Manchmal kommt es halt anders als gedacht. Drei Jahre zuvor hatte ein Ehepaar in Erwartung von Nachwuchs ein Haus gekauft und mit einem Immobilienkredit finanziert. Aber nur wenige Jahre später platzte der Traum vom trauten Familienleben. Das Paar lebt getrennt, das Haus ist für einen allein finanziell nicht mehr tragbar. Die Immobilie soll verkauft und Hypothek mit dem Verkaufserlös abgelöst und gekündigt werden.
Meist sind es Notlagen, die zur vorzeitigen Kündigung eines lang laufenden Immobilienkredits führen: Arbeitslosigkeit, Scheidung oder ein Todesfall können schnell zu finanziellen Engpässen führen, die eine weitere Bedienung der Kreditraten unmöglich machen. Bevor eine Privatinsolvenz droht, bleibt somit oft nur die Kündigung des Immobilienkredits und der Verkauf der Immobilie.
Was zunächst sinnvoll klingt, kann allerdings mit hohen Kosten verbunden sein. Nicht nur, dass ein paar Jahre in der Regel kaum reichen, um einen deutlich höheren Kaufpreis zu erzielen, als seinerzeit bezahlt wurde. Auch die Nebenkosten für den Verkauf, etwa für Makler, Anzeigen, Notar und Gebühren schmälern die mögliche Rendite. Vor allem aber die vorzeitige Kündigung des Immobilienkredits kann leicht mit einem fünfstelligen Betrag zu Buche schlagen. Denn wenn die finanzierende Bank auf die Zinszahlungen der nächsten Jahre verzichten muss, hat sie Anspruch auf Schadenersatz – die sogenannte Vorfälligkeitsentschädigung. Und wegen der aktuell niedrigen Zinsen fällt sie derzeit oft besonders üppig aus.
Viele Hausbesitzer betroffen
Genaue Zahlen, wie viele Baufinanzierungen vorzeitig gekündigt werden und wie viele Eigenheimbesitzer deshalb von einer Vorfälligkeitsentschädigung betroffen sind, gibt es leider nicht. Fest steht, dass es wegen der Höhe derselben oft zum Streit mit der Bank kommt. Hartmut Schwarz, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Bremen, bekommt jedenfalls jeden Tag neue Fälle auf den Tisch. „Wir sehen nur die Spitze des Eisbergs, nämlich die Beschwerden von Kreditnehmern, die uns um Hilfe bitten. Allein in Hamburg und Bremen sind das zwei- bis dreitausend Fälle im Jahr.“ Er vermutet, dass ähnlich viele Eigenheimbesitzer ihre Finanzierungsverträge vorzeitig kündigen, wie Kunden von Renten- und Lebensversicherungen. Diese lang laufenden Verträge, so lauten Schätzungen, werden nur ungefähr zu einem Drittel bis zum Ende durchgehalten.
Die Sonderkündigung eines Immobiliendarlehens ist generell nur zulässig, wenn die Immobilie verkauft wird oder wenn die Bank einen weiteren Kredit verweigert und die Immobilie für einen neuen Kredit von einer anderen Bank als Sicherheit benötigt wird. Dann kann der Kunde mit einer Frist von sechs Monaten seinen Immobilienkredit kündigen. Regulär, also gesetzlich verankert, können Hauskäufer ihren Immobilienkredit zum Ende der Zinsbindungsfrist kündigen, spätestens aber nach zehn Jahren. Wer also eine Zinsbindung von fünf Jahren hat, kann nach fünf Jahren den Kredit ablösen. Wer eine Zinsbindung von 15 oder 20 Jahren vertraglich vereinbart hat, kommt schon nach zehn Jahren aus dem Vertrag raus.
Banken fordern gern zu viel
Im derzeitigen Zinsumfeld fällt die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung allerdings regelmäßig besonders hoch aus. „Ich schätze, dass sich die Größenordnung momentan im Bereich von 17 bis 20 Prozent der verbliebenen Restschuldsumme der Hypotheken bewegt“, sagt Verbraucherschützer Schwarz. Wer eine Hypothek kündigt und beispielsweise noch 100.000 Euro abzahlen müsste, kann also mit einer Vorfälligkeitsentschädigung von bis zu 20.000 Euro rechnen.
