„Cubity“ in Frankfurt Wenn Studenten in kleinen Würfeln wohnen

Wohnen auf 7,2 Quadratmetern: Wer im Frankfurter „Cubity“ lebt, muss sich mit sehr wenig Raum begnügen. Die Idee scheint innovativ – doch im Alltag lässt sich so mancher Konflikt nicht vermeiden.

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Studenten, die bei diesem Projekt mitwirken, lernen eine neue, besonders soziale und ökologische, Art des Wohnens kennen. Jeder Bewohner hat 7,2 Quadratmeter zur Verfügung. Quelle: dpa

Frankfurt/Main Wenn Helena Lor nach einem anstrengenden Tag in der Bibliothek nach Hause kommt, muss sie abends meist noch die Geschirrspülmaschine ausräumen. „Sonst macht es keiner“, sagt die 20 Jahre alte Jurastudentin ratlos, aber dennoch milde lächelnd. Jeder kennt solche Probleme, ob er nun mit einem oder mehreren Menschen die Wohnung teilt.

Helena wurden aber ihre zehn Mitbewohner vom Studentenwerk zugewiesen. Im Frankfurter „Cubity“ probiert sie in einem 16 auf 16 Meter großen Kasten studentisches Wohnen ganz neu aus – ökologisch und sozial. Das 256 Quadratmeter große gläserne Heim, im vergangenen Jahr nach dem „Haus im Haus“-Prinzip aus Fertigbau-Modulen errichtet, hat zwölf Boxen: In den Würfeln (Cubes) hat jeder Bewohner exakt 7,2 Quadratmeter zur Verfügung.

Eingepasst ist ein Bett (90 auf 200 Zentimeter) – mit kleinen Schubfächern und einer Schrankablage. Neben Mini-Bad mit Dusche und WC gehören noch ein Schreibtisch und Stuhl zu den Einbaumöbeln. Die auf zwei Geschosse verteilten Kuben sind zugleich um einen großen „Marktplatz“ gruppiert. Dort wird an einem großen Tisch gegessen. Es gibt auch noch eine geräumige Küche. Auf der loftartigen Galerie befindet sich ein weiterer Gemeinschaftsraum zum Fernsehen oder Lesen.

Das Projekt will beweisen, dass heute platzsparend und innovativ gebaut werden kann. Leben und Schlafen im Cube ist allerdings gewöhnungsbedürftig: „Auf sieben Quadratmetern stößt man schnell an seine Grenzen“, stellt Kai Julian Kemmler (21) fest, ebenfalls Jurastudent. Kein Wunder also, dass alle außerhalb ihrer Kuben ein halb-privates Territorium geschaffen haben.

Überall stehen – schwer beladene – Garderobenständer oder Schuhe herum. Entwickelt wurde Cubity an der Technischen Universität (TU) Darmstadt, gesponsert hat es die Deutsche Fertighaus Holding AG. Bei der energetischen Versorgung haben sich die Darmstädter Architekturstudenten einiges einfallen lassen.

Mit Hilfe von Solarenergie über die lichtdurchlässige Fassade und einer Photovoltaikanlage auf dem Dach soll mehr Energie produziert werden als die Bewohner verbrauchen. Damit gilt Cubity als weltweit erstes Studentenheim im „Plusenergie-Standard“.


„Wir sind ein Spiegel der Gesellschaft“

Soweit die Theorie: In der Praxis heizen sich die Kuben aber vor allem im Sommer stark auf, wie Kemmler bemängelt. Neben einer Ventilation gibt es Schläuche in Decken und Böden, durch die je nach Jahreszeit kaltes oder warmes Wasser gepumpt wird. Das kann aber manchmal dauern, wie Elisa Stamm einräumt, die das Projekt für die TU Darmstadt wissenschaftlich betreut. „Es kann nicht von Anfang perfekt sein.“

Derzeit wird mit viel High-Tech-Apparaturen die Energiequalität des Baus erforscht. Das soziale Zusammenleben der Bewohner – derzeit sind es sieben Frauen und vier Männer – analysiert ein Wissenschaftler. Dort stehen sich derzeit zwei Fronten gegenüber, wie Kemmler sagt. Einmal politisch und auch sonst, also wenn es ums Putzen und andere Dinge des täglichen Leben geht.

Im Cubity ist die Toleranzschwelle – wie in jeder WG – sehr unterschiedlich. „Wir sind ein Spiegel der Gesellschaft“, witzelt Kemmler über die zusammengewürfelte Mannschaft im Heim. Es existieren kleinere Freundeskreise, ein Gemeinschaftsleben in der großen Gruppe gibt es aber selten. Daher hat man sich Regeln gesetzt.

So darf nach elf Uhr abends nicht mehr gekocht und auch die lärmende Waschmaschine nicht mehr angeworfen werden. Denn die einzelnen Wohnkuben sind sehr hellhörig. Da das Projekt aber „total auf Gemeinschaft angelegt“ ist, wie Projektbetreuerin Stamm sagt, tut sich zwangsläufig ein Problem auf. Die erste Bewohnergeneration hatte auch keinen Einfluss darauf, wer der Gemeinschaft angehört.

Über die Belegung hat das Studentenwerk nach dem chronologischen Eingang der Online-Bewerbungen entschieden. Das soll sich künftig ändern. Nachdem eine Studentin in eine andere Stadt weggezogen ist, haben die Cubity-Bewohner erstmals selbst die neuen Bewerber interviewt und dann entschieden. Was auch nicht einfach war, da die Abstimmung entlang der beiden Fronten zuerst ein Patt erbracht hat. Auf zunächst drei Jahre ist Cubity angelegt.

Es steht mitten in einem Viertel mit Wohnungen aus den 1950er Jahren in Frankfurt-Niederrad. Die Nassauische Heimstätte, die das Viertel gerade zu einem Vorzeigeobjekt im sozialen Wohnungsbau mit Car-Sharing und Hilfen für ältere Mieter umbaut, hat den Studenten den Platz zur Verfügung gestellt. Das landeseigene Wohnungsbauunternehmen hat auch die Hoffnung, dass sich im Viertel Jung und Alt aus unterschiedlichen Milieus begegnen. Doch das scheint Zeit zu brauchen, wie man hört.

Das gilt auch fürs soziale Leben im Cubity: Bisher hat aber keiner der Bewohner seinen Würfel aus Protest verlassen. Auch Kemmler, der aus seiner kritischen Haltung kein Hehl macht, will seinen Platz nicht räumen. „250 Euro Miete sind unschlagbar“, sagt der Jurastudent. Als er im vergangenen Jahr in Frankfurt über das Studentenwerk eine Bude in einem „normalen“ Heim suchte, war er auf Platz 800.

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