Wie oft hat Ludwig Schmidt schon die Tage verflucht, an denen er mit Lutz Stephan* gesprochen hat. Der Lehrer aus dem münsterländischen Greven hatte ein hübsches Sümmchen auf dem Girokonto bei der Sparda-Bank Münster angehäuft – und Stephan, der im selben Bankgebäude residiert, wusste einiges damit anzufangen: Er riet zu Schiffsfonds und schließlich zu Immobilienfonds von S&K. Letztere würden Immobilien günstig kaufen, sanieren und teuer wieder losschlagen, soll der Berater getönt haben. Das Konzept sei innovativ, und Immobilien seien sicher. Schmidt investierte 35 000 Euro.
Jetzt fürchtet er, dass er sein Geld nie wiedersieht. Denn die S&K-Chefs Jonas Köller und Stephan Schäfer sitzen seit Mitte Februar in Untersuchungshaft. Sie sollen laut Staatsanwaltschaft mit S&K ein gigantisches Schneeballsystem aufgezogen haben, bei dem alte Anleger aus dem frisch eingezahlten Geld neuer Anleger bedient werden (WirtschaftsWoche 9/2013). Bis heute wurden acht Verdächtige festgenommen. Ermittler vermuten einen dreistelligen Millionen-Euro-Schaden. Erwiesen ist bislang nichts, bis zu einer Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.
Die Vertriebe aber, die einst S&K-Produkte verkauften, dürften trotzdem bereits zittern. Denn sollten Anleger ihr Geld nicht von S&K zurückbekommen, werden sich viele an ihre Berater wenden. Anlegeranwälte suchen zahlungskräftige Prozessgegner und checken dazu die Vielzahl der verschlungenen S&K-Vertriebswege. Zu denen zählen S&K-eigene Vertriebsfirmen, Onlinevermittler und viele freie Finanzberater.
Die Überraschung: Auch klassische Banken sind in den Fall verwickelt. Sie haben den Vertrieb geschlossener Fonds, zu denen auch die S&K-Produkte zählen, an Töchter ausgelagert. Deren Beratertruppen drückten gutgläubigen Kunden der Mutter provisionsträchtige Produkte aus dem grauen Kapitalmarkt ins Depot.
Lehrer Schmidt aus Greven traute seinem Berater Stephan, ordnete ihn nach eigenen Angaben direkt der Bank zu. Doch Finanzberater Stephan sitzt zwar im Gebäude der Sparda-Bank, arbeitet aber nicht für sie. Stephan ist freier Anlageberater bei Comfort Finance. Und die, schrieb die Sparda kürzlich Schmidts Anwalt, sei nur die Tochter einer Tochter (Enkelgesellschaft) der Sparda-Bank. Sparda habe Schmidt demnach nicht beraten und könne Geschäfte auch nicht rückabwickeln.
Haftung künstlich vermeiden
Darin, dass Geldhäuser derlei Geschäfte auslagern, könnte System liegen: „Banken gründen Töchter und Enkelgesellschaften oft nur, um eine Haftung künstlich zu vermeiden oder zu verschieben“, sagt Schmidts Anwalt Heinz Steinhübel. Weiterer Vorteil für Banken: Sie müssen Kunden nicht aufklären, falls sie eine Provision bekommen haben. Sparda äußerte sich dazu auf Nachfrage nicht.
Anleger Schmidt gibt sich irritiert: „Mein Berater hat sich mir als Mitarbeiter der Sparda-Bank Münster vorgestellt und kannte später stets meinen Girokontostand bei der Bank.“ Schmidt legt gar einen Sparda-Briefbogen vor, den Stephan als „Mitarbeiter/in der Bank“ unterzeichnet hat – allerdings samt Comfort-Finance-Firmenstempel.
* Name von der Redaktion geändert
146,5 Prozent Rendite in fünf Jahren
Aus weiteren Verträgen geht hervor, dass Schmidt Geschäfte mit Comfort Finance machte. Sparda meint deshalb: „Aus dem Außenauftritt der Gesellschaft und deren Berater ist eindeutig erkennbar, dass die Beratungs- und Vermittlungsleistungen nicht durch die Sparda-Bank Münster selbst erfolgen.“ Comfort Finance biete vermögenden Kunden Produkte an, die die Bank nicht vertreibe.
Ähnlich wie Sparda agierte auch die Sparkasse Emden. Sie ließ 2009 über ihre Tochter Emder Finanzberatung den S&K Real Estate Value Added Fonds vertreiben. Erwartete Rendite laut Werbeflyer: 146,5 Prozent, in fünf Jahren. Zu schön, um wahr zu sein. Die Sparkasse sagt, dass Kunden über Risiken wie den möglichen Totalverlust aufgeklärt worden seien. Sparkasse und Sparda waren sicher nicht die Hauptumsatzbringer für S&K. Besonders viel Geschäft soll über freie Finanzvermittler gelaufen sein. Die bekommen ihren Zugang zu Finanzprodukten unter anderem über Maklerpools wie die Münchner Fonds Finanz.
Einer deren Produktpartner ist wiederum das Hamburger Emissionshaus United Investors, das die Fonds aufgelegt hat. S&K durfte das eingesammelte Geld dann anlegen. „Insgesamt haben 98 Vermittler ihre Anträge von United Investors über die Fonds Finanz eingereicht“, sagt Fonds-Finanz-Geschäftsführer Markus Kiener. Diese hätten über Fonds Finanz 4,4 Millionen Euro Anlegergeld mit S&K-Fonds umgesetzt. Anlegern stellt sich die Frage, ob sie, falls sie falsch beraten wurden, Geschäfte rückabwickeln können – und wer haftet. Entscheidend ist, auf welchem Weg sie S&K-Fonds gekauft haben.