Die gefallene Umlaufrendite ist schuld
Der Grund für die derzeit hohen Schadenersatzzahlungen an die kreditgebende Bank liegt in der Berechnungsmethode für die Vorfälligkeitsentschädigung. Sie ergibt sich aus der Restschuld, der Restlaufzeit des Vertrages, sowie der Differenz zwischen dem Anlagezins der Bank und dem vereinbarten Vertragszins. Als Anlagezins gilt die Umlaufrendite für Hypothekenpfandbriefe, die die Bundesbank täglich berechnet und auf ihrer Internetseite ausweist. Da die Bank bei Rückzahlung der Restschuld das Geld am Kapitalmarkt für die fehlenden Vertragsjahre mit diesen Renditen anlegen könnte, muss sie diesen Anlagezins vom vereinbarten Vertragszins abziehen.
Das Problem: Bei den gekündigten Immobilienkrediten liegt der Vertragszins oft noch bei vier oder fünf Prozent, die Umlaufrendite ist jedoch derzeit noch besonders niedrig. Bei einer Restlaufzeit von drei bis vier Jahren liegt die Umlaufrendite momentan im Bereich von 1,0 Prozent. Läuft der Vertrag noch sechs bis sieben Jahre, unterstellt die Bank einen Anlagezins von rund 1,6 Prozent. Eine Vorfälligkeitsentschädigung geht somit schnell von einem entgangenen Zinsgewinn in Höhe von drei bis vier Prozent auf die Restschuld aus – für jedes Jahr bis zum Ende der regulären Vertragslaufzeit. Wer die gegebenenfalls fällige Vorfälligkeitsentschädigung im Vorfeld einer Vertragskündigung schon mal grob überschlagen möchten, findet dazu im Internet diverse Rechner, beispielsweise auf den Seiten der FMH-Finanzberatung oder bei Stiftung Warentest.
Streit um die Vorfälligkeitsentschädigung entsteht vor allem, weil viele Banken die Summe zu großzügig ansetzen. Oft bleibt unberücksichtigt, dass die Kreditnehmer das Recht haben, während der Vertragslaufzeit Sondertilgungen zu leisten und den Tilgungssatz heraufzusetzen. Die Banken müssen bei ihrer Berechnung unterstellen, dass der Kunde bis zum Ende der Zinsbindungsfrist beziehungsweise Vertragslaufzeit das Maximum an Sondertilgungen leistet und den Tilgungssatz im Rahmen der Vertragsbedingungen so hoch wie möglich ist. Dadurch sinkt die zugrunde gelegte Restschuld – und damit die entgangenen Zinsgewinne des Kreditinstituts. „Das Vorgehen der Banken hat Methode. Betroffene Kunden sollten sich unbedingt dagegen wehren“, sagt Schwarz. „Die Banken müssen den für den Kreditnehmer günstigsten Fall annehmen.“
Einer von Schwarz Kunden hatte zum Beispiel eine Baufinanzierung der Bausparkasse Wüstenrot, die nach acht Jahren regulärer Rückzahlung jederzeit voll getilgt werden durfte. Somit hätte eine Vorfälligkeitsentschädigung nur bis zum Ablauf dieser acht Jahre berechnet werden dürfen. In ihrer Kalkulation der fälligen Entschädigung unterstellte die Wüstenrot jedoch zehn Jahre. Auch nach dem Einwand der Verbraucherschützer korrigierte die Wüstenrot ihre Berechnung noch nicht.
So kommt es, dass die von Banken verlangten Vorfälligkeitsentschädigungen regelmäßig um viele tausend Euro zu hoch ausfallen. Wer befürchtet, die verlangte Summe könnte zu hoch angesetzt sein, kann sich die korrekte Höhe von einer Verbraucherzentrale anhand der Vertragsunterlagen ausrechnen lassen. Dafür verlangt etwa die Verbraucherzentrale Bremen lediglich eine Gebühr von 70 Euro. „Schickt der Kreditkunde unsere Berechnung an die Bank, genügt das meist, um die Bank zu einer korrekten Neuberechnung zu bewegen“, weiß Schwarz aus Erfahrung. Hilft das nicht, sollten Kreditnehmer einen Anwalt einschalten.
