Goldhausen in Hessen Ein Dorf im Goldrausch

Der nordhessische Eisenberg in Goldhausen gilt als die größte Goldlagerstätte Deutschlands. In seinem Inneren schlummern noch über eine Tonne des Edelmetalls. Über 70 Jahren ist es her, dass dort das letzte Mal Gold abgebaut wurde. Der Versuch war ein Flopp. Goldwäscher, Hobbygeologen und Touristen träumen weiter vom großen Goldschatz.

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Reportage Goldhausen

Die braune Flüssigkeit schwappt in der blauen Plastikschale hin und her. Sand und Kies vermischen sich mit Flusswasser, es spritzt. Genug geschüttelt. Vorsichtig kippt Gerhard Stöbener die Soße zurück in den Fluss. Der 53-Jährige steht mit Gummistiefeln im Wasser, seine Hände sind schon ganz rot angelaufen vom eiskalten Nass. Stöbener kneift die Augen zusammen und senkt seinen Kopf in Richtung leere Schale. Am Rand sind einige Körner kleben geblieben. "Da, siehste. Wenn man genau hinguckt!" ruft er seinem Bekannten Veit-Enno Hoffmann zu.

Die beiden sind auf der Suche nach Gold, mitten in Deutschland, in einem Dorf in Nordhessen. Der Ort, in dem sie sich treffen, heißt Mehlen und liegt an der Eder. Hier gibt es einen Campingplatz, links über den Fluss führt eine Autobrücke. Um ans Ufer zu gelangen, mussten Stöbener und Hoffmann über eine Leitplanke steigen.

"Auf die Technik kommt es an," erklärt Stöbener, der schon den nächsten Schwung Flussschotter in seine Goldwaschpfanne schüttet. "Die Pfanne immer nur von links nach rechts bewegen, nie hoch und runter. Nur so setzen sich die schwersten Teilchen auf dem Boden ab." Die Ausbeute ist mager. Die Hobbygoldwäscher finden nur ein paar winzige Goldflitter, vielleicht ein Zehntel-Millimeter groß. "An manchen Stellen an der Eder habe ich schon bis zu 30 Goldflitter gefunden," berichtet Hoffmann. Auf eine Tonne Flussschotter aus der Eder kämen etwa 0,2 Gramm Gold, schätzt der Diplom-Geologe.

Ein Großteil des Edergoldes, für das Liebhaber auch schon mal 200 Euro pro Gramm zahlen, kommt aus dem Eisenberg in der Nähe von Korbach. Der Berg gilt als die größte Goldlagerstätte Deutschlands. In Goldhausen, einem Ortsteil von Korbach, wurden mehrere Jahrhunderte lang Gold abgebaut. Die ehemalige Bergmannsiedlung ist klein, rund 300 Leute leben dort. Die Häuser sind an den Berg gebaut, die Straßen gehen kreuz und quer durch den Ort. Überall finden sich Überbleibsel aus der Bergbauzeit: Abgeriegelte Schachteingänge, Schutthalden, über die inzwischen Gras gewachsen ist und mit Steinen gefüllte Loren. Letztere haben die Dorfbewohner allerdings nur zur Zierde aufgestellt, um Werbung zu machen.

Armin Prager kennt die Geschichte des Goldabbaus in der Gegend auswendig, jedes Datum hat er im Kopf. Der 50-jährige Bankkaufmann beschäftigt sich schon sein halbes Leben mit dem Thema. Zielstrebig steuert er die Stellen im Ort an, die irgendetwas mit Bergbau zu tun haben. "Mit dem Tiefbau haben die Bergleute Anfang des 14. Jahrhunderts begonnen. Einer der ersten Schächte liegt in der Mitte des Ortes. Er wurde um 1300 gebaut," sagt Prager. Das Gestein des Eisenbergs ist so hart, dass sich die Bergmänner mit Hammer und Meißel jeden Tag nur zwei bis drei Zentimeter tief vorarbeiten konnten. "60 Jahre hat es gedauert, bis der Schacht fertig war. Aber die Arbeitskräfte waren so billig, dass es sich trotzdem gelohnt hat. Man hat hier so eine Art Sparbergbau betrieben: So viel rausholen wie möglich, mit so geringem Aufwand wie möglich."

Im Eisenberg lagern noch Tonnen

Die Arbeit im Berg war hart. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Bergmanns lag bei 35 Jahren. Diejenigen, die mit giftigen Dämpfen arbeiten mussten, wurden meist nicht älter als 25. Die Luftfeuchtigkeit machte sie krank - fast alle litten an Rheuma. Im Winter hat keiner der Männer Tageslicht zu Gesicht bekommen - zu früh am Morgen ging es runter in den Schacht und zu spät wieder nach oben. Nach heutigen Maßstäben brachten die Arbeiter für die Plackerei unter Tage etwa 100 Euro im Monat nach Hause - nur ein Zuverdienst. Um überleben zu können, mussten sie nebenher noch Landwirtschaft betreiben.

