"Darf ick mal vorbei", knarzt ein fülliger Rentner. Sein Gegenüber, ein Mittsechziger mit Bürstenhaarschnitt und grellbuntem Pulli, hält ein Klapphandy an sein Ohr. Er steht vor dem Eingang des „Lindengarten“, eines gutbürgerlichen Lokals im Berliner Arbeiterviertel Wedding. Grauhaarige Gäste lassen sich Holsteiner Schnitzel oder Königsberger Klopse schmecken. Peer Steinbrück soll hier Stammgast sein. Der Ex-Kanzlerkandidat der SPD, der 2013 mit der Mietpreisbremse Wahlkampf machte, hat sich ganz in der Nähe eine Wohnung gekauft. Steinbrück ist zwar als Kandidat gescheitert. Seine Idee, Wohnmieten zu deckeln, hat der Bundestag jedoch als Gesetz beschlossen. Künftig dürfen Mieten in neuen Verträgen maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete des kommunalen Mietspiegels liegen.
In Hamburg und Berlin gilt die Bremse frühestens ab April
Am 27. März könnte der Bundesrat dem Gesetz zustimmen, frühestens Mitte April würde es in Hamburg und Berlin greifen. In den meisten Ländern wird es länger dauern. Doch Vermieter stellen sich schon auf die neuen Spielregeln ein. Nach einer Umfrage der Vermieterlobby Haus und Grund haben knapp die Hälfte aller privaten Vermieter in den vergangenen zwei Jahren die Miete erhöht. Dafür macht Haus und Grund auch die Mietpreisbremse verantwortlich. „Der eine oder andere, der sonst sagte, ich warte auf den nächsten Mieter, erhöht nun doch“, sagt Hauptgeschäftsführer Kai Warnecke.
Die neuen Regelungen bei der Mietpreisbremse
Die Mietpreisbremse greift bei neuen Mietverträgen in Städten mit „angespanntem Wohnungsmarkt“. In welchen Städten, entscheiden die Bundesländer. Sie läuft bis zu fünf Jahre und soll im ersten Halbjahr 2015 in Kraft treten.
Mieten für neu gebaute und umfassend sanierte Wohnungen in Neubauten dürfen auch mehr als zehn Prozent über dem Mietspiegel-Niveau liegen.
Mieten dürfen maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen. Was ortsüblich ist, gibt der Mietspiegel vor. Die zehn Prozent gelten auch für Verträge, die schrittweise Mieterhöhungen vorgeben (Staffelmieten).
Das gilt auch für Wohnviertel mit geringverdienenden Mietern, die die Mietpreisbremse eigentlich schützen soll – wie den Steinbrück-Kiez Berlin-Wedding. „Seit etwa sechs Monaten reißen mir die Vermieter die Formulare für Mieterhöhungen aus den Händen“, sagt Thomas Werner, Vorsitzender von Haus und Grund in Wedding.
Noch ist der Wedding in weiten Teilen eine einfache Wohnlage mit hohem Immigranten-Anteil: türkische Geschäfte dicht an dicht, Wohnungen mit Ofenheizung. In der Badstraße, in der Thomas Werner sein Büro hat, steht auf einer Häuserwand der Slogan „Gewachsen auf Beton“. Darunter sind die Konterfeis von Profi-Kicker Kevin-Prince Boateng und seines Bruders George zu sehen, die im Wedding aufgewachsen sind. Straßenfußballer und Kiez, das passt.
Sozial schwache Mieter werden verdrängt
Doch jetzt ziehen vermehrt Mieter aus der Mittelschicht in den Wedding, weil ihnen der Prenzlauer Berg zu teuer geworden ist. Sozial schwache Mieter werden verdrängt (Gentrifizierung). „Die Linie zwischen altem Kiez und neuem Wedding verschiebt sich immer weiter nach Nordwesten“, sagt die Maklerin Marina Buchmann.
Dass die Mietpreisbremse die Gentrifizierung stoppen wird, daran glaubt Vermieter Werner nicht: „Das Gesetz schützt vor allem gut situierte Mieter, die in bereits sanierten Wohnungen sitzen und künftig mit geringeren Mietsteigerungen rechnen können.“ Sie kommt aber zu spät, um sozial schwachen Mietern zu helfen. Das neue Gesetz führt vielmehr dazu, dass Vermieter und Makler Lücken im Gesetz nutzen, um sich finanziell schadlos zu halten.
Was Mieter und Vermieter noch dürfen
- Aktuell gilt: Vermieter müssen eine Mieterhöhung drei Monate vorher ankündigen. Mieter können zustimmen oder ablehnen.
