Ein Schnäppchen! Elisabeth H. aus München traut ihren Augen kaum: 239 Quadratmeter, fünf Zimmer, beste Lage in Münchens Maxvorstadt – und das alles für 588.000 Euro. Das Angebot auf dem Internet-Portal Immobilienscout24 ist eigentlich viel zu günstig, das weiß sie sofort. "Aber probieren wollte ich es."
Also antwortet sie per E-Mail auf die Annonce, sie sei an einer Besichtigung interessiert: "Wenn wir uns schnell einigen – was ich hoffe – können wir den Vertrag und die Zahlung auch sehr schnell abschließen." Prompt die Antwort, von einer Dame namens Isabel Weber Molina: Sie habe die Wohnung vor zwei Jahren gekauft, als Forschungsingenieurin in Deutschland. Jetzt sei sie für ein neues Projekt nach Polen gezogen und wolle verkaufen. Eine Agentur werde den Verkauf aus dem Ausland regeln, Frau H. solle sich an eine Sophia Banks von IVG International wenden. Der Verkauf der Wohnung wäre aber kein Problem, sie habe damals bar bezahlt.
Ein erster Weckruf für die Münchnerin. "Sind wir hier in der Abteilung Geldwäsche gelandet?" Sie googelt nach IVG, findet die deutsche IVG Immobilien. Die muss sich zwar gerade nach einer Insolvenz umstrukturieren, war als deutsche AG aber immerhin mal im MDax. Elisabeth H. setzt aus Neugier den Schriftwechsel fort. Mit der angeblichen Maklerin Sophia Banks und deren Chef geht es für Elisabeth H. auch gleich ans Eingemachte. "Für einen exklusiven Besichtigungstermin der Wohnung überweisen Sie uns bitte vorab eine Kaution auf folgendes Konto in Polen..."
Die 31-Jährige ahnt, dass sie sich ihr Schnäppchen abschminken kann. Trotzdem macht sie weiter, fragt nach einem Grundbuchauszug – um zu klären, ob die Dame Molina wirklich die Besitzerin ist.
Bisher legten Betrüger mit der Masche, Vorkasse für Wohnungsbesichtigungen oder Kautionen für Wohnungen zu verlangen, vor allem Menschen rein, die eine Wohnung mieten wollten. In begehrten deutschen Städten sind dies zwar Hunderttausende. Die zu ergaunernden Beträge aber sind gering, wenige Hundert Euro, wenn etwa eine Monatsmiete Kaution gefordert wird. Jetzt erschließen sich die Betrüger Kaufimmobilien – ein deutlich lukrativeres Geschäft: Je nach Kaufpreis versuchen sie Besichtigungsgebühren von bis zu 10.000 Euro einzustreichen.
Dazu locken sie Interessenten mit professionell fingierten Anzeigen. Sie kopieren Bilder, Texte und Informationen zu Wohnungen aus echten Immobilienanzeigen, meist aus Mietannoncen. Die stellen sie dann als Kaufanzeigen wieder ins Netz. Als Kontakt wird eine E-Mail-Adresse hinterlegt. Melden sich Interessenten dort, werden sie an Makler bei einer Agentur verwiesen – so wie Elisabeth H. an Sophia Banks von IVG International.
Die Betrüger missbrauchen große Namen
Sowohl Makler als auch Agentur sind erfunden. Für die Opfer ist das kaum zu erkennen: Die Internet-Seite wirkt täuschend echt; mit Informationen zu Angestellten, einem ausführlichen Firmenprofil und Angeboten für Luxusimmobilien. Die Betrüger schmücken sich mit den Logos britischer Maklerverbände, und auf der Homepage finden sich Statements wie: "Ehrlichkeit und Integrität – immer", oder "Wir sind ein Team, dem Sie vertrauen können"“. Doch die Fotos der Makler und Agenten stammen alle von anderen Agenturen. Den Chef von Sophia Banks, mit der Elisabeth H. aus München Kontakt hatte, gibt es gleich mehrfach im Netz. Bei IVG International heißt er Kyle Barker, auf einer anderen Seite Giannis Papazoglakis, auf einer dritten Bernard Herman.
