Die amerikanische Zentralbank (Fed) spielt mit der Idee, die Leitzinsen anzuheben, vielleicht schon in diesem Monat. Die Auswirkungen sind bereits zu spüren. China hat vor wenigen Wochen den Außenwert des Renminbi gegenüber dem US-Dollar abgewertet. Ein unmissverständliches Zeichen, dass das Reich der Mitte keine steigenden Zinsen will.
Zudem wird Kapital aus den „aufstrebenden Volkswirtschaften“ abgezogen. Die noch vor kurzem hochgelobten Wachstumsmärkte knicken ein, ihre Währungen stürzen ab. Die Kurse auf den weltweiten Aktienmärkten geben nach. Der Eindruck, dass die Weltwirtschaft einen kritischen Punkt erreicht, trügt nicht.
Zur Person
Dr. Thorsten Polleit ist Chefökonom der Degussa (www.degussa-goldhandel.de). Seine Website ist: www.thorsten-polleit.com.
Die globale Kredit- und Geldarchitektur funktioniert nicht mehr. Dazu muss man wissen, dass alle wichtigen Währungen der Welt – ob US-Dollar, chinesischer Renminbi, Euro, japanischer Yen, Britisches Pfund oder Schweizer Franken – nicht einlösbares Papiergeld sind. Sie alle stellen staatlich monopolisiertes Geld dar, das sprichwörtlich „aus dem Nichts“ geschaffen wird. Dieses Geld lässt sich auch als „Fiat-Geld“ bezeichnen (abgeleitet vom lateinisch fiat: „Es werde“) und es ist alles andere als unschuldig und harmlos. Das Fiat-Geldregime verursacht schwerwiegende ökonomische, soziale und politische Probleme.
Die Ausgabe von Fiat-Geld setzt zunächst einen künstlichen Aufschwung („Boom“) in Gang. Der Boom kippt jedoch früher oder später in einen Abschwung („Bust“) um. Rufe werden laut, die Zentralbank solle doch die drohende Rezession mit noch tieferen Zinsen „bekämpfen“. Unter dem öffentlichen Meinungs- und Politikdruck senkt die Zentralbank die Zinsen und weitet das Kredit- und Geldangebot aus. Dadurch mag es zwar das ein oder andere Mal gelingen, einen Bust abzuwenden und in einen neuerlichen Boom umzumünzen. Doch genau wie der Boom zuvor wird auch er früher oder später kollabieren.
Das Anleihenkaufprogramm OMT der Europäischen Zentralbank
Im September 2012 traf der EZB-Rat eine weitreichende Entscheidung: Die Notenbank werde notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euroländern kaufen, um den Euro zu retten. Geknüpft wurde das Programm „Outright Monetary Transactions“ (OMT), das nie genutzt wurde, an bestimmte Bedingungen.
Die EZB wird nur tätig, wenn das betroffene Land unter einen Euro-Rettungsschirm (EFSF/ESM) geschlüpft ist und folglich strenge Reformvorgaben erfüllen muss.
Der EZB-Rat kann die Geschäfte jederzeit einstellen, wenn die Ziele erreicht sind oder die Länder Reformen nicht wie vereinbart umsetzen.
Anders als beim früheren Anleihenkaufprogramm SMP verzichtet die EZB auf eine vorrangige Gläubigerstellung. Das heißt: Ein Schuldenschnitt würde sie genauso treffen wie andere Gläubiger.
Das Volumen des OMT ist theoretisch unbegrenzt. Die EZB kann die Notenpresse anwerfen und Staatspapiere kaufen.
Wie lange kann das gutgehen?
Die Zentralbanken, die die Krise bekämpfen, die sie selbst verursacht haben, treiben die Volkswirtschaften in einen Boom-und-Bust-Zyklus. Doch nicht nur das. Das Fiat-Geld führt die Volkswirtschaften auch in die Überschuldung. Der Grund: In der Fiat-Geldwirtschaft reicht die Ertragskraft der kreditfinanzierten Investitionen nicht aus, den Schuldendienst vollumfänglich zu leisten. Die Schuldenlast der Volkswirtschaft schwillt relativ zur Produktionsleistung immer weiter an – vor allem auch, weil sich Konsumenten und besonders die Regierungen immer mehr verschulden – und zwar für unproduktive Ausgaben.
