Vermögensstudie der EZB Einer für alle, alle von einem 

Der Euro ist der größte nicht aufgezwungene Umverteilungsmechanismus, der je zu Lasten eines Landes installiert worden ist. Eine politisch hochexplosive Langzeituntersuchung über die Vermögensverteilung in der Eurozone scheint das zu bestätigen.

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Wie die Armut in Deutschland aussieht
Der Graben zwischen Arm und Reich ist tiefer geworden. Auf die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte entfielen 53 Prozent (Stand: 2008, neuere Zahlen liegen nicht vor) des gesamten Nettovermögens. 1998 lag die Quote bei 45 Prozent. Die untere Hälfte der Haushalte besaß zuletzt lediglich gut ein Prozent des Nettovermögens. 2003 waren es drei Prozent. Von 2007 bis 2012 hat sich das Gesamtvermögen der Haushalte trotz der Finanzkrise um weitere 1,4 Billionen Euro erhöht. Quelle: dapd
Fast jeder vierte Beschäftigte arbeitet in Deutschland für einen Niedriglohn von weniger als 9,54 Euro pro Stunde. Ihr Anteil an allen Beschäftigten war im Jahr 2010 mit 24,1 Prozent so groß wie in kaum einem anderen Staat der Europäischen Union (EU). Selbst in Zypern oder Bulgarien gibt es weniger Niedriglöhner. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Unter den 7,1 Millionen Beziehern von Niedriglöhnen hierzulande sind Geringqualifierte fast die Ausnahme: Mehr als 80 Prozent der Geringverdiener in Deutschland hätten eine abgeschlossene Berufsausbildung. Besonders hoch sei der Anteil der Niedriglöhner bei Frauen und Teilzeitbeschäftigten. Quelle: dpa
Der Staat ist ärmer geworden. Sein Nettovermögen schrumpfte zwischen Anfang 1992 und Anfang 2012 um über 800 Milliarden Euro, während es sich bei den privaten Haushalten um gut fünf Billionen Euro mehr als verdoppelte. Zu dieser Entwicklung trug die Privatisierungspolitik aller Regierungen in diesem Zeitraum bei. Die Erlöse aus dem Verkauf öffentlichen Tafelsilbers versickerten in den Haushalten. Quelle: dapd
Die „Armutsgefährdungsschwelle“ liegt nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes bei 952 Euro im Monat. Je nach Datengrundlage gilt dies für 14 bis 16 Prozent der Bevölkerung. Hauptgrund für Armut ist Arbeitslosigkeit. Auch für Alleinerziehende ist das Risiko hoch. Quelle: dpa
Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor stieg und lag zuletzt zwischen 21 und 24 Prozent. Im Jahr 2010 waren 7,9 Millionen Arbeitnehmer betroffen. Die Niedriglohngrenze liegt bei 9,15 Euro pro Stunde. Quelle: dpa
Nur 2,6 Prozent der über 65-Jährigen sind derzeit auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Quelle: dpa
Die Arbeitslosigkeit sank im Berichtszeitraum auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen reduzierte sich zwischen 2007 und 2012 von 1,73 Millionen auf 1,03 Millionen oder um mehr als 40 Prozent. In der EU weist Deutschland aktuell die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit aus - begünstigt von der Hartz-IV-Gesetzgebung: Seit 2005 müssen Langzeitarbeitslose auch schlecht bezahlte Jobs annehmen. Die Ausweitung von Niedriglohnsektor und atypischer Beschäftigung (Zeitarbeit, Teilzeitarbeit, Minijobs) ging laut Bericht nicht zulasten von Normalarbeitsverhältnissen. Quelle: dapd

Eine im Vorkrisenjahr 2006 angelaufene Umfrage der nationalen Notenbanken der Eurozone zur Verteilung der privaten Vermögen in den 17 Mitgliedsstaaten ist abgeschlossen, doch mit der Veröffentlichung der politisch offenbar hochexplosiven Studienergebnisse tun sich die Notenbanken und die EZB ziemlich schwer. Erst wenige Notenbanken, darunter die Banca’ d’Italia und die Österreichische Nationalbank haben ihre Daten veröffentlicht, die Bundesbank will erst am 21. März nachziehen.

