Architektur Fassade ist Heimat

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Sanierte Altbauten aus der Quelle: ZB

Ein Patentrezept gibt es nicht?Wir müssen suchen: Gibt es andere Methoden, andere Techniken, die in der Kombination viel sinnvoller sind als eine Dämmstoff-Orgie mit 22 bis 24 Zentimeter dicken Paketen. Eine viel diskutierte Lösung ist die Innendämmung, deren Einsatz aber oft noch Probleme bereitet.

Wer im Innern schönen Stuck hat, kann die Innendämmung gleich vergessen.Reden wir nicht drum herum. Der Eigentümer eines erhaltenswerten Hauses kommt in einen Konflikt: Er möchte das schöne Gebäude bewahren, aber er findet keinen Mieter mehr, der sich die höheren Nebenkosten leisten will. Und den Pionieren, die als Erste ihre Wohnungen dämmen, laufen auch die Mieter weg. Denn zunächst steigen dort die Mieten, obwohl die Energiepreise noch gar nicht so hoch sind.

Die Totalsanierung ist so teuer, dass weder Häuslebauer noch Mieter so viel Energiekosten sparen, dass sich die Investition absehbar lohnt. Und der Vermieter bleibt entweder gleich auf einem Teil der Kosten sitzen, oder die Mieter flüchten.Da muss die Gesellschaft entscheiden, wie sie die Eigentümer unterstützen kann. Wenn der Staat die Nachteile nicht ausgleicht, wird es mit der Sanierungsoffensive nichts.

Früher konnten Vermieter mit „Wohnen im Denkmal“ werben. Ist das künftig ein Makel?Es ist zumindest kein Argument für die Vermarktung, wenn der Mieter im Altbau vier Euro Nebenkosten pro Quadratmeter zahlen soll und im benachbarten Neubau nur 1,50 Euro. Jeder muss für sich selbst Lebensqualität definieren: Ist es mir das wert, in großen Räumen mit toller Atmosphäre zu wohnen – oder ziehe ich lieber in eine ästhetisch vielleicht weniger attraktive, aber gut gedämmte Wohnung, um niedrige Kosten zu haben; in eine hermetisch abgeschlossene Kiste, in eine Art Terrarium.

Sie beschreiben eine gesellschaftliche Spaltung: Hier der wohlhabende Ästhet im energieintensiven Altbau, dort der Finanzschwache im Styroporblock?Das darf nicht passieren. Wir haben ja schon heute solche Verdrängungsprozesse. Aber die dürfen nicht über das Thema Energieverbrauch noch gefördert werden.

Die Bundesregierung sagt: Jedes Haus soll gedämmt werden. Sie sagen: Das ist gar nicht immer nötig. Gibt es genaue Anhaltspunkte, also etwa: Wer 40 Zentimeter starke Wände hat, muss nicht die Fassade dämmen?Das kann man so pauschal nicht sagen. In der Energie-Einsparverordnung ist ja definiert, welche Wärmedurchgangskoeffizienten eingehalten werden müssen. Aber es kommt auch auf das Verhältnis von Wandfläche zum Gebäudevolumen an. Ein Gebäude mit zerklüfteter Oberfläche strahlt mehr Wärme ab als ein kompakter Baukörper.

Aber der Staat unterscheidet ja gar nicht. Er schreibt vor: Oberste Geschossdecke dämmen oder Heizkessel, die älter als Jahrgang 1980 sind – raus!Natürlich muss man manchmal pauschalieren. Aber beim Gesamtverbrauch funktioniert das eben nicht. Der Staat sollte nicht den Weg vorschreiben, sondern das gewünschte Ergebnis. Man muss das Gesamtgebäude sehen, nicht nur die Fassade. Aber auch die gesamte Stadt und nicht nur das einzelne Gebäude ist wichtig.

Warum empfinden wir das Verschwinden alter Fassaden überhaupt als kulturellen Verlust?Das Dorf, die Stadt, wo wir aufgewachsen sind, wo wir lange leben, die prägen uns. Dadurch entsteht der Wunsch, etwas zu bewahren. Warum -wollen wir Baudenkmäler erhalten, die man teilweise so gar nicht mehr braucht? Es ist die Erdung, die der Mensch einfach braucht.

Steinerne Heimat?Natürlich, es ist ein Teil von Heimat. Das ist ja das Interessante: Es gibt Gebäude, die den Zeitgeist überdauern und über Generationen hinweg als schön anerkannt werden. Eine gute Architektur ist wie guter Wein: Sie bleibt über viele Jahre ein Genuss, wird sogar immer besser.

Was tun wir mit den Neubauten der Fünfziger- und Sechzigerjahre?Viele Nachkriegs-Wohnviertel sind entstanden, um die Menschen erst mal mit einer Bleibe zu versorgen. Da ging es nicht um Ästhetik und auch nicht um den Energieverbrauch. Hier sollte man individuell prüfen, ob es sinnvoll wäre, einzelne Gebäude abzureißen, bevor wir die mit einem Riesenaufwand dämmen. Und die Lücken durch Neubauten mit bester Wärmeisolierung füllen. Aber dafür gibt es bisher leider kein Gesamtkonzept.

Unlängst gab es einen bemerkenswerten Disput. Der Architekt Hans Kollhoff sagte, man könne nicht ganz Tübingen einpacken. Und Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer konterte: „Wollen Sie die ästhetischen Gegenwartsbedürfnisse über die Lebensbedürfnisse künftiger Generationen stellen?“Wir sollten die Debatte nicht zu sehr aufladen und zur Überlebensfrage machen. Das Fachwerkhaus oder die Stuckfassade sind wichtig für unsere Gesellschaft und Identität, aber gefährden nicht die Schöpfung und die Menschheit.

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