Südamerika für Anleger Anlegen zwischen Börsenboom, Hyperinflation und Hungersnot

Südamerika steckt in einer tiefen Rezession, aber die Börsen boomen. Anleger setzen bereits auf die Erfolge politischer Richtungswechsel.

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Schwellenländer: Wetten auf Brasilien. Quelle: imago images

In Südamerika gibt es derzeit zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

An der Börse sind Anleger optimistisch. Sie investieren kräftig in Aktien und Anleihen – wenig beeindruckt von den Brexit-Sorgen diesseits des Atlantiks. Im Krisenland Brasilien gewann die Börse seit Januar 35 Prozent. Die Zinsaufschläge auf brasilianische Anleihen im Vergleich zu US-Bonds sind im gleichen Zeitraum um ein Viertel gesunken. Der Real zählt dieses Jahr zu den härtesten Währungen der Welt. Aber auch der Merval in Buenos Aires legte seit dem Januar-Tief 48 Prozent zu. In Kolumbien stieg der Index 25 Prozent, und in Chile gewann der IPSA 15 Prozent.

Doch dieser Börsenboom hat mit dem Alltag der Menschen wenig zu tun. Lange nicht ging es so vielen Südamerikanern so schlecht: In Venezuela schrumpft die Wirtschaft seit drei Jahren. Der Internationale Währungsfonds rechnet im nächsten Jahr mit über 2000 Prozent Inflation. Misswirtschaft und der niedrige Ölpreis haben trotz der größten Ölreserven weltweit zu einem Versorgungsmangel geführt, der sich zunehmend zur Hungerkatastrophe auswächst.

Südamerika fürs Depot

Auch Brasilien – vor ein paar Jahren noch ein Wirtschaftswunderland – steckt in der längsten Rezession seit einem Jahrhundert. In der mit Abstand größten Ökonomie des Kontinents ist das Pro-Kopf-Einkommen der 200 Millionen Brasilianer in zwei Jahren um zehn Prozent gesunken. Zwei Drittel der Menschen leben von weniger als dem Mindestlohn, umgerechnet 220 Euro im Monat.

Auch in Argentinien, der Nummer zwei in Südamerika nach Wirtschaftskraft, steigt die Arbeitslosigkeit bei hoher Inflation. Ein Drittel der Bevölkerung gilt als arm. Insgesamt wird Lateinamerikas Wirtschaft dieses Jahr 1,3 Prozent schrumpfen, nach bereits 0,7 Prozent vergangenes Jahr, so die Weltbank. Das ist die erste zweijährige Rezession seit 30 Jahren in der Region. Es sieht düster aus für die 400 Millionen Südamerikaner zwischen Panamakanal und Patagonien.

Dass die Börse trotz der schweren Krisen boomt, lässt sich erklären: durch die hohe Liquidität und die niedrigen Zinsen weltweit. Investoren auf der Suche nach profitablen, aber risikoreicheren Anlagen kommen deswegen wieder nach Südamerika. Dass die US-Notenbank Fed die Zinsen wohl nicht so schnell erhöhen wird, wird die Nachfrage nach südamerikanischen Aktien und Anleihen weiter anfeuern.

Doch es gibt auch fundamentale Gründe vor Ort, die für Optimismus sorgen: Südamerika könnte vor einem neuen Aufschwung stehen. Mark Mobius, der legendäre Emerging-Market-Experte der Fondsgesellschaft Franklin Templeton, etwa glaubt, dass Brasilien das Schlimmste hinter sich habe. „Die Risiken eines weiteren Rückschlags dort sind minimal“, sagt Mobius. „Es gibt vermutlich kein Land weltweit, in dem das Potenzial zur Verbesserung so groß ist wie in Brasilien.“ Das ist wichtig für die ganze Region: Geht es Brasilien gut, zieht das den Rest des Kontinents mit.

Tatsächlich scheint bei vielen für Südamerikas Wachstum wichtigen Rohstoffen die Talsohle bei den Preisen erreicht zu sein. Laut den Analysten von Morgan Stanley verbessern sich im nächsten Jahr wichtige Indikatoren wie Wachstum, Inflation, Handels-, Leistungs- und Haushaltsbilanzen quer durch die Region.

Geht es Brasilien gut, geht es Südamerika gut

Der neue Optimismus der Investoren wird vom flächendeckenden Politikwechsel getrieben. Beispiel Peru: Die Börse in Lima hat vom Tief 57 Prozent zugelegt – ein weltweiter Rekord. Auslöser waren politische Weichenstellungen. Die Stichwahl für das Präsidentenamt gewann ein Investmentbanker. Zuvor hatten die Wähler die Linkskandidatin aus dem Rennen geworfen. Sie wollte die Verträge der Bergbauunternehmen neu verhandeln und dachte über Verstaatlichungen nach. Doch ihre Vorschläge fielen im Wählervotum durch.

Abwahl der linken Regierungen

Diese Trendwende hin zu mehr Marktwirtschaft ist einer der tieferen Gründe für den Optimismus der Investoren. Erstmals wählen die Südamerikaner die linken Regierungen ab, die unfähig waren, auf das Ende des Rohstoffbooms zu reagieren. Denn als die Einnahmen für Soja, Eisenerz, Öl und Kupfer in den 2000er-Jahren anschwollen, konnten die gerade angetretenen linken Regierungen aus dem Vollen schöpfen. Durch ihre Verteilungspolitik bekamen die Armen erstmals etwas vom Boom ab und stiegen sozial auf. Dadurch schrumpften Armut und Einkommensunterschiede. Auch die traditionelle Mittelschicht wurde mit Jobs im Staat bedacht.