Alternative Konditionen nutzen
Die Banken, deren Kunden Hypothekendarlehen vorzeitig kündigen, haben eigentlich sämtliche Vorteile auf ihrer Seite. Sie erhalten ihren Mindestgewinn, den sie bis zum Ende der Vertragslaufzeit eingefahren hätten, schon Jahre früher auf einen Schlag. Gleichzeitig sind sie das Risiko los, dass der Kredit nicht mehr bedient wird, was ihre nötige Risikovorsorge schmälert.
Dennoch versuchen offenbar einige Banken, das Maximum herauszuholen. So sind der Verbraucherzentrale in jüngster Zeit zum Beispiel Verträge der ING-Diba, einem beliebten und ansonsten verbraucherfreundlichen Immobilienfinanzierer, negativ aufgefallen. In neueren Verträgen sind Sonderrechte wie die Wahl eines höheren Tilgungssatzes während der Laufzeit oder Sondertilgungen an die Bedingung geknüpft, dass der Vertrag ungekündigt bleibt. Wer es dennoch tut, kann die Vorfälligkeitsentschädigung somit nicht mehr durch Unterstellung maximaler Sondertilgungen und des höchstmöglichen Tilgungssatzes mindern. Ähnliche Formulierungen fanden die Verbraucherschützer auch in den Verträgen einiger kleinerer Sparkassen und Genossenschaftsbanken, wonach das Sondertilgungsrecht bei vorzeitiger Kündigung erlischt.
Vorfälligkeitsentschädigung umgehen
Im Gegenzug gibt es vereinzelt auch Kreditverträge – meist im Rahmen von Sonderaktionen der Geldhäuser -, die jederzeit voll tilgungsfähig sind. In der Regel lassen sich Banken diesen besonderen Kundenservice jedoch mit einem Aufschlag auf den Vertragszins versüßen. Der Online-Vermittler von Baufinanzierungen baufi24.de geht davon aus, dass für diese Kreditvariante ein Zinsaufschlag von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten verlangt wird. Dadurch zahlt der Kreditnehmer aber auch tausende Euro mehr an Hypothekenzinsen, als es bei einem herkömmlichen Vertrag der Fall wäre. Bei einem Darlehen über 100.000 Euro mit einer Laufzeit von zehn Jahren fallen bei einer Erhöhung um 0,3 Prozent so knapp 3000 Euro zusätzlicher Zinszahlungen an. „Die Rechnung geht nur auf, wenn sich die Zinsen zum Zeitpunkt des Ausstiegs auf ähnlich niedrigem Niveau bewegen wie heute“, sagt Stephan Scharfenorth, Chef von baufi24.de. Die Extraportion Flexibilität ist vor allem dann sinnvoll, wenn der Kreditkunde damit rechnet, dass in einigen Jahren etwa ein berufsbedingter Wechsel des Wohnorts erforderlich ist, oder weil er in absehbarer Zeit mit einem größeren Geldbetrag rechnet, zum Beispiel durch eine Erbschaft, mit der er den Kredit ablösen kann.
Alternativ zum Zinsaufschlag für die Tilgungsoption bieten einige Kreditgeber eine Begrenzung der Vorfälligkeitsentschädigung auf einen bestimmten Prozentsatz. „Es fallen dann beispielsweise maximal 2,5 oder drei Prozent der Kreditsumme bei einem Ausstieg für den Kunden an – also deutlich weniger als die 20 Prozent, die Banken zurzeit üblicherweise verlangen“, sagt Scharfenorth. Ihm zufolge bieten andere Anbieter auch Härtefallregelungen für den Fall eines berufsbedingen Umzugs, längerer Krankheit oder Pflegebedürftigkeit an. In diesen Fällen dürfen die Kreditnehmer dann entschädigungsfrei aus dem Darlehensvertrag. Wer also jetzt oder in Zukunft eine Immobilie finanzieren will, sollte sich die verschiedenen Angebote genau ansehen und hart verhandeln. Zumindest variable Tilgungssätze sowie abschlagsfreie Sondertilgungen bis zu fünf Prozent der Kreditsumme gehören schon länger zum guten Ton kundenfreundlicher Banken. Darüber hinaus gibt es zudem immer noch Verhandlungsspielraum.
