Verkehrte (Finanz)welt

Kommunen spielen mit dem Feuer

Schulden sind für den Bund derzeit lukrativ: Selbst kurzlaufende deutsche Staatsanleihen erzielen Negativ-Renditen. Das Marktumfeld nutzen Kommunen, um mittels Schuldscheindarlehen ihre Kassen aufzubessern. Das ist riskant.

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Ein Rathaus. Quelle: dpa

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Stadt oder die Gemeinde, in der Sie leben, in den vergangenen Monaten mehrere Millionen Euro an – weitgehend unbekannte – Unternehmen im In- oder Ausland verliehen hat.

Damit stünde Ihre Stadt oder Gemeinde keineswegs alleine. Immer mehr Kommunen kaufen derzeit sogenannte Schuldscheindarlehen. Diese sind, vereinfachend gesagt, ein Mittelding zwischen Kredit und Anleihe, die privat und nicht öffentlich platziert werden.

Das Spannende daran ist die Frage: Warum geben die oft hoch verschuldeten deutschen Kommunen Geld für diese Papiere aus? Die Antwort klingt erst einmal wenig logisch: Gerade, weil sie hohe Schulden haben. Sie wollen damit ihre Finanzen aufbessern. Denn: Die Schuldscheindarlehen finanzieren die Kommunen mit Krediten, die sie günstig bei ihrer Hausbank aufnehmen. Öffentliche Schuldner erfreuen sich einer nach wie vor guten Bonität und damit vergleichsweise niedriger Zinsen. Zudem erhalten Kommunen relativ einfach Kredite. Die Zinsen, die die Städte und Gemeinden auf die gekauften Schuldscheindarlehen erhalten, sind höher als die Kreditzinsen, welche sie an ihre Hausbank zahlen müssen.

Martina-Bahl Quelle: BahlConsult GmbH

Sogenannte „Schuldschein-Carry Trades“

Dieser sogenannte „Carry Trade“ ist allerdings nicht ohne Risiko für die Kommunen. Denn die Schuldner, denen die Kommunen ihr selbst nur geliehenes Geld weiter verleihen, haben ein Ausfallrisiko.

Es sind Unternehmen im In- und Ausland, die sich in Form von Schuldscheindarlehen Geld bei den Kommunen leihen. Sie können sich dadurch oft günstiger finanzieren als über einen Kredit. Zudem ist ein Schuldscheindarlehen häufig unbürokratischer und schneller als der klassische Weg über die Bank. Möglicherweise sind diverse Kreditlinien dort bereits ausgeschöpft oder die Risikoaufschläge hoch.

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Dabei ähnelt ein Schuldscheindarlehen einem Kredit sehr. Es handelt sich nicht um ein Wertpapier, sondern um eine Schuld nach BGB. Entsprechend gibt es keine formalen Anforderungen zur Dokumentation, keine Informationspflichten des Emittenten, keine Prospektpflicht und auch sonst keine Vorgaben, wie sie etwa für Anleihen gelten. In der Praxis erhält der Gläubiger im Gegenzug für sein Geld (oft mehrere Millionen Euro) ein ziemlich kurzes, zwei- bis dreiseitiges Schreiben, in dem nicht viel mehr als die Eckdaten der Geldleihe festgehalten sind.

Unterschiede bei der Risikoprüfung

Inwieweit unterscheiden sich die Risikoprüfungen solcher Schuldscheindarlehen gegenüber klassischen Bankkrediten? Banken führen bei jeder Kreditvergabe weitreichende Überprüfungen durch. Sie beschäftigen nicht umsonst riesige Abteilungen, die sich mit nichts anderem befassen. Denn das Kreditgeschäft birgt große Risiken. Selbst Kredite, die zuvor eingehend geprüft wurden, können notleidend werden und entweder teilweise oder ganz ausfallen. Dafür hält jede Bank Reserven vor.

Optimistischer Umgang mit finanziellen Risiken

Doch wie sieht die Due Diligence, also die sorgfältige Risikoprüfung, bei den Kommunen aus, die sich auf „Carry Trades“ einlassen? Haben sie überhaupt die nötige Expertise, die Zeit und die Erfahrung, ganz zu schweigen von den Werkzeugen, die helfen, den Schuldner und sein Kreditansuchen risikomäßig zu beurteilen und vor allem auch zu bewerten? Je höher das Risiko, desto höher muss der Risikoaufschlag und damit der Zins ausfallen.

Um sich das Risiko vor Augen zu führen, genügt ein einfaches Beispiel. Nehmen wir an, eine Kommune hat Kredite bei ihrer Hausbank über insgesamt 100 Millionen Euro aufgenommen. Darauf bezahlt die Kommune einen Zins von zwei Prozent p.a. bei endfälliger Tilgung in zehn Jahren. Diese 100 Millionen Euro investiert die Kommune in zehn verschiedene Schuldscheindarlehen zehn unterschiedlicher Unternehmen, jeweils über zehn Millionen Euro und zehn Jahre.

Der Einfachheit halber nehmen wir an, die Kommune erhält auf jedes der Schuldscheindarlehen einen Zins von vier Prozent jährlich, ebenfalls mit endfälliger Tilgung in zehn Jahren. Macht also eine Zinsdifferenz von zwei Prozent auf 100 Millionen Euro, insgesamt also jährlich zwei Millionen Euro an Nettozinseinnahmen für die Kommune.

Und das über zehn Jahre. Jedes Jahr wieder und wieder zwei Millionen Euro für die kommunale Kasse. Wie schön, denken Sie jetzt, kann ich das auch machen? Aber halt, nicht so schnell! Denn was passiert, wenn einer der Schuldner der Schuldscheindarlehen plötzlich insolvent wird? Dann stehen den 100 Millionen Euro an Kredit plötzlich nur noch 90 Millionen Euro an Forderungen aus den Schuldscheindarlehen gegenüber. Zudem reduzieren sich die jährlichen Nettozinseinnahmen. Ab dem zweiten Ausfall sinken wir in unserem Beispiel bereits in den Bereich einer negativen Gesamtrendite ab, die Schuldscheindarlehen werden zum Minusgeschäft.

Hohe Qualitätsanforderungen an Schuldscheindarlehen gefordert

Ein warnendes Beispiel liefert uns der Markt für Mittelstandsanleihen, der aufgrund hoher Ausfallraten großteils zum Erliegen gekommen ist. Ein wenig erinnert die Situation an die Zeit der Zinsswaps, die viele Kommunen vor gut zehn Jahren als sogenannte „Zinsvergünstigungsstrategien“ eingegangen waren. Die großen Zeiten der kommunalen Zinsswaps sind heute vorbei.

Geblieben ist weiterhin die finanzielle Not vieler Städte und Kommunen. Und damit eine gewisse Anfälligkeit für schöne Versprechungen, wie man schnell, einfach und kostenlos zu einer kleinen Extraeinnahme kommen kann. Der Carry Trade ist aber alles andere als risikolos. Solange es keine Ausfälle bei den Schuldscheindarlehen gibt, läuft dieses Zinsspiel.

Die ersten, schönen Zinseinnahmen, die netto Geld in die leere Kasse spülen, motivieren zu weiteren Geschäften. Was aber, wenn die ersten Ausfälle kommen? Ein Spiel mit dem Feuer.

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