Immobilienmarkt Es wird auf Jahre zu wenig gebaut

In Deutschlands Ballungszentren herrscht Wohnungsnot. Über Jahre wurde zu wenig gebaut. Vom Bau der erforderlichen 400.000 Wohnungen im Jahr ist das Land weit entfernt. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern.

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Viele Familien mit Kindern weichen auf Einfamilienhäuser am Stadtrand aus, weil die Wohnungen in den Innenstädten zu teuer werden. Quelle: dpa

Düsseldorf Der Wohnungsbau in Deutschland liegt nach wie vor weit unter dem Ziel von 400.000 Neubauwohnungen pro Jahr. „Wir gehen für 2016 insgesamt von etwa 300.000 Wohnungsfertigstellungen aus – davon 260.000 Einheiten in neu errichteten Wohngebäuden“, sagte Ludwig Dorffmeister, der Wohnungsbaufachmann des Münchner ifo-Instituts, der Deutschen Presse-Agentur.

Für 2017 rechnen die Wissenschaftler mit rund 325.000 Fertigstellungen, für 2018 mit etwa 335.000 Einheiten. Damit hinkt auch nach Ansicht von Reiner Braun, Vorstand des auf Wohnimmobilien spezialisierten Marktforschungsinstituts Empirica, der Wohnungsneubau weit hinter dem Bedarf her: „Wir brauchen zehn Jahre lang jedes Jahr 350.000 neue Wohnungen.“

Was auch daran liegt, dass über Jahre zu wenig gebaut wurde, weil Statistiker eine sinkende Bevölkerung vorhersagten. Doch es kam anders. Die Bevölkerung wuchs, nicht nur wegen der aufgenommenen Flüchtlinge sondern aufgrund von Zuzüglern aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die mit dazu beitrugen, dass die deutsche Wirtschaft bei zunehmenden Beschäftigungs- und abnehmenden Arbeitslosenzahlen wächst. „Wir haben eine Million Wohnungen zu wenig“, konstatiert Rolf Buch, Chef des mit rund 350.000 Wohnungen größten Wohnungsvermieters in Deutschland, gegenüber dem Handelsblatt.

Von Gegenrechnungen, wonach auf dem Land Tausende Wohnungen leer stehen, hält Manager Buch nichts. Der Trend zur Urbanisierung sei nicht zu stoppen, ist er überzeugt. Dass Wohnungssuchende sich nicht ohne weiteres auf Orte mit Leerstand umleiten lassen, hat sich aus Sicht von Marktforscher Braun in der Praxis bereits bei der Wohnsitzauflage für Flüchtlinge gezeigt. Die wurde im August 2016 beschlossen, wird aber beispielsweise vom bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen erste seit Anfang Dezember umgesetzt. Das Gesetz verpflichtet Geflüchtete für maximal drei Jahre in der Kommune zu wohnen, der sie zugewiesen wurden.

Tatsächlich ziehen Menschen dorthin, wo es Arbeit gibt. Daraus erklärt sich auch die Flucht aus vielen Landkreisen in Ostdeutschland. Die Menschen im Osten übersiedeln allerdings heute anders als früher nicht mehr automatisch in den Westen, sondern in Regionalzentren in ihrer Nähe. So etwa nach Dresden oder Leipzig, so dass dort allmählich die Wohnungen knapp oder zumindest aufgrund der hohen Nachfrage deutlich teurer werden.


Metropolen werden von Zuzüglern überrollt

Die sieben Metropolen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart sowie Regionalzentren mit attraktiven Universitäten wie etwas Freiburg, Münster und Regensburg sind dem Ansturm von Neubürgern schon lange nicht mehr gewachsen. In ihren Innenstädten ist ohnehin kein Platz mehr. Es können nur noch Lücken gefüllt werden, die der Abriss von Altbestand frei macht. Im Wettbewerb um Innenstadt-Wohnungen konkurrieren Selbstnutzer mit Kapitalanlegern.

Ein Wettbewerb, dem Selbstnutzer auswichen, in dem sie in Einfamilienhäuser am Stadtrand ziehen, beobachtet Experte Braun. Dies gilt umso mehr für Familien mit Kindern. „Die Familien unter den Selbstnutzern wollen überwiegend in ein Eigenheim“, sagte er dem Handelsblatt.

Und wenn der Stadtrand auch schon nicht mehr bezahlbar ist, ziehen die Menschen in Umlandgemeinden um – und treiben dort die Preise. Auffälligstes Beispiel ist Unterschleißheim vor den Toren Münchens. Dort kostet nach einer Erhebung von F+B Forschung und Beratung eine Eigentumswohnung Ende September 2016 im Schnitt 4150 Euro pro Quadratmeter, nachdem die Preise binnen zwölf Monaten um acht Prozent gestiegen waren.

