Terminbörsen "Die Day-Trader des 19. Jahrhunderts"

Spekulation mit Getreide ist Jahrhunderte alt und seit jeher verfemt.

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Der organisierte Handel mit Terminkontrakten startete bereits 1848 an der Chicago Board of Trade mit Weizen und Mais. Quelle: getty images

„Von jedem Standpunkt aus, außer demjenigen einer Handvoll Spekulanten, war dieser Getreidemarkt ein einziger Sumpf.“ (Bertolt Brecht über die Weizenbörse Chicagos, 1935)

Der Terminhandel mit Agrarrohstoffen ist keine Erfindung gieriger Hedgefondsmanager oder windiger Spekulanten. Weizen, Roggen oder Reis wird seit Jahrhunderten auf Termin gehandelt. Gegen das Entrichten eine kleinen Prämie sichern sich Verkäufer und Käufer zu einem bestimmten Zeitpunkt eine festgelegte Menge zu einem ausgemachten Preis. Damit können sie kalkulieren, damit können sie wirtschaften.
Nach Vorformen des Terminhandels (Reis-Scheine in Japan ab dem 16. Jahrhundert, Tulpenzwiebeln in den Niederlanden im 17. Jahrhundert) begann der organisierte Handel mit Terminkontrakten auf Agrarrohstoffe in Chicago. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts war die Stadt der wichtigste Platz für den Handel mit Getreide und Vieh in Nordamerika. Chicago liegt günstig zwischen den großen Erzeugerregionen im Mittleren Westen und den Verbrauchsregionen im Osten der USA, verbunden durch großen Wasserwege und Eisenbahnlinien.

1848 wurde die CBOT eröffnet (Chicago Board of Trade). Im Mittelpunkt standen vor allem der Handel wichtiger Getreidesorten (Weizen und Mais) – und von Anfang an die Spekulationen darauf. Etwa die des Weizenspekulanten John Lyon. Er profitierte 1872 davon, dass ein Großbrand mehrere Lagerhäuser vernichtete und die Weizenpreise daraufhin mächtig stiegen; aber nur vorübergehend. Als immer mehr günstiges Getreide aus anderen Gegenden herangekarrt wurde und zugleich neue Lagerhäuser entstanden, brach der Weizenpreis ein, Lyon ging bankrott.

Was die Agrarpreise bewegt
Spekulanten treiben Agrarumsätze...Seit 2005 hat sich der Handel mit Agrargütern an der Chicagoer Terminbörse fast verdreifacht. Linke Skala: Gehandelte Agrarkontrakte an der Chicago Board of Trade in Tausend Stück pro Tag Rechte Skala: Weizen-Terminpreis Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
der Weizenpreis schwankt stärker Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
die Wetten folgen den Preisen, nicht umgekehrt Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
Preis und Lagerbestände von WeizenKnappe Lagerbestände treiben den Preis von Weizen hoch. Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
Reis-Future (in Cent pro 45,4 Kilo)Auch Wettereinflüsse und Exportverbote machen Nahrung teuer. Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
Maispreis und BioethanolproduktionMit steigender Produktion von Bioethanol, steigt auch derPreis von Mais. Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe
Lebensmittelpreisindex FAODer Lebensmittelpreisindex bildet die Preise für Fleisch, Getreide, Milchprodukte, Speiseöl und Zucker ab. Durchschnitt 2002 bis 2004 = 100 Quelle: Thomson Reuters, CME, CBOT, CTFC, BDBe

Mehr Fortune hatte der bekannte Spekulant Benjamin Hutchinson. Er wettete 1866 in großem Stil auf steigende Weizennotierungen, weil er mit einer schlechten Ernte rechnete. Die Ernte wurde schlecht, und der Preis für ein Scheffel Weizen (27,2 Kilogramm) stieg von 88 Cent auf über 1,80 Dollar. Hutchinson machte ein Vermögen. Im Frühjahr 1888 war er wieder mit von der Partie bei der großen Weizen-Hausse, als der Preis von 90 Cent auf zwei Dollar stieg. Zeitgenossen nannten ihn respektvoll Old Hutch.

Deutschland ohne Helden
Ehrungen solcher Art wurden Spekulanten in Deutschland nicht zuteil. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts blühte auch hier der Terminhandel mit Agrarstoffen. Am wichtigsten war der Handel an der repräsentativen Berliner Börse am Spreeufer. Schon damals stritten die Zeitgenossen über die Vor- und Nachteile solcher Spekulationen. Gazetten berichteten über die großen Deals, sprachen von betrügerischen Manövern. Immer mehr private Anleger spielten mit, vor allem gut verdienende Beamte und Angestellte. „Sie waren die Day-Trader des 19. Jahrhunderts“, sagt Hans-Joachim Voth, Wirtschaftsprofessor an der Universität Barcelona.

Bei den Landwirten aber führten die Preisschwankungen zu Fehlkalkulationen und Verlusten. Der Konflikt zwischen Agrarier und Spekulanten wurde schärfer. Landwirte und Parteien forderten gesetzliche Schritte gegen den Missbrauch der Getreidespekulation.
1892 setzte der Reichstag eine Kommission zur Untersuchung des Warenterminhandel sein. 115 Sachverständige wurden befragt, mehr als 90 mal tagte die Kommission.