- Stimmt der Mieter innerhalb von zwei Monaten nicht zu, kann der Vermieter innerhalb von drei weiteren Monaten auf Zahlung der erhöhten Miete klagen.
- Mieter können innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Mieterhöhung außerordentlich kündigen. Die Kündigungsfrist beträgt dann zwei Monate. Kündigt der Mieter in dieser Frist, bleibt die Miete bis Vertragsende unverändert.
- Vermieter können die Miete nur alle 15 Monate anheben.
- Binnen drei Jahren darf die Mieterhöhung bei bestehenden Verträgen insgesamt nicht mehr als 20 Prozent betragen.
Bei bestehenden Mietverträgen darf der Vermieter schon heute die Miete nur bis zum ortsüblichen Niveau anheben, das sich aus dem Mietspiegel der Kommune ergibt. Zudem begrenzen die Bundesländer in bestimmten Städten mit „angespanntem Wohnungsmarkt“ die Mieterhöhung bei bestehenden Verträgen auf 15 Prozent in drei Jahren. Bei neuen Mietverträgen gelten 20 Prozent über dem ortsüblichem Niveau als Obergrenze. Tatsächlich liegen die Mieten in begehrten Lagen teilweise 30 bis 40 Prozent über den im Mietspiegel vorgegebenen Mieten, weil sich solche Verträge in der Praxis nur schwer anfechten lassen und Mieter Rechtsstreitigkeiten scheuen.
Bei neuen Mietverträgen darf die Miete nur noch auf maximal zehn Prozent über das ortsübliche Niveau gehoben werden. Dies gilt für die angespannten Wohnungsmärkte, die die Bundesländer festlegen. Mieten, die gegen die neuen Vorschriften verstoßen, sind unwirksam. Verstöße muss der Mieter nach Eingang der Mieterhöhung gegenüber dem Vermieter rügen.
Vermieter können auch Staffeln vereinbaren, nach denen die Miete in Stufen um einen festen Betrag steigt. Alternativ können Eigentümer eine Indexmiete fordern, die mit dem Index für die allgemeine Lebenshaltung steigt.
Die Staffeln müssen sich am Mietspiegel orientieren. Sie dürfen maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen. Einmal erreichte Stufen genießen Bestandsschutz. Folge: Staffelmietverträge werden unattraktiv, wenn der Mietspiegel der aktuellen Entwicklung am Wohnungsmarkt hinterherhinkt. Bei Indexmietverträgen muss sich nur der Ausgangspunkt am ortsüblichen Niveau orientieren, danach steigt die Miete automatisch mit den Verbraucherpreisen, unabhängig vom Mietspiegel.
Vermieter, die Wohnungen modernisieren, können derzeit elf Prozent der Kosten pro Jahr auf die Mieter umlegen. Eine Deckelung durch den Mietpreisspiegel gibt es nicht. Mieterhöhungen nach Modernisierungen sind nicht an die Frist von 15 Monaten gebunden, können also auch zwischen regulären Mietanpassungen durchgeführt werden. Nicht zur Modernisierung zählen Instandhaltungsmaßnahmen. Bei einer Modernisierung muss der Mietwert der Wohnung nachhaltig erhöht werden, etwa durch Dämmen der Außenwände oder den Anbau eines Balkons.
Will ein Vermieter nach Mieterwechsel die Miete wegen Modernisierung über das ortsübliche Niveau heben, darf die Modernisierung nicht mehr als drei Jahre zurückliegen. Die elf Prozent darf der Vermieter nur auf die ortsübliche Miete aufschlagen, die sich ohne Modernisierung ergeben hätte. Liegt die Miete schon vorher über dem Wert aus dem Mietspiegel, geht dies zulasten des Vermieters.
Ausgenommen von der Mietpreisbremse sind umfassende Modernisierungen, die laufen, wenn die Wohnung leer steht. Laut Gesetzentwurf sind Modernisierungen dann umfassend, wenn sie mindestens ein Drittel dessen kostet, was ein Neubau kosten würde (ohne Grundstückspreis).
Zwar deckelt die Mietpreisbremse die Mieten für neue Verträge, bei einer „umfassenden“ Modernisierung jedoch greift das neue Gesetz nicht. „Umfassend“ ist eine Modernisierung, wenn:
- mindestens 30 Prozent der Kosten anfallen, die bei einem Neubau entstehen;
- die Wohnung in mehreren „wesentlichen Teilen“, darunter Bad, Heizung, