Experte erklärt Das bedeutet das Eigenbedarfs-Urteil für Mieter und Vermieter

Bei Eigenbedarf haben Mieter oft das Nachsehen, es sei denn, es handelt sich um einen Härtefall. Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden: Pauschale Urteile sind unmöglich. Quelle: dpa

Mietrechtsexperte Julian Engel hält es für überzogen, alle Härtefälle bei Eigenbedarfskündigungen durch Sachverständige prüfen zu lassen. Mieter und Vermieter müssten nun mit längeren und teureren Verfahren rechnen.

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat gestern in zwei Fällen entschieden, bei denen Vermieter den Mietvertrag wegen Eigenbedarf gekündigt hatten. Wegen diverser Erkrankungen widersprachen die Mieter der Kündigung, weil ein Umzug in eine neue Wohnung unzumutbar sei. Der BGH hob die Urteile der Vorinstanzen auf. Er verlangte, bei jedem Einzelfall genau zu prüfen, ob ein Härtefall vorliegt, der eine Kündigung unzulässig macht.

Herr Engel, haben Sie die beiden Urteile des Bundesgerichtshofs zur Kündigung wegen Eigenbedarf überrascht?
Dass der BGH die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben hat, war nicht überraschend. Das hatte sich bereits in der mündlichen Verhandlung abgezeichnet. Ungewöhnlich ist, dass der BGH von den Gerichten einfordert, ärztliche Atteste der Mieter durch Sachverständige überprüfen zu lassen. Zwar lässt sich aus dem Statement des BGH keine automatische Pflicht ablesen, immer Gutachter einzuschalten. In der Praxis läuft es aber darauf hinaus.

Was hat das Folgen für ähnliche Verfahren?
Die Verfahren werden länger und teurer. Vermieter müssen länger auf eine Räumung warten, weil die Mieter während der Gerichtsprozesse in ihrer Wohnung bleiben dürfen. In dieser Zeit können die Vermieter nicht über ihr Eigentum verfügen. Sie müssen sich eventuell sogar ein Ausweichquartier suchen. Da die Mieter häufig sehr alt und krank sind, wird es öfter so sein, dass sie das Ende des Verfahrens nicht mehr erleben. Hinzukommt, dass Mieter künftig von Klagen abgehalten werden, weil sie fürchten, die Gutachterkosten vorstrecken zu müssen.

Julian Engel ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Dornbach in Koblenz. Quelle: Presse

Bezahlen nicht die Gerichte den Sachverständigen?
Wenn die Kosten für ein Gutachten hoch sind, verlangen die Gerichte ein Vorschuss von den Streitparteien. Für viele Mieter könnte das zu viel sein. Sie bekommen das Geld auch nur wieder, wenn sie den Prozess gewinnen. Sonst bleiben sie auf den Kosten sitzen. Bei einer Einzelfallprüfung, wie sie der BGH fordert, ist der Ausgang des Verfahrens sehr viel offener. Nur wenn die Rechtsschutzversicherung die Kosten für einen Sachverständigen übernimmt, ist solch ein Verfahren für die meisten Mieter bezahlbar.

Können die Sachverständigen solch eine Einzelfallprüfung leisten?
Der BGH fordert zusätzlich, dass die Gutachter auch prüfen sollen, ob ärztliche Betreuung und Therapien den Mietern in ihrem neuen Umfeld, helfen können, besser mit den gesundheitlichen Folgen eines Umzugs umzugehen. Spätestens an diesem Punkt mutet das Gericht den Sachverständigen zu viel Verantwortung zu. Wie soll ein Gutachter abschätzen, ob sich der Gesundheitszustand eines Mieters durch Betreuung entscheidend verbessert? Er müsste wissen, welche Hilfsangebote es für den Mieter vor Ort gibt und ob sie sinnvoll sind.

Wer müsste eine solche Betreuung bezahlen?
Der Mieter, wenn denn der Gutachter sagt, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Umzug behandelbar sind.

Gibt es genügend Sachverständige für solche Mietrechtsfälle?
Theoretisch schon. Es stellt sich die Frage, ob es genügend kompetente Gutachter gibt und wie schnell sie arbeiten. Wenn der erste Sachverständige ein unzureichendes Gutachten schreibt, muss ein zweiter Experte ran. Das kostet zusätzlich Geld und Zeit. Weil Mieter immer älter und kränker werden, kommt auf die Gerichte eine Welle aufwendiger Verfahren zu.

Wenn Verfahren grundsätzlich länger laufen, kann sich der Gesundheitszustand der Mieter bis zu einem Urteil verschlechtern.
Gerade bei dementen Mietern ist das wahrscheinlich. Vor Gericht ist jedoch der Gesundheitszustand bei Kündigung des Mietvertrags wegen Eigenbedarf entscheidend. Wenn es entsprechend lange dauert, bis ein Sachverständiger ein Gutachten abgibt, kann er unter Umständen nicht mehr sagen, wie krank der Mieter zum Zeitpunkt der Kündigung war. Er könnte nur beurteilen, ob ein Umzug aktuell unzumutbar wäre.

In einem der beiden Fälle ging es um einen Mieter, der alkoholabhängig, dement und psychisch krank war, dennoch verlangt der BGH ein Gutachten.
In diesem Fall ist das Gericht über das Ziel hinausgeschossen. Was soll ein Mieter an ärztlichen Attesten noch vorbringen, um als Härtefall anerkannt zu werden? Der BGH hat hier die Mieterrechte zu stark beschnitten.

Der BGH geht nicht auf die psychologischen Folgen eines Umzugs für ältere Mieter ein.
Das ist in der Tat erstaunlich. Gerade für diese Personengruppe ist es schwer, sich in einer neuen Umgebung und ohne die vertrauten Bezugspersonen zurecht zu finden. Allein mit medizinischen Gutachten, bei denen darum geht, ob Erkrankungen ein Härtefall sind, lässt sich das nicht feststellen.

Gibt es in den BGH-Urteilen auch positive Aspekte?
Durchaus. So dürfen die Gerichte nicht nach pauschalen Mustern urteilen, oder ärztliche Atteste der Mieter vorschnell abschmettern. Die Richter müssen stärker auf den Einzelfall eingehen. Das können sie meist nur mithilfe von Sachverständigen, weil sie selbst keine medizinischen Fachkenntnisse haben. Für einige Mieter kann dies Vorteile bringen.

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