Der Boom, in Gang gesetzt durch das Ausgeben von Fiat-Geld, kann eine ganze Weile gutgehen. Irgendwann jedoch keimen bei den Gläubigern Zweifel auf, ob Schuldner noch in der Lage oder willens sind, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen. Dann wird es prekär. Dauerschuldner, deren Kredite fällig werden, suchen verzweifelt nach jemandem, der ihnen neue Kredite gibt. Die Kreditkosten steigen an. Das Kreditkartenhaus gerät ins Wanken.
Genau das ist in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 geschehen. Sie hätte zu Zahlungsausfällen von Staaten, Banken und Unternehmen geführt und die Weltwirtschaft in eine Rezession-Depression gestoßen. Dass es dazu nicht gekommen ist, lag an den Zentralbanken. Sie haben den Zahlungsausfall verhindert, indem sie die Zinsen gesenkt und die Geldmenge ausgeweitet haben.
Schuldgeldsystem gerät in schweres Fahrwasser
Beifallsbekundungen sollte das aber nicht auslösen. Schließlich war das Fiat-Geld der Zentralbanken die Ursache der Misere. Und ihre Eingriffe haben die aufgelaufenen Probleme nicht etwa gelöst, sondern verschlimmert. Die Volkswirtschaften befinden sich nun im Blindflug. Ob es sich um die Preise von Aktien, Anleihen, Häusern oder Derivaten handelt – alle werden durch die niedrigen Zinsen aufgebläht.
Die verzerrten Preise leiten die Marktakteure in die Irre. Das Treffen von richtigen Entscheidungen wird erschwert, wird unmöglich gemacht. Es kommt zu Spekulationsblasen, zu Fehllenkungen von Kapital, Verschwendung und Kapitalaufzehrung.
Die Volkswirtschaften sind höher verschuldet denn je. Ihre Abhängigkeit von niedrigen Zinsen war nie größer. In den vergangenen Jahren wurden nicht nur neue Kredite zu Tiefstzinsen aufgenommen. Es wurden auch fällige Kredite durch neue Kredite ersetzt, die mit Tiefstzinsen ausgestattet sind. Schon leicht steigende Zinsen würden überdehnten Schuldnern arg zusetzen. Sie würden das Vertrauen in die Kreditqualität von Staaten, Banken, Unternehmen und Konsumenten verpuffen und die Kreditpyramide kollabieren lassen. Mit anderen Worten: Eine Abkehr von der Niedrigzinspolitik ist nicht mehr möglich, ohne die Produktions- und Beschäftigungsstruktur, die sich in der Phase der niedrigen Zinsen aufgebaut hat, zu zerstören.
Wenn sich der Eindruck aufdrängt, man hätte es hier mit einem „Ponzi-Spiel“, einem „Schneeball-System“, zu tun, so kommt das nicht von Ungefähr. Das weltweite Fiat-Geldsystem schafft Schulden, die nur bedient werden können, wenn es immer mehr Schulden gibt. Bernard L. Madoff, der am 29. Juni 2009 aufgrund seines Ponzi-Spiels zu einer Haftstrafe von 150 Jahren verurteilt wurde, wird sich vermutlich fragen, warum nicht auch die Verantwortlichen in Zentralbanken angeklagt werden.
„Weiter so“
Warum will die US-Zentralbank jetzt die Zinsen anheben? Vielleicht, weil einige Fed-Entscheider meinen, die US-Wirtschaft könne höhere Zinsen vertragen. Vielleicht, weil die Geldpolitiker wissen, dass man Zinssteigerungserwartungen wach halten muss. Denn würde sich die Erwartung durchsetzen, dass die Zinsen auf ewig an der Nulllinie bleiben, verabschieden sich Sparer und Investoren aus dem Schuldpapiermarkt. Der Kreditstrom versiegt, das Schuldgeldsystem gerät in schweres Fahrwasser. Ohne Zins überlebt das Fiat-Geldsystem nicht. Die Hoffnung, mit Schuldpapieren etwas verdienen zu können, darf nicht untergehen.
