WirtschaftsWoche Online: Herr Pinner, Ein Jahr nach dem Klimagipfel in Paris haben zwar die wichtigsten Staaten das UN-Klimaabkommen unterschrieben. Aber Papier ist geduldig. Gab es denn wirklich Weichenstellungen, die den Klimawandel aufhalten können?
Herr Wolfgang Pinner: Der Durchbruch war ja schon kurz nach der Konferenz bereits die Ratifizierung durch die USA und China, was einer Sensation glich, denn die Staaten hatten solche Vereinbarungen bei vorangegangenen Konferenzen häufig torpediert, jetzt sind ihre Vorschläge sehr ambitioniert. Ab 2020 müssen dann alle die zugesagten Klimaschutzmaßnahmen verbindlich umsetzen und weniger Treibhausgase ausstoßen. Wie das genau geschehen soll, ist tatsächlich noch nicht ganz klar. Aber neben China will zudem auch Indien zu einem Vorreiter bei erneuerbaren Energien werden und die Solar- und Windkraft zur Stromversorgung fördern, alle setzen auch stark auf Elektromobilität. Das sind hoffnungsvolle Schritte.
Manche Politiker wollen ähnlich der Energiewende eine Finanzwende einläuten und verstehen darunter, dass Anleger stärker auf ökologische, soziale und ökonomische, kurz ESG-Gesichtspunkte, bei der Geldanlage achten sollen. Merken sie davon schon etwas?
Klimarelevante Faktoren haben sich in der Geldverwaltung einen wichtigen Platz erkämpft. Viele Versicherer und Großanleger haben sich inzwischen von Investments in fossile Energieträger verabschiedet, das setzt die betroffenen Energie-Unternehmen unter Druck. Auch die Bereitschaft der Anleger, in nachhaltig investierende Fonds zu gehen, ist gestiegen. Und Nachhaltigkeit ist so vielschichtig, dass es immer Ansatzpunkte gibt – etwa bei der Demografie, der Regionalität oder speziellen Investments wie den populärer werdenden Greenbonds. 2016 gibt es bereits mehr Emissionen dieser speziellen Anleihen als im ganzen Jahr 2015.
Zur Person
Wolfgang Pinner (51) ist seit 2013 Chef für Nachhaltige Anlagen bei der größten österreichischen Fondsgesellschaft, Raiffeisen Capital Management (29,7 Milliarden Euro verwaltetes Vermögen). Investments nur nach finanziellen Kriterien zu beurteilen, war ihm stets zu eindimensional. Ihm lag es am Herzen, bei der Geldanlage auch soziale und ökologische Aspekte zu berücksichtigen. Bereits seit 2001 als er Gelder einer Versorgungskasse verwaltet hat, arbeitete er an dem Thema. Pinner selbst hält sich für einen umweltschonend handelnden Menschen, aber nicht für einen „klassischen Grünen“. Er ist Mitglied im Vorstand der Interessenvereinigung Forum nachhaltige Geldanlagen.
Ist Deutschland bei Umweltthemen noch in der Vorreiterrolle?
Nein. Die Franzosen verlangen von Geldverwaltern ab Mitte 2017 viel stärkere Transparenz zu klimarelevanten Fragen. Sie sollen Daten zu CO₂-Emissionen bekannt geben und damit zeigen, dass ihre Investments die Beschlüsse von Paris unterstützen. Es ist ein französischer Vorstoß, der aber europaweit auf Interesse unter Investoren stößt.
Bemängelt wird aktuell, dass die Daten zum CO₂-Ausstoß von Unternehmen nicht der Realität entsprächen, man also bei der Dekarbonisierungs-Debatte von falschen Annahmen ausgehe. Wie gravierend ist der Datenmangel?
Es mangelt nicht an Researchmaterial und die Transparenz ist auch gut, weil Daten aus unterschiedlichen Sektoren mittlerweile vergleichbar sind. Wenn die Nachhaltigkeitsberichte von Wirtschaftsprüfern kontrolliert und testiert werden, passt das meistens auch. Abgesichert sind also die Daten zu direkten Wirkungen wie den Emissionen. Schwieriger wird es bei Daten zu den Umweltfolgen aus der gesamten Lieferkette von Unternehmen. Da gibt es verständlicherweise bei global tätigen Konzernen durchaus Probleme.
Das verstehen die Deutschen unter Nachhaltigkeit
Die Initiative Deutschlandsiegel fragte zwischen dem 30. April und 21. Mai 2016 1000 Bundesbürger aus Berlin, Düsseldorf, Hamburg und München zwischen 15 und 75 Jahren, was sie mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" verbinden.
...der Befragten denken bei "Nachhaltigkeit" an "faire Arbeitsbedingungen".
