Terminbörsen "Die Day-Trader des 19. Jahrhunderts"

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Neue Regeln

Die Chicago Board Trade ist die größte Rohstoffbörse der Welt. Quelle: REUTERS

Zunächst sah es so aus, dass es nach den Ergebnissen der Kommission nur auf eine Überarbeitung des bestehenden Börsengesetzes hinauslaufen könnte. Dann kamen Meldungen auf, nach denen wieder einmal Spekulanten die Preise manipulierten. In einer zeitgenössischen Darstellung dazu heißt es: „Mitten in die aufregenden schwebenden Verhandlungen, bei denen es anfänglich nur um eine bessere Aufsicht über die Getreideterminmärkte ging, platzte ein höchst frivoles Preismanöver der Firma Cohn & Rosenberg. Diese Firma hatte mit Hilfe von Krediten, die ihr von zwei Großbanken gewährt wurden, zur Erntezeit den Getreidepreis künstlich gedrückt.“ Die Empörung der Landwirte trug wesentlich dazu bei, dass es zu einem scharfen Vorgehen gegen die Terminbörse kam. Das Börsengesetz, in dem der Weizenhandel auf Termin verboten wurde, wurde mit 200 zu 39 Stimmen im Reichstag angenommen. Zur Minderheit gehörte der bekannte Soziologe Max Weber, er sah darin den „Ausfluss irregeleiteter Masseninstinkte“.

Abschotten statt Terminhandeln

„Die Gründe für das Verbot sind in den Folgen der ersten großen Globalisierungswelle vor 1900 für die europäischen Agrarerzeuger zu suchen“, schreibt Wirtschaftshistoriker Voth. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts brachten Eisenbahnen und Dampfschiffe billiges Getreide aus Nordamerika und Argentinien nach Deutschland. Das drückte auf die Preise. Von 1880 bis 1895 ging der Weizenpreis an der Berliner Börse um 35 Prozent zurück. Die zwischenzeitlichen Schwankungen waren enorm, machten innerhalb eines Jahres bis zu 50 Prozent des Preises aus.

Die Preisschwankungen hatten nichts mit der lokalen Produktion zu tun, deshalb gerieten Börse und Spekulanten ins Visier der Landwirte. Oder wie es der zeitgenösssische Agrarökonom Gustav Ruhland (1860 bis 1914) schrieb: „Die eigentliche Ursache der ungesunden Preisbildung für Getreide liegt in der führenden Stellung, welche hierbei das spekulative Privatkapital einnimmt, oder, um es noch allgemeiner auszudrücken: in dem heute herrschenden Kapitalismus.“

Nach dem Ende des Terminhandels klangen die Preisschwankungen tatsächlich ab. Dies könnte durchaus eine Folge des Verbots gewesen sein. „Wahrscheinlich ist dies aber nicht“, wehrt Wirtschaftshistoriker Voth ab, denn abgeschafft wurde nur der Börsenhandel auf Termin. Zwischen Kaufleuten selbst ging der Getreidehandel völlig legal weiter, auch mit individuellen Absprachen, also over the counter, über die Ladentheke.

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