Wer unter diesen Umständen nicht verkaufen will oder kann, muss womöglich ewig warten, bis er sein Geld zurückbekommt. Kündigen kann den Strombond nur Tennet selbst – und zwar frühestens nach zehn Jahren. Der Zeichner ist also ganz auf die Gnade des Emittenten angewiesen, was ungewöhnlich ist.
Obendrein müssen die Anleger sich klarmachen, dass der Bond nachrangig ist. "Die Zeichner stehen in der Liste der Gläubiger weit hinten. Im Fall einer Insolvenz hätten sie nur geringe Chancen, ihr Kapital wiederzusehen", so Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz.
Angesichts der unübersehbaren Risiken der Anleihe bewerten die Ratingagenturen den Tennet-Bond ziemlich mau. Moody’s vergibt die Note Baa3, also die unterste Stufe in der Investitionsklasse. Die Anleihe wäre demnach gerade noch für konservative Investoren zu empfehlen. Bei Standard & Poor’s lautet das Rating aber schon schwächer mit nur BB+. Damit wird der Bond bereits als spekulativ eingestuft. Vorsichtige Anleger sollten deshalb lieber die Finger davon lassen.
Andere Netzbetreiber warten ab
Die Struktur der Bürgeranleihe und das zu erwartende geringe Handelsvolumen würden eigentlich eine deutlich höhere Verzinsung als bestenfalls 4,6 Prozent einfordern. "Sieben Prozent müsste man Privatanlegern eigentlich schon bieten", so ein am Verfahren beteiligter Experte, der seinen Namen angesichts der politischen Brisanz des Themas lieber nicht gedruckt sehen möchte.
Mit Spannung beobachten die übrigen Netzbetreiber, ob Konkurrent Tennet bei seinem Pilotprojekt eine gewischt bekommt. "Abwarten", lautet dort die Devise. "Bisher haben wir weder ein fertiges Produkt noch ein passendes Leitungsbauprojekt, bei dem wir die Bürgerdividende einsetzen könnten", heißt es bei Amprion, die Stromleitungen in Bayern und Westdeutschland betreibt. "Wir werden eine solche Anleihe mit kleinen Stückelungen und einer Vielzahl von Investoren nur auflegen, wenn wir die Mehrkosten auf die Strompreise überwälzen können", heißt es bei Transnet BW aus Baden-Württemberg. Ähnliches lässt 50 Hertz aus Ostdeutschland verlauten: "Wir müssen erst einmal prüfen, ob in unserer Region überhaupt genügend Anwohner eine Affinität zu Anleihen und ähnlichen Investments haben."
Angesichts des denkbar geringen Interesses in der Bevölkerung beginnt nun auch Tennet die Flagge einzuziehen. "Die Bürgeranleihe ist ein neuer Weg, um über eine finanzielle Beteiligung für mehr Verständnis für den Stromnetzausbau zu werben. Sie ist aber nicht der einzige und auch nicht der wichtigste Weg", sagt Geschäftsführer Hartman. "Viel wichtiger als die Frage, wie es läuft, ist, was wir aus dem Pilotprojekt Bürgeranleihe lernen können."
Mit anderen Worten: Das Tennet-Management rechnet damit, dass der neue Bond zur Finanzierung von Stromtrassen ein fürchterlicher Reinfall wird.