...verbinden "Nachhaltigkeit" mit dem Kauf regionaler Produkte.
...hatten andere/weitere Assoziationen zu dem Thema.
...sind der Meinung, "Nachhaltigkeit" habe etwas mit Müllvermeidung und Recycling zu tun.
...der Umfrageteilnehmer verbanden Umweltschutz mit "Nachhaltigkeit".
...assoziierten "Nachhaltigkeit" mit der Schonung von Ressourcen.
...denken bei "Nachhaltigkeit" vor allem ans Stromsparen.
Auch die Transparenz von nachhaltigen Geldanlagen wird häufig kritisiert. Fehlen klare Standards?
Nein, wer nachhaltig anlegen möchte, der findet eine Vielzahl an Bewertungen und Siegeln, die ihm einen Einblick und Überblick ermöglichen. Etwa das im vergangenen Jahr eingeführte Siegel des Forum Nachhaltige Geldanlagen in Deutschland oder das Umweltzeichen in Österreich sind objektive Bewertungen mit klaren Qualitätskriterien. Den Empfehlungen kann man mit gutem Gewissen folgen.
Greenbonds - ein neuer Nischenmarkt?
Sie erwähnten Greenbonds. Versuchen Unternehmen mit diesen Anleiheemissionen Geld einzuwerben, die ansonsten mit normalen Emissionen ohne Ökolabel keine Chance hätten? Entsteht etwa ein neuer Nischenmarkt ähnlich dem in Deutschland gefloppten Markt für Mittelstandsanleihen?
Keineswegs. Im Schnitt haben die Unternehmen ein Rating von AA, gelten also als sehr finanzstark. Etwa Apple hat bereits einen Green Bond ausgegeben, die Weltbank oder die deutsche KfW sind hier aktiv, es sind also keineswegs Mittelstandsanleihen. Mit den Greenbonds dürfen die Emittenten nur Klimaschutzmaßnahmen finanzieren, die Gelder sind also zweckgebunden etwa für den Bau von besonders umweltfreundlichen Energie-Anlagen oder Investitionen in den nachhaltigen Transport. Zudem gibt es immer eine zweite Meinung, die das prüft. Die Prüfer sind bekannte Nachhaltigkeitsexperten wie Oekom oder Cicero. Für die Unternehmen bedeutet das einen Zusatzaufwand, weil sie die Projekte analysieren müssen und die Kontrolle sicherstellen müssen. Aber sie erreichen damit auch neue Investoren. Der österreichische Versorger Verbund etwa hat mit seinem Green Bond Investoren aus ganz Europa gewonnen, während er sonst eher regional Geld aufnimmt.
Sind Sie mit dem Ergebnis des von Ihnen gelenkten Rentenfonds Raiffeisen-GreenBonds zufrieden, der 2015 gestartet ist.
Mit dem Plus von 4,5 Prozent allein in diesem Jahr bin ich zufrieden. Aber die niedrigen Renditen am Rentenmarkt machen natürlich auch dem Segment Greenbonds zu schaffen. Im Schnitt rentieren die rund 65 Einzelanleihen im Fonds mit 0,7 Prozent. Es gibt keine Renditeaufschläge zu sicheren Staatsanleihen, weil die Unternehmen sehr finanzstark sind und auch der Markt inzwischen sehr liquide ist. Er bietet Anlegern die Gewähr, dass er keine Rüstungsprojekte oder umweltschädigende Bergbauprojekte mit seiner Kreditvergabe unterstützt.
Wie sieht es bei den Aktien aus, in die Sie investieren. Gibt es da noch unterbewertete Unternehmen aufzuspüren?
Tendenziell sind Unternehmen sogar etwas teurer, weil sie qualitativ besser sind, wenn sie bei den Nachhaltigkeitskriterien überzeugen. Natürlich profitieren die Aktienmärkte von der üppigen Liquiditätsversorgung durch die Zentralbanken und von den niedrigen Renditen bei Anleihen. Das wird sich in nächster Zeit nicht ändern, daher bleiben die Investments in Aktien attraktiv insbesondere bei Trends die wir verfolgen wie Biolebensmittel oder Mobilität.
Welche börsennotierte Unternehmen gibt es im Bereich Biolebensmittel?
Etwa die niederländische Wessanen. Das ist ein mittelgroßes Unternehmen, das beispielsweise die organischen Aufstriche der Reformhäuser namens Allos herstellt und in das wir vor etwa einem Jahr investiert haben. Der Kurs ist um rund 30 Prozent gestiegen. White Wave, ein US-Hersteller von Biosojamilch, den wir halten, konnte seinen Absatz stark erhöhen und damit große Konzerne anlocken. Danone hat ein Übernahmeangebot für das Unternehmen vorgelegt. So etwas erleben wir im Lebensmittelbereich oft.