Der Gesamtbericht der EZB wird laut Informationen der „FAZ“ gar erst vorliegen, wenn das Rettungsprogramm für Zypern in trockenen Tüchern ist. Das wäre frühestens im April. Die Daten und Ergebnisse müssten erst noch von den eigenen Fachleuten überprüft werden, sagt die EZB. Wer böse ist, dem fällt da der Spruch ein: „Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast.“

Erinnerungen an den zuerst verschwundenen und dann in zensierter Form wieder aufgetauchten Armutsbericht der Bundesregierung werden wach. Doch so oder so werden die Ergebnisse im Kern nur bestätigen, was sich schon aus einer Studie der Schweizer Großbank Credit Suisse aus dem vergangenen Jahr ablesen ließ – und viele Bundesbürger auch ohne Studie ahnen: Alle haben vom Euro profitiert, außer sie selbst. Es sei denn, sie gehören zu den Reichen im Lande. Denn in kaum einem anderen Land klaffen die Vermögensunterschiede inzwischen so weit auseinander wie in Deutschland.

Die bisher bekannt gewordenen Teile der EZB-Studie ermöglichen einen ersten Vergleich zwischen der Entwicklung der Privatvermögen von Italienern, Österreichern - und Deutschen. Deren Vermögensverhältnisse sind in etwa mit denen der Österreicher vergleichbar. Seit Beginn des Euro-induzierten Konvergenzprozesses im Jahr 1991 hat sich demnach das Nettovermögen eines italienischen Haushalts auf Basis des Medianwertes (die Hälfte der Haushalte liegt unter diesem Wert, die andere Hälfte darüber) um 56 Prozent auf 163.875 Euro erhöht.

Zwei Seiten der Medaille

Deutschland wird immer ärmer
Menschen gelten, einer Definition der Europäischen Union zufolge, dann als armutsgefährdet, wenn sie mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen müssen. Das mittlere Einkommen ist der Wert an der Grenze zwischen ärmeren und reicheren Personen. Vor diesem Hintergrund galten 2011 Einpersonenhaushalte dann als armutsgefährdet, wenn sie ein Monatseinkommen von weniger als 848 Euro hatten. Im Vorjahr waren das noch 826 Euro. Quelle: dpa
Bremen22,3 Prozent der Bremer, also jeder fünftem sind von der Armut bedroht. Damit ist die Hansestadt nach einer zwischenzeitlich kleinen Entspannung, wieder auf dem Niveau von 2005. Aus einem Wohlstandsbericht ging schon 2009 hervor, dass nirgendwo sonst in der Bundesrepublik Deutschland so viele Menschen ohne einen allgemeinen Schulabschluss leben wie in Bremen, gleichermaßen verhält es sich auch mit der Berufsbildung. Die Bevölkerungsentwicklung ist rückläufig, was nicht zuletzt Folge des Geburtenrückgangs und einer immer älter werdenden Bevölkerung ist. Außerdem gibt es nirgendwo so viele überschuldete oder von der Überschuldung bedrohte Haushalte. Quelle: dapd
Mecklenburg-VorpommernObwohl Mecklenburg-Vorpommern in den vergangenen Jahr schrittweise das Armutsrisiko senken konnte, gehört das norddeutsche Bundesland mit 22,2 Prozent noch immer zu den am meisten von der Armut betroffenen Bundesländern. Nur noch Thüringen konnte noch einen Rückgang der Quote gegenüber dem Vorjahr erreichen. Die Armutsgefährdung sank von 17,6 Prozent auf 16,7 Prozent. Damit haben beide Länder den kontinuierlichen Rückgang der vergangenen Jahre fortgesetzt. 2011 erreichten sie den bislang niedrigsten Wert. Thüringen rangiert im Ländervergleich derzeit auf dem siebten Platz und konnte einen Rang gut machen. Quelle: dpa
BerlinObwohl Berlin erst auf Platz drei liegt, so hat es doch die höchste Veränderungsrate um 1,9 Punkte auf 21,1 Prozent. Im Vergleich zu den Vorjahren verzeichnet die Bundeshauptstadt ein Anwachsen des Armutsrisiko. Arm oder sexy, ein Satz, den der regierende Bürgermeister Klaus Wowereit erstmals 2003 in einem Interview mit dem Magazin Focus Money prägte, bekommt in diesem Zusammenhang eine ganz andere Bedeutung. Sachsen-Anhalt (20,5 Prozent), Sachsen (19,6 Prozent) und Brandenburg (16,9 Prozent) folgen auf den Plätzen vier, fünf und sechs der am meisten von der Armut betroffenen Bundesländer. Quelle: dpa
Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und SaarlandDer Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz, Kurt Beck - hier in hygienscher Schutzbekleidung während seiner Sommertour - liegt mit seinem Bundesland genau im bundesdeutschen Durchschnitt von 15,1 Prozent. Allerdings stieg die Quote bundesweit um 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr mit 14,5 Prozent. Ebenso hat auch Rheinland-Pfalz einen kleinen Anstieg zu verzeichnen. Schlimmer ist das Risiko der Armutsgefährdung allerdings noch in Nordrhein-Westfalen (16,6 Prozent), Niedersachsen (15,7 Prozent) und im Saarland (15,6 Prozent). Quelle: dpa
Hamburg und Schleswig-HolsteinIn Hamburg leben nicht nur die glücklichsten Menschen, sondern auch ziemlich viele Millionäre. Trotzdem sind 14,7 Prozent der Menschen vom Armutsrisiko bedroht. Im Vergleich zum Vorjahr hat die Hansestadt damit einen Anstieg von 1,4 Prozent zu verzeichnen. Allerdings hat die Armut im Vergleich zu 2005 um einen Prozentpunkt abgenommen. Schleswig-Holstein, ebenfalls im Norden der Bundesrepublik, folgt mit 13,8 Prozent Armutsrisiko auf Hamburg. Quelle: dpa
Hessen, Baden-Württemberg und BayernMenschen in Baden-Württemberg und Bayern sind am wenigsten von dem Armutsrisiko betroffen. 11,2 und 11,3 Prozent der Bürger und Bürgerinnen der südlichsten Bundesländer sind in Gefahr. Das bedeutet, dass nur jeder Zehnte in Gefahr ist. Dafür ist die Anzahl der Millionäre nach Hamburg am höchsten. Baden-Württemberg folgt auf Rang 4. Der Anteil der Menschen, die tatsächlich als arm gelten, wird von der Statistik hingegen nicht erfasst. Dazu fehle es an einer allgemeingültigen Definition der Armut, so eine Mitteilung der Nachrichtenagentur dpa. Hessen schließlich folgt auf Bayern und Baden-Württemberg. Quelle: dpa

