Verkehrte (Finanz-)Welt

Wie die EZB Zombieunternehmen fördert

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Langfristig ist jetzt

Eine Reihe von Studien hat sich in den vergangenen Jahren mit der Frage auseinandergesetzt, wie groß der Anteil der kreativen Zerstörung durch Unternehmenspleiten am Produktivitätswachstum von Volkswirtschaften ist, und kam zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wir wissen, dass zumindest ein Teil, wahrscheinlich etwa die Hälfte, der Innovation und des Produktivitätsfortschrittes auch auf anderem Wege zustande kommt, nämlich durch die technologische und organisatorische Erneuerung gesunder und wettbewerbsfähiger Unternehmen. Doch Innovation und Reorganisation sind auch in gesunden Unternehmen nicht ohne Schmerzen zu haben. Sie brauchen Anreize. Diese werden aber durch die Nullzinssubvention ebenfalls reduziert. Und auch ihnen fehlen jene Ressourcen, die bei den „Zombies“ gebunden sind.

Die Geldpolitik bewirkt so das Gegenteil dessen, was sie eigentlich erreichen soll. Indem sie auf ihre keynesianischen Modelle vertraut, schafft sie ein langfristiges Problem: Sie würgt Innovation, Produktivitätsfortschritt und damit auch das Wirtschaftswachstum ab. Der beliebte Einwand der keynesianischen Schule, dass kurz- und langfristige Wirkungen eben auseinanderfallen (Zitat J.M. Keynes: „Langfristig sind wir eh alle tot“) trifft hier auf die Stunde der Wahrheit: Denn langfristig ist nach 10 Jahren Finanzkrise und lockerer Geldpolitik jetzt. Die kurzfristigen Wirkungen der Höherdosierung des vorgeblichen Heilmittels, das in Wahrheit eher wie eine Droge wirkt, kommen gegen die langfristigen Schäden nicht mehr an.

Der Frieden ist nicht von Dauer

Man muss die Frage stellen: Wie kommt es dazu, dass wir mitten in der größten industriellen Revolution, die die Menschheit je erlebt hat, ein Produktivitätswachstum von null sehen? Die digitale Revolution soll 50 Prozent aller Arbeitsplätze in den nächsten 10 bis 15 Jahren überflüssig machen. Wenn zugleich die Zahl der Arbeitsplätze nicht abnimmt, dann müsste sich das eigentlich in Wirtschaftswachstum umsetzen. Der Kehrwert von 50 Prozent ist 2. Die Wirtschaft müsste sich demnach in den nächsten 10 bis 15 Jahren verdoppeln, um die bestehende Beschäftigungsrate aufrecht zu erhalten. Das entspricht einer Wachstumsrate von mindestens 5 Prozent. Davon ist jedoch bisher nichts zu sehen.

Noch dazu ist der derzeitige täuschende Frieden nicht von Dauer. Da sie Ihre Kapitalkosten nicht verdienen, fragen die „Zombieunternehmen“ überdurchschnittlich viele Kredite nach. Sie infizieren auf diese Weise still und unauffällig die Kreditportfolien der Banken und werden in einer Zinswende, die früher oder später schon deshalb kommt, weil der EZB irgendwann das Kaufmaterial für ihre Anleihekäufe ausgehen wird, in einer Welle von nachgeholten Pleiten untergehen. Leider besteht die Gefahr dass die Banken und auch viele gesunde Unternehmen, die mit den „Zombies“ in Geschäftsbeziehungen stehen, mit hinabgezogen werden.

Geheimrezept Privatisierung

Die wachsende Reserve an Zombieunternehmen sowie die bei marktgerechtem Zins fehlende Schuldentragfähigkeit einiger Euroländer, sind der Hauptgrund, weshalb die EZB nur schwer zu einer konventionellen Geldpolitik zurückkehren kann, um so den weiteren Aufbau von Ungleichgewichten zu verhindern. Mittel- bis langfristig wird Europa nicht um eine Abarbeitung des Problems herumkommen. Wie kann eine Lösung also aussehen?

Die dauerhafte Verhinderung der Pleiten wird nicht möglich sein. Politik und Gesellschaft müssen wohl oder übel eine Anpassungskrise akzeptieren. Diese lässt sich jedoch abmildern, indem die Kräfte des Wachstums mit einer dezidiert angebotsorientierten Politik gestärkt werden, die zugleich die Schulden der Staaten abbaut: Das Geheimrezept heißt Privatisierung. Die Privatisierungsreserven der meisten Euroländer sind so groß, dass es möglich ist, durch Rückzug des Staates die Maastricht-Kriterien (insbesondere hinsichtlich staatlichem Schuldenstand und Haushaltsdefizit) wieder zu erfüllen. Damit wären die Regierungen in der Lage, durch Zombieunternehmen gefährdete Banken zu stabilisieren und zugleich die Produktivitätsreserven der nationalisierten Assets durch privates Management zu heben. Das könnte am Ende aufgehen.

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