Fachleuten kräuseln sich angesichts dieses Geschwurbels die Nackenhaare. Die Anwohner werden keineswegs eine "Dividende" erhalten, wie dies bei der Ausgabe von Aktien der Fall wäre. Geplant ist vielmehr die Emission von Anleihen mit festen Zinssätzen. Überdies können sich die Bürger gar nicht unmittelbar an Stromleitungen beteiligen. Vielmehr finanzieren die Anwohner mit Strombonds wie bei Tennet das gesamte Unternehmen, ohne irgendeinen Einfluss auf die Verwendung der Gelder zu haben. Bürgerprojekte sehen anders aus.
Obendrein sind die Konditionen keineswegs so attraktiv, wie dies auf den ersten Blick scheint. Tennet verspricht für das erste Bürgerpapier zwar Zinsen von fünf Prozent. Doch die werden erst nach Baubeginn gezahlt – in der Zwischenzeit gibt es lediglich drei Prozent. "Wird mit dem Bau der Leitung, wie geplant, im Jahr 2015 begonnen, beträgt die durchschnittliche Rendite bis zur ersten Kündigungsmöglichkeit zehn Jahre nach Baubeginn rund 4,6 Prozent", rechnet Analyst Prochnow vor.
Genehmigung kann Jahre dauern
Doch es ist keineswegs sicher, dass die Bautrupps schon 2015 in Holstein anrücken. Hunderte von Anwohnern wollen gegen die Westküstenleitung klagen. Es dürfte also noch viele Jahre dauern, bis die Trasse endlich genehmigt ist – nicht zuletzt deshalb, weil sich wohl nur die wenigsten Kläger ihre Rechte mit Geld abkaufen lassen. "Damit hängt die gesamte Rendite der Bürgeranleihe von der Länge der Genehmigungsphase ab", räumt Tennet-Geschäftsführer Hartman ein. Verzögert sich der Baubeginn zum Beispiel um zwei Jahre, sinkt die durchschnittliche Rendite für zehn Jahre auf rund vier Prozent.
Überdies kann die Verzinsung der Anleihe von 2018 an neu festgelegt werden. Und "ab Baubeginn räumt sich Tennet das Recht ein, die Zinszahlungen zu stunden", warnt Analyst Prochnow. Es sei zwar schwer vorstellbar, dass das Unternehmen hiervon Gebrauch mache. Außerdem würden eventuell gestundete Zahlungen ebenfalls verzinst. Doch die Anleger sollten diesen Punkt im Auge behalten. Wer beispielsweise seine Rente mit den versprochenen Zinsen aufbessern will, könnte womöglich jahrelang leer ausgehen.
Anleihe wäre sehr anfällig für Kursschwankungen
Wollen Anleger ihre Bonds veräußern, weil sie beispielsweise Bargeld benötigen, müssen sie auf böse Überraschungen gefasst sein. Die Tennet-Anleihe soll zwar an den Börsen von Hamburg und Luxemburg gelistet werden, wenn die Zeichnungsfrist Ende August abläuft. Dennoch dürfte es schwer sein, die Bonds zu einem fairen Preis loszuwerden. Selbst Tennet-Boss Hartman rechnet damit, dass der Markt für seinen Bond "aufgrund des Volumens und Art der Investoren möglicherweise nicht besonders liquide sein wird". Die Nord/LB schätzt, dass Tennet bei den Anlegern lediglich rund zehn Millionen Euro einsammeln wird. Wegen des geringen Volumens dürfte die Anleihe sehr anfällig für Kursschwankungen sein.
Entgeistert registrieren Analysten, dass Tennet praktisch keine Vorkehrungen trifft, um seine Anleger vor Kursverlusten zu schützen. Üblicherweise sorgen sogenannte Market Maker oder Designated Sponsors im Auftrag des Emittenten dafür, dass der Handel in Schwung bleibt. Sie springen ein, wenn sich auf dem Markt kein anderer Käufer findet, der angebotene Wertpapiere übernehmen will. Dann können Verkäufer sicher sein, dass sie einen halbwegs angemessenen Preis bekommen. Doch solche Liquiditätsspender sind bei der Tennet-Anleihe schlicht nicht vorgesehen.