar antreiben kann. Aber die Notenbank signalisiere mit dem Schritt, dass sie „den Ernst der Lage erkannt habe“, sagte Michael Krautzberger, Leiter des Teams für europäische Anleihen bei Blackrock. Aus Sicht von Helaba-Ökonom Ulf Krauss sind die Vorteile einer Zinssenkung eher psychologischer Natur: „Vielleicht reicht ja ein kleiner Flügelschlag der Geldpolitik aus, um der zuletzt gedrückten Stimmung bei den Unternehmen den entscheidenden Anschub zu geben, wird sich der eine oder andere Notenbanker denken“, schrieb Krauss vor der EZB-Sitzung.
Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite. Unternehmen können dann im Prinzip mehr investieren und Verbraucher mehr kaufen, was nicht sofort aus eigener Tasche bezahlbar ist. Beides kann die Konjunktur ankurbeln. Solche Wachstumsimpulse sind aktuell vor allem in den Krisenstaaten im Süden Europas gefragt: Griechenland, Italien, Portugal, Spanien - sie alle ächzen unter harten Reformen, rigiden Sparauflagen und hoher Arbeitslosigkeit. Aber auch in Deutschland profitieren zumindest einige vom billigen Zentralbankgeld: Darlehen für Hausbauer und Wohnungskäufer sind derzeit extrem günstig.
In der Tendenz ja. Die Wirtschaft in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren deutlich besser entwickelt als im Euroraum. Auch der Arbeitsmarkt steht gut da, das macht hohe Tarifabschlüsse wahrscheinlicher. Daher kann billiges Geld hierzulande schneller die Inflation anheizen als in Spanien, Zypern oder Griechenland. Doch im Moment ist das nicht in Sicht. Kommt es zum Preisauftrieb, könnten höhere Zinsen dagegen helfen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte kürzlich auf das Dilemma der EZB aufmerksam gemacht: Die Zinsen für Deutschland seien eigentlich schon zu niedrig, während die EZB für andere Länder eigentlich noch mehr tun müsse. Allerdings ist die Lage hierzulande ebenfalls noch gedämpft - im Schlussquartal 2012 schrumpfte die deutsche Wirtschaft und auch 2013 läuft bisher nicht wirklich rund.
Billiges Geld kann zu Inflation, also Geldentwertung, führen. Je mehr das Geld entwertet wird, umso weniger Waren und Dienstleistungen können Verbraucher kaufen. Die Kaufkraft sinkt also, ebenso der Wert der Ersparnisse. Auf der anderen Seite zehrt Inflation aber auch Schulden auf. Die EZB strebt mittelfristig eine Teuerungsrate von „unter, aber nahe bei“ 2,0 Prozent als stabiles Preisniveau an. Im April sank die Inflation im Euroraum auf 1,2 Prozent - trotz der seit Monaten weit geöffneten Geldschleusen der EZB.
Tendenziell ja. Verbraucherschützer haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass Banken eine Erhöhung der Leitzinsen bei Krediten schneller an ihre Kunden weitergeben als eine Senkung.
Im Prinzip ja. Zwar ist die Inflation derzeit auf dem Rückzug, dennoch liegen die Sparzinsen meist noch deutlich darunter. Heißt: Wer Geld auf Sparbuch, Tagesgeldkonto oder in Bundesanleihen anlegt, macht nach Abzug der Inflation zumeist ein Verlustgeschäft. In einer gemeinsamen Erklärung vor der EZB-Sitzung hatten die Verbände von Volksbanken, Sparkassen und Versicherungswirtschaft in Deutschland davor gewarnt, die Zinsen noch weiter zu senken: „Jeder Zinsschritt nach unten lässt die Sparguthaben schmelzen. Sinkende Zinsen bedeuten einen sinkenden Anreiz für das Sparen und Vorsorgen. Dabei müssen die Menschen heute mehr als bisher vorsorgen, um ihren Lebensstandard im Alter zu sichern.“
Jetzt fordert diese Indifferenz ihren Tribut. Aus dem Sicherheits-Rendite-Dilemma kann man sich nur mit Hilfe professioneller Unterstützung und einem individuell angepassten Anlagekonzept befreien. Stiftungen können in gewissen Umfang Risiken tragen, weil sie einen sehr langfristen Anlagehorizont haben. Damit sind grundsätzlich auch Aktien, Aktienfonds, Mittelstandsanleihen, Rentenanlagen aus Schwellenländern, Immobilienanlagen oder selbst risikoreichere Anlagen kein Problem - sofern es sich um eine vertretbare Beimischung handelt. Die Risiken sollten möglichst breit gestreut werden. Hierbei ist besonders zu beachten, das Anlageformen gewählt werden, die eine regelmäßige Ausschüttung bieten, dividendenstarke Aktien beispielsweise. Die Ausschüttungen dienen einerseits der Erfüllung des Stiftungszwecks, andererseits haben dividendenstarke Aktienwerte in der Vergangenheit bewiesen, dass sie auf lange Sicht schwankungsärmer sind als andere Aktien.
Stiftungen und risikobehaftete Anlagen schließen sich also per se nicht aus - im Gegenteil. Mit einem breiten Anlagemix lassen sich auch in der Niedrigzinsphase ausschüttungsfähige Erträge generieren. Gleichzeitig ist professionelle Beratung heute mehr gefragt denn je. Das A und O liegt dabei in einer kompetenten Beratung der Entscheidungsgremien. Der Stiftungsberater muss genauestens prüfen, inwieweit die Anlagen für die Stiftung geeignet sind und die Entscheider über die Funktionsweise der Anlagen, deren Kosten, Chancen und vor allem Risiken umfassend aufklären.
Stiftungsvorstände sollten somit stets nur Anlageformen wählen, die sie selbst nachvollziehen und verstehen können. Für dieses notwendige Umschwenken ist es jetzt höchste Zeit: Ein Aussitzen der Niedrigzinsphase ist inzwischen auch für andere institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionskassen keine Option mehr.