Wer in einer deutschen Großstadt eine Mietwohnung sucht, ist nicht zu beneiden. Lange Schlangen bei der Besichtigung, hohe Abschlagsforderungen und vor allem stetig steigende Mieten machen es inzwischen selbst für Normalverdiener schwer, eine bezahlbare Bleibe zu finden. Laut dem internationalen Immobilienberatungshaus JLL sind die Wohnungsmieten deutschlandweit im Mittel zwischen Juni 2016 und Juni 2017 um sieben Prozent gestiegen.
Das aber ist nur ein Teil der Wahrheit. In den Großstädten nämlich fiel der Anstieg wesentlich höher aus. Berlin zum Beispiel meldet ein Plus von 13 Prozent, seit 2007 summiert sich der Mietanstieg auf sagenhafte 76 Prozent. In München stiegen die Mieten im selben Zeitraum um 65 Prozent – wobei das Mietniveau in der bayerischen Landeshauptstadt schon vor zehn Jahren deutlich höher lag als in der deutschen Kapitale.
Das alarmiert Politiker und Soziologen. Denn mehr als ein gutes Drittel des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens sollte die Miete oder der Immobilienkredit nicht verschlingen, weil sonst „relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung zur Verfügung bleibt“, wie es die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in einer neuen Studie beschreibt. Unter dem verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen versteht man üblicherweise die Gesamteinkünfte eines Haushalts – inklusive Transferleistungen – abzüglich Steuern und Sozialversicherungsabgaben.
Umso alarmierender wirkt das Bild, das die von der Stiftung beauftragten Wissenschaftler der Humboldt-Universität Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt skizzieren: Rund 40 Prozent aller deutschen Haushalte wenden mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete auf, fast ein Fünftel sogar mehr als 40 Prozent. „Vor allem kleine Haushalte haben eine höhere Mietbelastung zu tragen“, heißt es in der Studie.
Häufig seien die Mietprobleme ein Spiegelbild der Einkommensverhältnisse: Wer wenig verdient, dessen Mietbelastung liegt entsprechend höher. Das allein wollen die Wissenschaftler aber nicht gelten lassen. Die hohen Mieten selbst können arm machen, warnen sie. Etwa 1,3 Millionen Haushalte, also rund zehn Prozent aller Großstadthaushalte, hätten nach der Mietzahlung ein Resteinkommen unterhalb der Grundsicherungssätze.
Mit einer Lösung des Wohnproblems tun sich Politiker schwer. Die Mietpreisbremse gilt als gescheitert. Und auch der Versuch, mehr Mieter zu Wohneigentümern zu machen – etwa mit staatlichen Finanzhilfen beim Kauf – scheinen bislang wenig erfolgreich. So scheint es, als nehme der Druck in den Großstädten immer weiter zu.
Jacopo Mingazzini, Geschäftsführer des Immobiliendienstleisters Accentro, ist einer jener, die überzeugt sind: Bleiben die Zinsen niedrig und der Zuzug in die Großstädte erhalten, steigen auch die Preise. „Natürlich gefallen die Preisanstiege nicht jedem“, sagt Mingazzini. Doch Fakt sei nun einmal: „Es passiert deutlich zu wenig, um allein den zusätzlichen Wohnungsbedarf durch den Zuzug in die Städte abzufedern.“
Statt allzu vieler Worte will er lieber Zahlen sprechen lassen, die er aus seinem jüngsten Wohneigentumsreport referiert: Die Zahl der Baugenehmigungen ist im ersten Halbjahr 2017 um sieben Prozent gesunken, die Genehmigungen für Nachverdichtungen sei um ein Viertel gefallen. Die Folge: „Wir sind weit davon entfernt, die Wohnungsnot zu lindern. Die Enge nimmt zu.“ Ausdruck findet dies in zwei Zahlen: Die Umsätze auf dem Eigentumsmarkt schossen im vergangenen Jahr um sieben Prozent auf den Rekordwert von rund 31 Milliarden Euro, während die Anzahl der Käufe in den 82 untersuchten Großstädten seit 2012 bei etwa 135.000 veräußerten Wohnimmobilien stagnieren.