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Doch seit 2011 ist die Party vorbei: Die Preise für Rohstoffe und Energie sind stark gesunken – den Regierungen ist das Geld ausgegangen. Es rächt sich nun, dass die hohen Einnahmen vor allem in Konsum und Umverteilung geflossen sind und kaum in bessere Infrastruktur, welche die Produktivität erhöht hätte. Mit staatlichen Konjunkturprogrammen versuchten Nicolas Maduro in Venezuela sowie die Präsidentinnen Dilma Rousseff in Brasilien und Cristina Fernández de Kirchner in Argentinien gegenzusteuern. Doch der zunehmende staatliche Einfluss war schädlich: Unternehmer ließen ihre Investitionspläne in der Schublade. Konsumenten stoppten Käufe auf Pump, weil sie fürchteten, arbeitslos zu werden.

Diese depressive Stimmung dreht sich gerade. Vorreiter war Argentinien: Dort trat der Ex-Unternehmer und zweifache Bürgermeister von Buenos Aires im Dezember als Präsident an – und setzte angekündigte Reformen sofort um. Mit einem Kabinett aus ehemaligen Managern, Investmentbankern und international renommierten Politikern vollzog Mauricio Macri eine wirtschaftliche 180-Grad-Wende. Er gab den Wechselkurs des Peso frei, beendete die Devisenkontrollen, öffnete das Land für den Handel, reduzierte die Exportsteuern auf Agrarprodukte und erhöhte die bislang üppig subventionierten Tarife für Strom, Gas und den öffentlichen Nahverkehr. Im Februar einigte er sich mit den Hedgefonds in New York und löste das Schuldenproblem Argentiniens, welches das Land 15 Jahre von den internationalen Finanzmärkten isolierte. Bereits im April zapfte Argentinien mit einer Anleihe wieder die Kapitalmärkte im Ausland an. Investoren rissen sich um die Tango-Bonds.

Neue Regierungen forcieren den Wandel

„Uns ist ein bisschen schwindelig angesichts der Geschwindigkeit und Effizienz mit der Macri seine Entscheidungen trifft“, sagt Dante Sica, einer der führenden Wirtschafts- und Politberater Argentiniens.

Einen ähnlichen radikalen Politikwechsel erlebte Brasilien mit dem eingeleiteten Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin Dilma Rousseff Ende Mai. Die Investoren sind erleichtert, dass die Präsidentin nach knapp fünfeinhalb Jahren aus dem Amt befördert wurde. Sie hat mit katastrophalen Fehlentscheidungen die Wirtschaft in die Krise manövriert. Ihr Vize Michel Temer muss nun dringend Reformen einleiten, damit Investoren, Unternehmen wie Konsumenten wieder Vertrauen fassen. Temers Erfolg steht und fällt mit dem Haushaltsausgleich. Er muss Ausgaben streichen und Einnahmen erhöhen – vermutlich auch mit Steuererhöhungen, damit die rasant steigende Verschuldung gebremst wird.

„Das Vertrauen in der Wirtschaft wächst seit dem Machtwechsel spürbar“, sagt Mauricio Molan, Chefökonom von Santander in Brasilien. Das liegt auch daran, dass sich die Wirtschaftsdaten bessern. Die Inflation sinkt. Die Exporte steigen, und Importe schrumpfen, sodass in der Leistungsbilanz schon ein Überschuss erwirtschaftet wird. Selbst die Industrie wächst wieder – wenn auch auf niedrigem Niveau. „Das fehlende Vertrauen in die Regierung hat Brasilien die Rezession beschert – das neue Vertrauen wird Brasilien wieder auf Wachstumskurs bringen“, hofft Molan und empfiehlt: „Jetzt Brasilien kaufen – kein Zweifel!“

Antikorruptionskampagnen zeigen Wirkung

Das wachsende Vertrauen der Südamerikaner liegt auch an den Antikorruptionskampagnen auf dem Kontinent: Gegen ein Dutzend amtierende oder ehemalige Staatsoberhäupter Lateinamerikas wird wegen Korruption ermittelt. Das ist neu.

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Lange Zeit konnte die Elite in Lateinamerika sich darauf verlassen, straffrei auszugehen. Doch erstmals wird gegen mächtige Unternehmer und Politiker nicht nur ermittelt. Sie werden auch zu hohen Haftstrafen verurteilt. In Chile stehen Vertreter der mächtigen Unternehmerclans wegen Korruptionsverwicklungen vor Gericht. Marcelo Odebrecht, Eigentümer des größten Bau- und Chemiekonzerns Lateinamerikas aus Brasilien, wurde zu 19 Jahren Haft verurteilt. 145 Politiker, Beamte und Unternehmer sitzen in Brasilien hinter Gittern. „Kein Land weltweit geht so hart gegen Korruption vor“, sagt der Investmentguru Mobius. Auch er hat seine Investitionen in Brasilien erhöht.

Diese Entwicklung bekam allerdings auch Hoffnungsträger Temer zu spüren. Wegen Korruptionsverdachtsfällen mussten in knapp zwei Monaten schon drei Minister seines Kabinetts zurücktreten. Er muss aufpassen, seinen Kredit bei Investoren nicht schnell wieder zu verspielen.

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