Metropolen Immobilienpreise schießen nach oben

Kapitalanleger, die Inflation fürchten, reißen sich um Wohnungen. Familien und Paare wollen endlich in die eigenen vier Wände. In den begehrten Vierteln der Metropolen tobt ein bizarrer Kampf um die letzten guten Objekte.

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Treppe Quelle: AP

Tut der Typ im hellen Blazer nur so, als ginge ihn das alles nichts an? Ist er jetzt tatsächlich eingenickt? Was tippt der Graumelierte dauernd in seinen Taschenrechner? Und warum fächelt sich die Dicke in der letzten Reihe ständig mit dem Exposé Luft zu? Die Fenster stehen doch offen, und es zieht übel an diesem verregneten Julimorgen, hier, im kalten Saal 18 des Amtsgerichts zu Köln.

Oliver Haas kennt sie alle: die Nervösen, die Nägel kauen, mit dem Finger schnippen, wie Klassenstreber. Die Abgezockten, die regungslos dasitzen, bis zum dritten Aufruf des Auktionators warten und in letzter Sekunde das Höchstgebot abgeben. Und die Hinterlistigen, die andere Interessenten schon mal in den falschen Saal schicken. Mehr als 6000 Zwangsversteigerungen hat der Kölner mitgemacht, 300 pro Jahr, "die meisten unspektakulär, aber in letzter Zeit auch rasante Bietergefechte". Haas sucht „schwer vermittelbare Objekte“, mit Wasserschäden, säumigen Mietern oder Grundbuchlasten. Wenn er glaubt, ein Haus könnte nach "dem Beseitigen der Flöhe etwas einbringen", kauft er.

Häuser ohne schwere Macken gibt es ohnehin kaum noch. Nicht in den Großstädten. Dort gehen gute Objekte bei Versteigerungen jetzt mitunter für den doppelten Schätzwert weg. Das liege an den vielen neuen Bietern, sagt Haas. „Früher waren Zwangsversteigerungen reines Insider-Business, heute drängeln sich dort schon mal 100 Amateure – wenn der Termin überhaupt zustande kommt.“ Immer öfter reist der Versteigerungsprofi umsonst an: Reiche Anleger rissen sich die Objekte schon vorher unter den Nagel, vermutet er, „die rennen zur Gläubiger-Bank, die das Verfahren betreibt, und legen dort das Geld auf den Tisch“.

Schnäppchenjäger haben es mittlerweile schwer auf dem deutschen Immobilienmarkt – nicht nur auf Zwangsversteigerungen. Makler berichten von sprunghaft gestiegener Nachfrage bei zugleich ausdünnendem Angebot. Immobilienfinanzierer machen Überstunden; Notare haben Terminprobleme; Bausparkassen werden von Immobilien-Suchenden überrannt. In Metropolen wie Hamburg und München hat ein Run auf die letzten Immobilien in guten Lagen eingesetzt: Kapitalanleger gegen Selbstnutzer, Jung gegen Alt, Einheimische gegen auswärtige Investoren, Betongold-Fans gegen Stuck-Liebhaber – jeder gegen jeden. Er könne sich „auch in Deutschland eine Immobilienblase vorstellen“, sagt der Kölner Vermögensverwalter Bert Flossbach, „vielleicht sind wir schon drin“.

In manchen Großstädten verzeichnet der Hypotheken-Vermittler Interhyp bis zu zehn Kreditanfragen verschiedener Interessenten für ein und dasselbe Objekt. Interhyp vermittelte im ersten Quartal 37 Prozent mehr Kredit als im Vorjahr, Wettbewerber Hypoport verschaffte im zweiten Quartal privaten Käufern 53 Prozent mehr Kredite. Ständig und überall suchen Interessenten nach geeigneten Objekten.

Zwei Vermessungsingenieure eines Straßenbauunternehmens aus dem Münchner Süden malten sich kürzlich ein großes Schild: „Kein Wohnungsbau!“ Sie waren es leid, ständig von Spaziergängern angesprochen zu werden: „Wird hier gebaut? Kann man da noch investieren?“ Laut Marktforscher Savills ist besonders die Nachfrage der kapitalkräftigen Großanleger hoch: Sie kauften im ersten Halbjahr 2011 rund 53 Prozent mehr Wohnimmobilien als im gleichen Vorjahreszeitraum. Und das Angebot wird knapp, vor allem in den Ballungsräumen.