Auch Wohnungseigentum wird immer unerschwinglicher
Was Mingazzini nicht sagt, andere aber seit Monaten kritisieren: Mit den steigenden Preisen sinkt die Erschwinglichkeit von Wohnraum in den Städten. Obwohl die Niedrigzinsen auch private Käufer in Scharen in den Immobilienmarkt treiben, stagniert die Quote für selbstgenutztes Wohneigentum in Deutschland nach wie vor bei 45 Prozent. In Europa schneiden nur die Schweizer schlechter ab.
Eine Ursache dafür dürfte auch in den hohen Preisen liegen. Im Durchschnitt zahlten Käufer in Berlin oder Köln 2016 rund ein Fünftel mehr für eine Eigentumswohnung als im Jahr zuvor. In Berlin berappten Käufer im Durchschnitt 266.712 Euro, in Köln 259.571 Euro, wie eine Auswertung der Gutachterausschüsse zeigt, die das Maklerhaus von Poll jüngst aufgearbeitet hat.
Tatsächlich gibt es vorsichtige Anzeichen einer Nachfragesättigung in den Großstädten – nicht, dass die Nachfrage fällt, sondern vielmehr, dass nicht mehr jeder Preis bezahlt wird. In Hamburg stiegen die Preise nur noch leicht. Beim Spitzenreiter München ist der durchschnittliche Verkaufspreis im vergangenen Jahr sogar gesunken, und zwar um ein Prozent auf 422.176 Euro.
Ein Zeichen, dass die Obergrenze nun erreicht ist oder gar eine Trendwende bevorsteht? Mitnichten, meint Mingazzini. „Die dynamischen Preissteigerungen der vergangen Jahre werden in den Top-Sieben-Städten sicher zurückgehen. Ich glaube aber nicht, dass wir an Obergrenzen stoßen.“
Ohnehin lässt sich beim Immobilienmarkt nur schwer über Durchschnitte sprechen, zu verschieden sind die einzelnen Standorte. Gerade die Städte im Osten Deutschlands holen rasant auf. Mit Erfurt, Köln und Rostock dominierten drei ostdeutsche Städte die Verkaufsentwicklungen im Zehn-Jahres-Rückblick, heißt es im Report. Seit 2006 hat sich die Zahl der jährlich verkauften Wohnungen in Leipzig auf zuletzt 4.900 nahezu verdoppelt.
Während die Politik noch nach Lösungen für die zunehmende Anspannung auf den Wohnimmobilienmärkten in den Großstädten sucht, schimpft Mingazzini über eine zu niedrige Zahl von Baugenehmigungen. In Berlin wiederum, dem wichtigsten Markt für Neubauwohnungen, speziell aber in Friedrichshain-Kreuzberg, herrsche ein regelrecht „investorenfeindliches“ Klima, wo sich Bauträger durch immer neue Milieuschutzmaßnahmen „gegängelt“ fühlen. Die Folge: Der Wohnungsmangel könne nicht gelindert werden. Immer mehr Bauträger wandern ins Umland ab.
Dort finden auch Wohnungssuchende noch bezahlbareren Wohnraum. Das jedoch ist nur eine bedingte Entschärfung des Problems. Wer weiter in der Großstadt arbeitet, muss eben länger pendeln. Schließlich werden sich auch die Märkte im Umfeld anpassen.
Die mögliche Folge beschreibt Tobias Just, Immobilienökonom der Universität Regensburg im Handelsblatt-Interview: „In vielen Umlandgemeinden dürften die Preise stärker steigen als in den Großstädten selbst. Schon heute sehen wir, dass wieder mehr Menschen in den Speckgürtel abwandern, weil die Kernstädte zu teuer wurden.“