Früh kalkulieren und wenn möglich Zeit schinden
Die Vertragskonditionen bei den üblichen Annuitätendarlehen für eine Immobilie sind abgesehen davon weitgehend einheitlich. In den Details gibt es jedoch durchaus gravierende Unterschiede. „Leider ist die Vorfälligkeitsentschädigung nicht umfassend gesetzlich geregelt, es gibt lediglich wegweisende Gerichtsurteile dazu“, erläutert Schwarz. Bereits im Sommer forderte Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, die Parameter für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung sowie eine Obergrenze gesetzlich festzulegen. Bei Verbraucherkrediten gibt es zum Beispiel längst eine Begrenzung der Entschädigung auf ein Prozent der Restschuld, unabhängig von der Restlaufzeit. Überall in Europa sei das Thema gesetzlich besser geregelt als in Deutschland, monieren Verbraucherschützer. "Wir müssen verhindern, dass sich Banken an der Not von Kunden bereichern", so Billen. Für den Verbraucher ist es wichtig, dass er sich schon bei Vertragsabschluss der Risiken und möglichen Kosten eines vorzeitigen Vertragsendes bewusst ist und die Vertragskonditionen daraufhin prüft.
Verbraucherschützer Schwarz empfiehlt daher allen Kreditkunden, die eine vorzeitige Kündigung des Kreditvertrages erwägen, sich möglichst früh nach der Höhe der zu zahlenden Vorfälligkeitsentschädigung bei der Bank zu erkundigen oder diese zumindest mit geeigneten Online-Rechnern zu kalkulieren. „Den zu zahlenden Betrag sollten Hauseigentümer dann beim von Ihnen verlangten Kaufpreis der Immobilie entsprechend berücksichtigen“, so Schwarz. Auf jeden Fall sollte sich der Kreditnehmer kurz vor Vereinbarung des Kaufpreises die geforderte Summe nochmals bestätigen lassen. So ließen sich böse Überraschungen nach dem Verkauf einer Immobilie vermeiden. Wer noch etwas Zeit mit der Kündigung seines Hypothekendarlehens hat, kann die Zinsentwicklung im Auge behalten und auf ein besseres Zinsumfeld warten.
Derzeit ziehen die Bauzinsen - und damit auch die relevanten Umlaufrenditen langsam wieder an. Wer also noch etwas mit der Vertragskündigung warten kann, zahlt tendenziell eine geringere Entschädigung an die Bank. Je näher sich die Bauzinsen wieder an den einst vereinbarten Vertragszins annähern, umso geringer die Vorfälligkeitsentschädigung. Letztlich zählt aber die erwähnte Umlaufrendite auf Hypothekenpfandbriefe am Tag des Geldeingangs bei der Bank. Daher ist es auch wichtig, kurz vor dem Verkauf der Immobilie nochmals eine aktuelle Berechnung der Entschädigungshöhe bei der Bank anzufordern. Denn so wie in den vergangenen Wochen können sich diese Zinssätze schnell um einige Zehntelprozentpunkte verschieben. Je größer die Restlaufzeit des Vertrages, umso eher lohnt sich das warten.
Steigen die Umlaufrenditen künftig sogar über den Zins aus dem Finanzierungsvertrag, würde die Bank mit der Ablösesumme des Vertrages zu aktuellen Konditionen mehr Geld verdienen, als bei Fortbestehen des Immobilienkredits. Nach den derzeitigen Vertragsgepflogenheiten kommt der Kunde dann zwar ohne Entschädigungszahlung aus dem Vertrag, aber eigentlich müsste ihm eine Ausgleichszahlung der Bank zustehen. Davon würden insbesondere Hausfinanzierer profitieren, die in der jüngeren Vergangenheit im absoluten Zinstief finanzierten und ihre Verträge in der Zukunft bei gestiegenen Zinsen kündigen. Da die meisten Hauskäufer ihren Immobilienkredit aus einer Notlage heraus ablösen, könnten sie das Geld dann sicher gut gebrauchen. Leider ist solch eine gesetzliche Regelung aber nicht absehbar – und die Banken haben verständlicherweise auch kein Interesse daran.