Fonds bei wallstreet:online
Im Internet vermittelte etwa die börsennotierte wallstreet:online capital AG den Fonds Deutsche S&K Sachwerte Nr. 2.
Kunden wählen Fonds bei wallstreet:online aus und zeichnen über die Vertriebskanäle fondsdiscount.de oder geschlossene-fonds.de. Da wallstreet:online keine Anlageberatung vollziehe, führe das Haus auch keine Produktprüfung durch, richteten die Berliner aus. Wallstreet:online lässt sich von Anlegern gar von der Haftung freizeichnen. Sparer unterschreiben, dass es sich um eine „beratungsfreie Dienstleistung“ handele. Wer nicht berät, ist aus dem Schneider.
Anders könnte das bei Finanzvermittlern aussehen. „Ein Berater haftet, wenn er falsch berät und etwa nicht ausreichend über Risiken einer Kapitalanlage aufklärt. Ein Klassiker ist, dass der Berater es vor Zeichnung durch den Kunden unterlässt, den Prospekt zu übergeben“, sagt Anwalt Adrian Wegel von BHP Bouchon Hemmerich & Partner. Preise der Berater nur Vorteile wie Steuerersparnisse an und verschweige Nachteile wie Nachschusspflichten, habe der Anleger gute Chancen auf Schadensersatz.
Ziel einer Klage könnte auch United Investors sein, das Emissionshaus hinter S&K. Laut einem S&K-Fondsprospekt haftet es „für den Inhalt des Prospektes und erklärt, dass ihres Wissens die Angaben richtig und keine wesentlichen Umstände ausgelassen worden sind“.
Berater fürchten sich vor Klagen
Groß-Razzia wegen Anlagebetruges
Ob das der Wahrheit entspricht, lässt sich zumindest bezweifeln. So sitzen die United-Investors-Geschäftsführer Hauke Bruhn und Thomas Gloy in U-Haft. Gloy ist auch Aufsichtsratschef bei S&K. „Wusste United Investors von den Machenschaften bei S&K, könnten Anleger auch das Emissionshaus in Anspruch nehmen“, sagt Wegel. United Investors war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Das Emissionshaus trommelte aktiv bei Vertrieben. So lud United Investors Fondsverkäufer zu den S&K-„Transparenztagen“ ein. S&K-Chef Köller präsentierte dort in luxuriöser Umgebung sein Konzept.
United Investors stellte den freien Verkäufern auch Musteranschreiben für Anleger zur Verfügung und stattete sie mit Argumenten für Verkaufsgespräche aus. Mit „grundbuchlich besicherten Sachwerten“, Inflationsschutz und „überdurchschnittlicher Rendite“ und einem „hohen Maß an Sicherheit“ sollten sie werben. Viele Einladungen verteilte der Pool Fonds Finanz für United Investors an Tausende freie Fondsverkäufer. 2012 trommelte eine Abteilungsleiterin von Fonds Finanz etwa für eine „S&K-Sondertranche“, die sich Fonds Finanz kurzfristig gesichert habe.
S&K habe gerade die Frankfurter Gerbermühle für 3,7 Millionen gekauft, warb sie, schon in den nächsten Wochen werde das Haus wieder verkauft. Das Minimumgebot liege derzeit bei zehn Millionen Euro. „Mehr Sicherheit gibt meines Erachtens derzeit nicht“, schrieb sie in nicht ganz korrektem Deutsch an Vertriebler.
Viele Berater, die S&K-Fonds verkauft haben, machen sich nun Sorgen und suchen vorsorglich ihre Anwälte auf. Einer sagt, dass die Berater sich vorwerfen lassen müssen, blauäugig gehandelt zu haben. „Wenn, wie bei S&K, rund 20 Prozent des eingezahlten Kapitals für Provisionen und Ähnliches gezahlt werden und mit dem Rest zwölf Prozent Rendite erwirtschaftet werden sollten, muss jeder Berater skeptisch werden“, sagt der Experte.
Sehen Anleger ihr Geld wieder?
Ob Anleger ihr Geld wiedersehen, hängt von der Zahlungskraft des Klagegegners ab. Gehörte der Berater einer Haftungsorganisation an, kann ein Anleger diese verklagen. Bekommt er recht, dürfte er Geld sehen. Anleger, die einen Berater verklagen wollen, der keinem Haftungsdach angehört, sollten vorher prüfen, ob ihr Vermittler eine Vermögensschadenshaftpflicht hatte, als er das Produkt verkaufte.
Fragwürdig dürften von United Investors angepriesene Garantien für die Fonds sein.
In einer Präsentation warb das Emissionshaus dafür, dass sich Anleger bei Zeichnung eines S&K-Fonds über den Kauf einer Garantie gegen Verluste aus einer Insolvenz versichern könnten. Hinter dem Garantiegeber soll angeblich ein in Costa Rica gegründeter US-Rückversicherer stehen. Vertrauen flößt das nicht ein.
Das Garantie-Konstrukt, warb United Investors aber unverdrossen, werde dem Vertrieb den Verkauf der S&K-Fonds erleichtern. Für Anleger sei die Garantie doch so etwas wie der „Hosenträger zum Gürtel“, gebe also doppelt Sicherheit.
Der Gürtel, so scheint es, ist jetzt gerissen. Mal sehen, ob der Hosenträger hält.