Daher bemühen sich die Zentralbanken sehr, die Erwartung wachzuhalten, dass die Zinsen irgendwann einmal wieder angehoben werden. Gleichzeitig schieben sie jedoch den Zeitpunkt der Zinssteigerungen immer weiter vor sich her – weil sie die Zinsen nicht anheben wollen und auch nicht mehr anheben können, von kosmetischen Anpassungen einmal abgesehen. Das Motto, dem die Zentralbankräte weltweit folgen, lautet „Weiter so!“ Sie sehen es als ihre Aufgabe an, die Finanzmärkte vor dem Zusammenbruch zu bewahren und die Konjunkturen in Gang zu halten. Und was immer dazu erforderlich ist, werden sie tun. So hat die Europäische Zentralbank jüngst angekündigt, noch mehr Staatsanleihen zu kaufen, sollte sich die Lage an den Finanzmärkten verschlechtern.
"Boom" durch Vertrauen
Wie lange kann das gutgehen? Im ungedeckten Papiergeldsystem steht und fällt alles mit dem Kredit. Angebotsseitig können die Zentralbanken den Kredit bis ins Unendliche anwachsen lassen. Für sie gibt es schlichtweg keine Begrenzung, die Kredit- und Geldmengen auszuweiten. Sie sind schließlich die Monopolisten der Fiat-Geldproduktion.
Selbst wenn sich private Geschäftsbanken aus dem Kreditgeschäft zurückziehen, können die Zentralbanken die Kredit- und Geldmenge in der Volkswirtschaft erhöhen. Beispielsweise indem sie selbst Kredite vergeben und Schuldpapiere kaufen. Was das Fiat-Geldsystem stürzen kann, ist nicht das Kredit- und Geldangebot, sondern die Geldnachfrage.
Solange die Menschen Vertrauen haben in das Fiat-Geld und es zu Transaktions- und Sparzwecken halten, geht auch der „Boom“ weiter, und der „Bust“ kommt nicht zum Zuge. Dass es mit dem Spuk plötzlich, über Nacht, ein Ende haben könnte, ist zwar nicht unmöglich, aber doch recht unwahrscheinlich.
Denn dazu müsste die Nachfrage nach Fiat-Geld einbrechen, eine „Flucht aus dem Fiat-Geld“ müsste einsetzen. Bislang gibt es dafür keine Anzeichen, selbst nach den Erschütterungen durch die jüngste Finanzkrise nicht. Bekanntlich braucht es viel Zeit, bis sich die Geldhaltungs- und Ersparnisgewohnheiten der Menschen ändern. So schnell wird es daher wohl keinen Kollaps des Fiat-Geldsystems geben.
Vor Geldentwertung auf der Hut sein
Die Zentralbanken vergrößern mit ihrer Niedrigzinspolitik und Geldmengenvermehrung die weltweiten Ungleichgewichte. Das Auf und Ab auf den Finanzmärkten dürfte daher zunehmen. Der allseits gefürchtete „Crash“, der die Aktien- oder gar Anleihekurse ins Bodenlose fallen lassen könnte, wird jedoch vermutlich bis auf weiteres ausbleiben.
Denn die Zentralbanken würden ungeniert und unter dem Beifall der Öffentlichkeit die elektronische Notenpresse anwerfen, wenn die Vermögenspreise, vor allem die Aktienkurse, auf breiter Front absacken.
Damit der Boom nicht in einen Bust umschlägt, werden die Zentralbanken alles daran setzen, die Kredit- und Geldmengen auszuweiten und damit auch die Inflation hochzuhalten.
Als Monopolisten der Geldproduktion wird ihnen das auch gelingen. Die Zentralbanken können Staats-, Banken- und Unternehmensschulden in großem Stil monetisieren. Sie können mit neu geschaffenem Geld finanzierte Konsumgutscheinen ausgegeben oder neue Geldscheine aus dem Helikopter über den Volkswirtschaften abwerfen. Angesichts der Logik, mit der das Fiat-Geldsystem gehandhabt wird, sollten langfristorientierte Sparer und Investoren daher vor Geldentwertung auf der Hut sein – auch wenn die derzeitige Preisentwicklung etwas anderes nahelegt.