Im Schnitt bedeutet, dass sowohl Alt- wie Neubau unabhängig von der Größe und Lage im Ort in die Preiserhebung einfließen. Nicht anders sieht es rund um Stuttgart aus, wo die Preise für Wohnungen in Gemeinden wie Fellbach, Ostfildern und Esslingen wie in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs binnen zwölf Monaten um sieben bis acht Prozent teurer wurden. Bad Homburg am Fuß des Taunus ist noch interessanter für in Frankfurt gut Verdienende geworden. Deren Nachfrage ließ die durchschnittlichen Wohnungspreise um fast sieben Prozent auf annähernd 3100 Euro pro Quadratmeter klettern.

Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD), Marktforscher und Lobbyisten können so oft wie sie wollen die Forderung nach 350.000 bis 400.000 Wohnungen jährlich wiederholen. Es fehlen die Kapazitäten, um sie zu bauen. Bau-Spitzenverbände in Deutschland waren in ihrer im vergangenen Frühjahr veröffentlichten Prognose von insgesamt etwa 290.000 neuen Wohnungen im Jahr 2016 ausgegangen.

Die offiziellen Fertigstellungszahlen für 2016 werden von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder zusammengetragen und dürften noch einige Monate auf sich warten lassen. Doch Experte Dorffmeister hält das Ziel von jährlich 400.000 Wohnungsfertigstellungen über einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren für „absolut unrealistisch“. „Es kann sogar gut sein, dass wir in den kommenden Jahren nicht einmal die 350.000er-Marke erreichen werden.“ Die zurückliegenden sieben Jahre des Aufschwungs hätten gezeigt, wie schwierig sich eine rasche Ausweitung der Fertigstellungszahlen gestalte.


Spekulanten treiben die Grundstückspreise

ifo-Experte Dorffmeister kennt mehrere Gründe für den schleppenden Neubau: zu wenig geeignete Grundstücke, Bürokratie und die Auslastung der Handwerker: „Der Mangel an Bauflächen, die diversen, zumeist kostentreibenden Vorschriften – auch in Bezug auf die eigentlich gewünschte Nachverdichtung – aber ebenso die Kapazitätsengpässe im Ausbaugewerbe haben eine enorm bremsende Wirkung auf die Wohnungsbautätigkeit“, sagte der Wissenschaftler.

Dennoch hat der Wohnungsbau in den vergangenen Jahren stark zugenommen – unter anderem wegen der Flüchtlingskrise. Die zwischenzeitliche Eskalation der Flüchtlingszuwanderung im Jahr 2015 habe aufseiten des Staates zu einem Umdenken geführt, sagte Dorffmeister. „So wurden die Anstrengungen, zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, seit damals wesentlich erhöht. Der jüngst erfolgte, extreme Anstieg der Baugenehmigungen im Mehrfamilienhausbau geht maßgeblich auf die öffentlichen Aktivitäten zurück.“

Ökonom Dorffmeister rechnet aber damit, dass viele eilends genehmigte Projekt nicht gebaut werden: „Allerdings ist davon auszugehen, dass etliche Wohnungsbauvorhaben, die bis zum Frühjahr 2016 genehmigt worden sind, wohl nie umgesetzt werden.“ Nach dem Abebben des Zuwanderungsstroms – als die Länder und Kommunen den Krisenmodus wieder verlassen konnten – seien zahlreiche Projekte neu bewertet worden. „Etliche davon werden inzwischen nicht mehr weiter verfolgt beziehungsweise nun in anderer Form realisiert.“

Oder es wird mit baureifen Grundstücken spekuliert. Berlin ist offensichtlich eine Hochburg der Grundstücksspekulanten: Der Immobilienmarktbericht des Berliner Gutachterausschusses stellte 2016 fest, dass die Preise für Grundstücke, die eine mehrstöckige Wohnbebauung innerhalb des S-Bahn-Rings ermöglichen in diesem gegenüber dem vergangenen Jahr um 50 Prozent hochgeschossen sind.

Solche Auswüchse gehen auch den Immobilienverbänden gegen den Strich: „Wir beobachten, dass Grundstücke gehortet werden. Das trägt mit zu den Bauverzögerungen bei“, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW, kürzlich dem Handelsblatt. Andreas Ibel, Präsident des BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, sekundierte: „Zu den maßgeblichen Treibern der Wohnungspreise gehören die Grundstücksverkäufer.“

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