Neue Regeln

Die Chicago Board Trade ist die größte Rohstoffbörse der Welt. Quelle: REUTERS

Zunächst sah es so aus, dass es nach den Ergebnissen der Kommission nur auf eine Überarbeitung des bestehenden Börsengesetzes hinauslaufen könnte. Dann kamen Meldungen auf, nach denen wieder einmal Spekulanten die Preise manipulierten. In einer zeitgenössischen Darstellung dazu heißt es: „Mitten in die aufregenden schwebenden Verhandlungen, bei denen es anfänglich nur um eine bessere Aufsicht über die Getreideterminmärkte ging, platzte ein höchst frivoles Preismanöver der Firma Cohn & Rosenberg. Diese Firma hatte mit Hilfe von Krediten, die ihr von zwei Großbanken gewährt wurden, zur Erntezeit den Getreidepreis künstlich gedrückt.“ Die Empörung der Landwirte trug wesentlich dazu bei, dass es zu einem scharfen Vorgehen gegen die Terminbörse kam. Das Börsengesetz, in dem der Weizenhandel auf Termin verboten wurde, wurde mit 200 zu 39 Stimmen im Reichstag angenommen. Zur Minderheit gehörte der bekannte Soziologe Max Weber, er sah darin den „Ausfluss irregeleiteter Masseninstinkte“.

Abschotten statt Terminhandeln

„Die Gründe für das Verbot sind in den Folgen der ersten großen Globalisierungswelle vor 1900 für die europäischen Agrarerzeuger zu suchen“, schreibt Wirtschaftshistoriker Voth. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts brachten Eisenbahnen und Dampfschiffe billiges Getreide aus Nordamerika und Argentinien nach Deutschland. Das drückte auf die Preise. Von 1880 bis 1895 ging der Weizenpreis an der Berliner Börse um 35 Prozent zurück. Die zwischenzeitlichen Schwankungen waren enorm, machten innerhalb eines Jahres bis zu 50 Prozent des Preises aus.

Die Preisschwankungen hatten nichts mit der lokalen Produktion zu tun, deshalb gerieten Börse und Spekulanten ins Visier der Landwirte. Oder wie es der zeitgenösssische Agrarökonom Gustav Ruhland (1860 bis 1914) schrieb: „Die eigentliche Ursache der ungesunden Preisbildung für Getreide liegt in der führenden Stellung, welche hierbei das spekulative Privatkapital einnimmt, oder, um es noch allgemeiner auszudrücken: in dem heute herrschenden Kapitalismus.“

Nach dem Ende des Terminhandels klangen die Preisschwankungen tatsächlich ab. Dies könnte durchaus eine Folge des Verbots gewesen sein. „Wahrscheinlich ist dies aber nicht“, wehrt Wirtschaftshistoriker Voth ab, denn abgeschafft wurde nur der Börsenhandel auf Termin. Zwischen Kaufleuten selbst ging der Getreidehandel völlig legal weiter, auch mit individuellen Absprachen, also over the counter, über die Ladentheke.

Wiederbelebung in den 90ern

Der Ausfall der Warenbörsen hatte Folgen. „Das Verbot der Terminbörsen war geradezu ein Durchbruch einer neuen Geisteshaltung, die dann im 20. Jahrhundert so sehr an Gewicht gewann“, schreibt Börsenjournalist Heinz Brestel im Vorwort zu dem klassischen Buch über die Praxis des Termingeschäfts von Walter Hirt. „Nachdem sich die Bauern daran gewöhnt hatten, dass Preise nicht mehr völlig frei zu pendeln brauchten, lag es nahe, immer neue und massive Forderungen nach hohen Festpreisen und auch nach Importzöllen zu stellen und durchzusetzen.“

Neuanfang nach 100 Jahren
In Deutschland kam es in den 1990er Jahren zur Wiederbelebung des Terminhandels mit Agrarrohstoffen. Nach der Agrarreform der EU 1992 schlugen die weltweiten Preisschwankungen immer stärker auf die Preise in Europa durch. Landwirte, Händler, Genossenschaften und Verarbeiter suchten nach Absicherungen. Nach mehrerer Fehlstarts kam es 1998 zur Gründung der Warenterminbörse (WTB) in Hannover. Seit dem 18. Jahrhundert ist die Stadt ein Zentrum für den Handel mit Agrarprodukten. Mit ihren neuen Kartoffel- und Schweinefutures erlangte die WTB aber nie überregionale Bedeutung.

Seit 2009 bietet die Terminbörse Eurex Kontrakte auf Agrarrohstoffe an. „Unser Einstieg in das Segment der Agrarderivate ist die Fortführung unserer Strategie, alle wichtigen Anlageklassen mit eigenen Produkten abzudecken“, sagt Eurex-Vorstand Peter Reitz. Derzeit gibt es Futures auf Schweine, Ferkel, Butter oder Magermilchpulver. Private Anleger sind jedoch kaum vertreten.

Die schauen sich eher um unter den mehreren hundert Zertifkaten und Optionsscheinen, die sich direkt auf die in Chicago gebildeten Terminpreise von Agrarprodukten beziehen. Das gesamte Anlagevolumen, das in diesen Papieren steckt, liegt allerdings bei weit unter einer Milliarde Euro. Einen Einfluss auf die Preise von Nahrungsmitteln haben diese Papiere damit nicht. Dennoch ziehen sich unter dem Druck der aktuellen Diskussion einige Anbieter zurück. „Unser Haus hat aus ethischen Gründen weltweit damit aufgehört, Derivate auf Agrarrohstoffe anzubieten“, sagt Gregoire Toublanc, Chef des Zertifikategeschäfts der französischen BNP.

Das Ende des Geschäfts mit Agrarpapieren dürfte dies indes nicht markieren. Dort, wo die Agrarderivate ursprünglich herkommen, besteht weiterhin Bedarf. Stefano Angioni, Derivatespezialist der genossenschaftlichen DZ Bank: „Der Genossenschaftssektor hat auch Landwirte als Kunden, und die fragen entsprechende Finanzprodukte nach.“

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