In Wahrheit aber zeigt das geklaute Foto den Londoner Joshua Rafter. Er arbeitet tatsächlich in der Branche – bei der etablierten Agentur Outlet Property. Firmenchef Rafter ist entsetzt, dass sein Gesicht und auch Fotos seiner Kollegen auf der Betrügerhomepage genutzt werden. "Wir haben rechtliche Schritte eingeleitet um die Seite aus dem Netz zu nehmen", sagt Rafter.
Die Betrüger gehen noch weiter: Sie schmücken sich mit großen Namen. Das britische Immobilienhaus Knight Frank etwa ist auf einer Betrugsseite als Partner angegeben. Darauf aufmerksam gemacht, erklärt Knight Frank, eine Unterlassungsaufforderung gegenüber den Betreibern einreichen zu wollen. Ähnlich will Yoram Meshulam vorgehen. Denn ihm klauten die Betrüger seinen guten Namen. Der Spanier betreibt eine Immobilienagentur in Barcelona. Und soll, laut Informationen auf deren Internet-Seite, auch die angebliche IVG International gegründet haben. Meshulam aber erfuhr von IVG International und deren Seite erst durch eine Anfrage der WirtschaftsWoche. "Bisher haben wir noch keine Umsatzeinbußen durch die Betrüger ausgemacht, dass mein Name dort auftaucht, sorgt aber sicherlich für Verwirrung", sagt Meshulam. Wie er seinen Namen löschen kann, weiß er nicht.
Seine Anwälte erklärten ihm, dass dies viel Zeit und Geld kosten würde. Denn die Domain, für die Betreiber von Internet-Seiten ihre Kontaktdaten hinterlegen müssen, wurde unter falschem Namen registriert. Die angegebene Telefonnummer ist kein offizieller Anschluss.
Die Online-Plattform Immobilienscout24 versucht, mit besonderen Filtern die betrügerischen Angebote zu stoppen. Die Software kann zum Beispiel Bilder finden, die schon in anderen Anzeigen standen. Auch über den Preis lassen sich Betrugsangebote finden: Liegt dieser massiv unter den Preisen vergleichbarer Offerten, wird das Billigangebot überprüft. Dafür sind bei Immoscout rund 30 Mitarbeiter zuständig.
Auf der Spur des Geldes
Alle Betrüger finden aber auch die nicht. In Internet-Foren sammeln sich seitenlange Listen von Betrugsanzeigen. Immoscout löscht nach eigenen Angaben von rund 150.000 jede Woche neu eingehenden Anzeigen 700 bis 800, weil diese gegen die Geschäftsbedingungen verstoßen. Dem Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) sind 143 Fälle von Immobilienbetrug aus den Jahren 2010 und 2011 bekannt, neuere Zahlen sind nicht verfügbar, bundesweite Daten gibt es nicht. In NRW wurden Opfer in 62 Fällen tatsächlich betrogen, und es floss Geld für die Reservierung einer Immobilie. Die aktuelle Masche von IVG International dürfte in diesen Zahlen noch nicht enthalten sein, das LKA rechnet mit einer hohen Dunkelziffer.
In Internet-Foren melden sich Nutzer zu Wort: Sie hätten gezahlt, die Hoffnung auf ihr Geld aber aufgegeben. Dass sie Anzeige erstatten, ist unwahrscheinlich. Bei Schadenssummen von wenigen Hundert oder Tausend Euro pro Fall wäre die Aufklärungsquote sehr gering, sagt das LKA NRW. Da international ermittelt werden müsse, seien die Kosten dafür einfach zu hoch. Selbst über die IP-Adresse, die eindeutig jedem Internet-Nutzer zugewiesen wird, lassen sich die Betreiber kaum ermitteln. Nach Angaben der Domain-Anbieter, die Seiten wie IVG-International.com verwalten, können Betrüger über Umleitungen im Internet ihre Identität verschleiern.