Selbst zwischen 2008 und 2010, also mitten in der Finanzkrise, erhöhte sich dieser Wert um fünf Prozent - pro Jahr (!). Demgegenüber stagnierten die Nettovermögen der privaten Haushalte in Österreich (und Deutschland) nahezu. Mit etwa 76.000 Euro erreicht der Medianwert für Österreich nicht einmal die Hälfte des italienischen. Warum das so ist? Verantwortlich dafür sind und waren vor allem die Unterschiede in der Steuerhöhe, der Steuermoral sowie die höhere Wohneigentumsquote in Italien.

Gerade die Immobilienmärkte in Südeuropa profitierten von Niedrigzinsexport aus Deutschland. Als gefühlte Nachfolgewährung der Mark hat der Euro über sinkende Zinsen und den Zustrom deutscher Spargelder für einen Boom gesorgt mit teilweise atemberaubenden Preissteigerungen. Das machte in Südeuropa viele Immobilienbesitzer wohlhabender, nicht aber in Deutschland.

Die Studienergebnisse werden auch zeigen, dass einige Länder, die heute in der Staatsschuldenkrise stecken und eine laxe Steuerverwaltung haben, eine weitaus höhere Zunahme der Privatvermögen aufweisen als Länder mit vergleichsweise gesunden Staatsfinanzen und halbwegs funktionierendem Steuersystem. Privater Reichtum und öffentliche Armut sind in der Eurokrise nicht selten zwei Seiten derselben Medaille. 

Die Bundesregierung fühlt sich für die Staatsschulden anderer Länder offenbar mehr zuständig als für die zunehmende private Armut im eigenen Land. Dennoch sollen die deutschen Steuerzahler die Staatsschulden von „reicheren“  Italienern und Franzosen bezahlen. Die entsprechenden Instrumente sind dem ESM und den Hilfsprogrammen der EZB (LTRO, OMT) bereits installiert. Den Rest besorgen Fiskal- und Bankenunion. 

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