Die Gewinne strichen die Besitzer der Bergrechte ein, die sich schon zu Beginn in bergrechtlichen Gewerkschaften organisierten. Jeder Anteilseigner besaß so genannte Kuxen, über die sie am Ertrag mit Dividenden beteiligt waren. Das Edelmetall machte vor allem die Landgrafen reich. In vier Jahrhunderten bauten die Bergleute über eine Tonne Gold ab.

Im 17. Jahrhundert ging es mit dem Bergbau in Goldhausen zu Ende. Schuld waren der 30-Jährige Krieg und die Tatsache, dass der Goldabbau zu umständlich war. Zu dieser Zeit kamen vulkanische Lagerstätten groß in Mode. Das Goldhäuser Edelmetall lässt sich nicht einfach mit Hammer und Meißel aus dem Berg lösen. "Es zieht sich in feinen Äderchen durch den Stein. Das sieht so ähnlich aus wie Moos," erklärt Heiner Heggemann vom Hessischen Landesamt für Umwelt und Geologie. Da würde sich der Abbau auch bei dem derzeitigen Goldpreis nicht lohnen. Grobe Schätzungen hätten ergeben, dass im Eisenberg noch 1,5 Tonnen lagern. Das Gold musste früher mit Hilfe von Quecksilber gewonnen werden. Die Bergleute verarbeiteten das Gestein zu einem Brei, dem sie Quecksilber beimischten. Wenn das Metall verdampfte, erhielten sie reines Gold.  

In den 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es noch einmal ein Gold-Revival am Eisenberg. Der Bergbauexperte Karl-Theodor Rauschenbusch hatte sich in den Kopf gesetzt, die Mine wieder in Betrieb zu nehmen. Seine Familie stammte aus dem Siegerland, wo sie schon mehrere Bergwerke unterhielt. Mit einem Schatzköfferchen reiste Rauschenbusch durch ganz Deutschland, um Investoren für sein Vorhaben zu gewinnen. Goldflitter und ein Mini-Goldbarren - der einzige, der je aus Eisenberger Gold geprägt wurde - sollte potenzielle Geldgeber überzeugen. Letztendlich zeigte nur die Bergwerkgesellschaft Preussag aus Hannover Interesse. Sie boten Rauschenbusch einen Knebelvertrag, wie Prager es ausdrückt: Bei Erfolg sollte der Ertrag geteilt werden, wenn das Geschäft misslingt, sollte Rauschenbusch die ganzen Kosten tragen. Der Siegerländer, ganz dem Goldrausch verfallen, willigte ein, so groß war der Wunsch, den Betrieb wieder in Gang zu bringen. Doch das Vorhaben floppte. In drei Jahren wurde kein Gold gewonnen, Rauschenbusch ging Pleite und die Preussag riss sich die siegerländer Bergwerke der Familie unter den Nagel. Böse Zungen behaupten, die Preussag wollte die Bergbau-Familie von Anfang an über den Tisch ziehen. Man hätte gegen den Rat von Geologen an den falschen Stellen im Berg nach Gold gesucht.

Reportage Goldhausen

Die Goldhäuser kennen viele solcher Geschichten. Unklar ist bis heute, wie die Menschen in der Gegend überhaupt darauf kamen, dass in der Eder und im Eisenberg ein Schatz schlummert. Hobbygeologe Prager erzählt eine Version: Bevor an der Eder eine Staumauer gebaut wurde, sei der Fluss häufig übergetreten und habe die angrenzenden Wiesen überflutet. Als sich das Wasser wieder zurückzog, habe das Gras gold geschimmert. Goldwäscher Hoffmann muss schmunzeln, wenn er solche Erzählungen hört: "Das haben sich die Leute nur ausgedacht, um Investoren anzulocken."

Auch wenn der Bergbau Goldhausen heute kein Geld mehr einbringt - von seiner einzigartigen Geschichte profitiert das Dorf noch heute. "2000 Touristen kommen jedes Jahr zu uns," sagt Ortsvorsteher Wolfgang Behle. In dem alten Stollen finden heute Besucherführungen statt. Jedes Jahr wird eine junge Frau - vorzugsweise blond - zur Goldmarie gekürt, die die Stadt Korbach repräsentieren soll. Die Bergbaurechte gehören jetzt dem Verein Historischer Goldbergbau Eisenberg, dem auch Behle angehört. Dem Verein liegt nichts daran, noch einmal einen Versuch zu starten und den Goldabbau wiederzubeleben. "Das würde ja bedeuten, dass Goldhausen umgesiedelt werden müsste," meint Behle. Außerdem steht das Gebiet unter Naturschutz.

Die Goldwäscher Stöbener und Hoffmann hatten immer noch kein Glück an diesem Tag. "Mich hat der Goldrausch auch ein wenig gepackt. Aber nicht, weil ich reich werden will," versichert Hoffmann. Der 28-Jährige hat schon in Pakistan, den USA und der Türkei nach Gold gesucht. Sein Traum: Er will für seine Freundin einen Ehering machen lassen, aus selbst gewaschenem Gold aus allen Teilen der Welt. Fünf Gramm von dem Edelmetall braucht er dafür: "In fünf Jahren will ich heiraten. Bis dahin müsste ich so viel zusammen haben." 

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