Wohnquartiere für Reiche boomen Wohnen im Luxus-Ghetto

Seite 4/4

Die Privatisierung der Stadt

Während über Zwerganlagen wie dem Marthashof oder den Prenzlauer Gärten hierzulande je nach Wetterlage die Wellen der Empörung zusammenschwappen, kräht in den USA längst kein Hahn mehr nach abgezäunten Enklaven. Manche von ihnen, etwa Sandy Springs im US-Bundesstaat Georgia, haben sich als komplett unabhängige Städte etabliert. 90 000 Menschen leben hier. Fast alle Verwaltungsaufgaben hat ein privates Unternehmen übernommen. Acht Mitarbeiter braucht es dafür. Die Stadt ist hocheffizient. Profitabel. Erfolgreich. Am Gemeinwohl interessiert ist ein Unternehmen aber nicht.

Mickey Shaer ist 52 und ein blitzgescheiter Kopf. Er hat noch nie anders als „gated“ gewohnt. Zumindest, seit er im Land der unbegrenzten Möglichkeiten lebt. Vor 20 Jahren kam er aus Gaza. Er weiß, was es heißt, Angst zu haben. Er kenne niemanden, der nicht in einer Gated Community wohne und noch nicht ausgeraubt worden sei, erzählt Shaer. Tor zu. Stadt draußen. Sicherheit drinnen.

Shaer lebt eine halbe Stunde außerhalb von Miamis Glitzerwelt in einer für amerikanische Verhältnisse possierlichen Anlage mit dem Namen Sunset Point. 65 Häuser in Pastellfarben. Gehobene Mittelschicht. Zwei bis drei Autos. Zwischen 180 und 400 Quadratmeter Wohnfläche pro Einheit. Jeweils ein Pool. Zwischen 350 000 und 600 000 Dollar kostet ein Haus.

Shaers Haus hat eine Wendeltreppe, einen Kronleuchter, der Versailles alle Ehre machen würde, Gemälde an der Wand, viele Schlafzimmer. Es ist eines der größten Häuser der Anlage. Das wird von den Nachbarn wahrgenommen. Auch innerhalb von homogenen Gesellschaften gibt es Hierarchien. Mickey stört, dass nicht jeder so leben kann wie er. Er liebt die Sauberkeit, die Sicherheit, die Überschaubarkeit, die Freundlichkeit. Jeder winkt jedem, das gehört sich so. Sicherheitspersonal fährt durch die Straßen. So viel blitzblankes Leben kostet neben den Immobilienpreisen 475 Dollar, die alle drei Monate fällig werden. Das ist sehr günstig im Vergleich zu anderen Communities. Dafür wacht die Verwaltung der Anlage darüber, dass alle Häuser in bestimmten Farben gestrichen, Dächer neu gedeckt, Blätter vor dem Haus geharkt sind, dass weder Auto noch Müll auf der Straße stehen und nur eine bestimmte Anzahl Palmen vor dem Haus wächst. Das Regelwerk von Sunset Point ist 400 Seiten stark. Strafen über 1000 Dollar sind üblich für denjenigen, der dagegen verstößt.

Herr Müller wird irgendwann im Sommer dieses Jahres seine knapp 400 Quadratmeter große Wohnung mit Dachterrassen-Blick über den Rhein beziehen. Die Altstadt sieht und hört er von dort oben nicht. Es gibt in dieser Wohnung alles vom Hauswirtschafts- und Angestelltenraum bis hin zur Bibliothek. Ein Aufzug fährt direkt in die Wohnung. Innenarchitekten, Landschaftsplaner, Lichtplaner, Elektroplaner, Medienberater, Raumgestalter und Haustechnikplaner haben dafür gesorgt, dass drinnen alles so perfekt ist wie die Lage draußen. Nicht mehr als drei Monate im Jahr plant Müller in seiner Residenz zu verbringen. Wenn er da ist, wird er so dicht an der Stadt sein, wie es dichter kaum geht.

Falls die Urbanität ihm aber doch mal zu sehr auf die Pelle rückt, macht er einfach das Tor zu.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%