„Bundesweite Trendwende“

In Hamburg (links) und München (rechts) stiegen die Kaufpreise für Wohnungen zuletzt viel stärker als die Mieten

Folge: Die Preise klettern. Daten von Immoscout24 zeigen teils drastische Preissprünge in den Großstädten. In (ohnehin längst teuren) Vierteln wie Hamburg-Uhlenhorst oder der Münchner Isarvorstadt stiegen die Preise in den letzten zwölf Monaten um bis zu 38 Prozent; noch stärker zogen sie in manchen 1b-Lagen an: in der Düsseldorfer Friedrichstadt etwa um 43 Prozent. Immoscout wertet pro Jahr die Daten von etwa 1,8 Millionen Wohnungen und Häusern aus. Waren früher die Preisvorstellungen der Verkäufer meist höher als der Betrag, für den die Wohnungen tatsächlich den Besitzer wechselten, ist es heute oft umgekehrt, sagt Michael Kiefer, Research-Leiter von Immoscout24. „Objekte in begehrten Vierteln gehen oft teurer weg, als sie im Netz standen.“

Es stünden weitere, „teils drastische Preissteigerungen bevor“, warnt Hartwig Hamm, Verbandsdirektor der LBS. Nach mehr als zehn Jahren Flaute sei „die bundesweite Trendwende da. Die Nachfrage nach Wohneigentum steigt rasant.“ Dabei galt der deutsche Wohnungsmarkt jahrelang als langweilig. Während die Nachbarn in Europa, von London bis Spanien, Immobilienblasen aufpumpten, kauften die Deutschen lieber Lebensversicherungen und Riester-Renten. Doch „seit etwa einem Jahr“, schätzt der Vermögensmanager Heiko Löschen, „hat sich etwas ganz Grundlegendes verändert“.

Nach Gründen für den Immo-Boom braucht man nicht lange zu fahnden. „Albtraum Inflation – Immobilien bieten Schutz“, wirbt ein Makler in Hilden für eine dunkle Dreizimmerwohnung in einem Wohnblock aus den Siebzigern. Ein anderer hat statt eines Fotos vom Haus einen Zwei-Billionen-Mark Schein von 1923 ins Netz gestellt. Die Botschaft wirkt: „Die Leute haben Angst ums Geld, flüchten ins vermeintlich sichere Betongold“, sagt Flossbach. Laut neuesten Umfragen schwindet bei 71 Prozent der Deutschen das Vertrauen in den Euro; Angst vor Inflation haben 61 Prozent. Dass der beste Schutz dagegen eine Immobilie sei, glauben 51 Prozent; Gold halten noch 40 Prozent für den besten Inflationsschutz.

„Bei überteuerten Immobilien wird gerne mal mit dem Sachwert-Argument das rechnerische Kalkül beiseite gewischt“, sagt Löschen, „nach dem Motto: Es bleibt ja immer noch ein schönes Haus, ein Grundstück in guter Lage.“ Rechnen kann sich das – angesichts von Kaufpreisen, die in vielen Städten schneller klettern als die Kaltmieten – oft nicht mehr. Wer in Hamburg 5000 Euro für den Quadratmeter hinlegt, aber in einer vergleichbaren Mietwohnung nur zwölf Euro Kaltmiete bezahlt (oder als Kapitalanleger erzielt), für den lohnt sich ein Kauf nicht.

Auch wer auf höhere Inflationsraten spekuliert, muss aufpassen. „Beispiele aus früheren Hoch-Inflationsländern wie Brasilien, Argentinien oder der Türkei zeigen: Die Immobilienpreise steigen sehr viel früher und nachhaltiger als die allgemeine Teuerung, die Mieten halten nicht Schritt, weil sie in der Regel staatlicher Einflussnahme unterliegen“, sagt Flossbach. „Wer wegen drohender Inflation ausschließlich auf Immobilien setzt, schraubt sich ein Klumpenrisiko ans Bein.“ Egal: „Wohlhabende Kapitalanleger zahlen für Häuser in guten Lagen derzeit fast jeden Preis“, weiß Emanuel Bertling, Immobilienexperte einer Hamburger Privatbank. Familien oder Paare aber, die eine Wohnung zum Selbstnutzen suchen, fahnden monatelang nach einem Objekt – und gehen weit über ihre finanzielle Schmerzgrenze.

Eine Reise an die Brennpunkte des neuen deutschen Immobilien-Booms ist eine Reise durch Teuerland. 

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