Welche Unternehmen haben Sie aus dem Bereich Mobilität im Fonds?
Im Autobereich haben wir BMW im Fonds, auch wegen der Komponente e-mobility. Ansonsten auch Zulieferer wie Johnson Controls, die unter anderem Start-Stopp-Batterien herstellen.
Detaillierte Analyse von Innogy
Wie gehen Sie bei der Auswahl der Unternehmen vor?
Wir ziehen externes und internes Research heran, führen Gespräche und arbeiten mit Agenturen wie oekom, MSCI zusammen. Atomkraft, Alkohol- und Tabakhersteller schließen wir von vornherein aus. Bei Autos, Chemie und Bergbau sind wir nicht so hart. Es fehlen uns also bei der Auswahl nur rund 15 Prozent des Aktienmarktes, alle anderen Unternehmen müssen aber die Nachhaltigkeits-Kriterien bestehen. Und da kommt es etwa auf die CO2-Strategie der Unternehmen an. Kohleunternehmen sind aber auch nicht präsent und große Versorger aus Deutschland fallen schon durch die Atomkraft heraus. Aber etwa Norsk Hydro und Statoil bleiben drin, weil sie als Ölförderer nicht in so sensiblen Ökosystemen bohren und Umwelt- und Sozialthemen besser managen als BP oder Shell. Mancher Ölförderer ist auch bei der Förderung sauberer, weil er das Gas nicht einfach abfackelt und es macht einen Unterschied, ob der Transport etwa in doppelwandigen Schiffen stattfindet, die bei einer etwaigen Havarie mehr Schutz bieten.
Nachhaltigkeit
74 Prozent der großen Konzerne halten Nachhaltigkeit für sehr wichtig, aber nur 33 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen.
43 Prozent der mittelständischen Unternehmen sagen, dass sie nachhaltige Praktiken nur dann in Erwägung ziehen, wenn sie dadurch Kosten senken können. Diese Einstellung haben nur sieben Prozent großer Konzerne.
60 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen wissen kaum oder gar nicht über die Umweltauswirkungen des Druckens Bescheid.
53 Prozent der mittelständischen Unternehmen berichtet, dass bei ihnen in den vergangenen zwölf Monaten mehr in Farbe gedruckt wurde als zuvor.
Aber das genau sind die Punkte, bei denen mancher Anleger sagt, so etwas stellt er sich nicht unter Nachhaltig vor.
Es ist die Frage, was man mit dem Investment will. Man kann Teile des Marktes auf verantwortungsvolle Art und Weise ausschließen und etwa Atom rauswerfen, aber wenn ich auch noch alle Airlines oder Autohersteller von vorn herein ausschließen würde, dann wird irgendwann das Spektrum zu klein und die Fonds werden zu reinen Erneuerbare-Energien-Fonds. Wir leben mit Gesichtscremes auf Ölbasis und Plastiktüten, da sollte man auch bei der Geldanlage nicht alles komplett ausschließen.
Könnten Sie nicht alle traditionellen Versorger durch Windkraftanlagen- und Solarhersteller ersetzen?
Hätten wir das seit 2007 getan, dann hätten die Investments eine lange Baisse durchgemacht. Denn die Schwäche der Erneuerbaren Energien wurden teilweise noch durch die gut laufenden Versorger aufgefangen. Wir investieren punktuell in Wind und Solar, aber die Aktien sind auch sehr volatil. Yingli etwa produziert sehr kostengünstig und hat europäische Konkurrenten vom Markt gefegt hat, kommt er jetzt selbst durch Dumping in dem Bereich unter Druck. Denn die Arbeitskosten in China sind höher als in Bangladesh oder Indonesien. Deswegen ist schon die Textilindustrie abgewandert, das ist aber bei Solarunternehmen nicht so einfach.
Woran erkennt man als Aktionär, ob man einem Unternehmen trauen kann, das nachhaltig arbeitet also auch bei Sozialstandards und der verantwortungsvollen Unternehmensführung Pluspunkte hat?
Bei Volkswagen hat man gesehen, dass es immer scheibchenweise schlechte Nachrichten über die Corporate Governance gab. So etwas ist oft ein Alarmsignal und dadurch hat sich Volkswagen jetzt komplett aus dem möglichen Anlageuniversum von Nachhaltigkeitsfonds verabschiedet. Das ist ähnlich wie bei einer Bilanzfälschung oder Korruption. Etwa Siemens war lange für Nachhaltigkeitsfonds kein Investment. Auf jeden Fall wirken die Themen noch sehr lange nach.