Bleibt noch die Kontonummer. Denn irgendwie müssen die Betrüger an das ergaunerte Geld kommen. Und die Masche wirkt schließlich so echt, weil keine Zahlungen über den globalen Bargelddienst Western Union verlangt werden. Vor denen schrecken Verbraucher mittlerweile zurück. Die Betrüger nutzen stattdessen polnische Bankkonten.
Elisabeth H. aus München etwa sollte 1,6 Prozent des Kaufpreises – gut 9400 Euro – auf ein Konto in Polen überweisen, bei der Zachodni WBK S.A. Bank, die zur Santander Gruppe gehört. Der Kontoinhaber: AMOS IVG.O International. Laut Zachodni WBK Bank ist dies ein normales Girokonto. Die Bank untersucht den Vorfall, hat schon öfter solche Anfragen erhalten. Informationen über die Kontoinhaber dürfe sie an ermittelnde Behörden aber nur herausgeben, wenn eine bestimmte Person verdächtigt werde. Die Identität der Person wird sich aber wohl nur aus den Kontodaten herauslesen lassen – ein Teufelskreis.
Warnsignale ernst nehmen
Hätte Elisabeth H. tatsächlich überwiesen – das Geld wäre wohl unwiederbringlich weg. Und mit nur einer Überweisung hätten sich die Betrüger wohl auch nicht zufriedengegeben, sagt Sonja Schwarz. Sie leitet das Projekt Watchlist Internet, das vom Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation getragen wird. Nach der ersten Überweisung haben Immobilienbetrüger ihre Opfer an der Angel: "Wer gegenüber Betrügern einmal Schwäche zeigt, wird anschließend noch stärker unter Druck gesetzt – sie fordern Geld oder sensible Daten", sagt Schwarz. "Die Betroffenen zeigen solche Fälle nach den ersten Zahlungen oft aus Schamgefühl nicht an und hoffen, noch irgendwie aus der Sache herauszukommen." Hinter den Betrügern der aufgesetzten Internet-Seiten vermutet sie eine weltweit operierende, hoch professionelle Bande.
Nach den ersten E-Mail-Kontakten fordern die Betrüger von ihren Opfern Ausweiskopien an. Diese nutzen sie wiederum, um weitere ihrer Betrugsanzeigen im Netz zu legitimieren. Sie nehmen einfach die Identität ihrer Opfer an.
So weit lässt es Elisabeth H. nicht kommen. Nach der ersten Zahlungsaufforderung sucht sie Beweise für einen Betrug – und wird fündig. Fotos der ihr zum Kauf angebotenen Wohnung in der Maxvorstadt stehen auch in einer Mietannonce auf Immobilienscout24. 5980 Euro Kaltmiete verlangt die Hausverwaltung dafür. Der Kaufpreis für ein solches Objekt müsste über zwei Millionen Euro liegen – viermal so hoch wie in der gefälschten Anzeige. Allein der Dumpingpreis ist Zeichen genug, dass das Angebot nicht seriös sein konnte.
Elisabeth H. schaut sich die Wohnung dennoch an. Bei der Besichtigung erfährt sie, dass der Hausverwalter die irreführende Anzeige bereits bei Immoscout gemeldet hatte. Die Internet-Plattform nahm das Angebot danach sofort aus dem Netz.
Elisabeth H. entging den Betrügern, weil sie Warnsignale ernst nahm und nicht unter Druck stand – sie sucht in aller Ruhe nach einer Immobilie als Geldanlage für ihre Mutter. Nicht alle Kaufinteressenten bleiben so cool. Auf den heiß gelaufenen Märkten in den Metropolen kommt es durchaus vor, dass Interessenten Maklern oder Verwaltern Zahlungen unter der Hand anbieten, um eine begehrte Wohnung zu bekommen. Münchner Makler überrascht es deshalb wenig, dass Käufer schon für eine Besichtigung Geld vorab überweisen – sogar auf ein Konto in Polen.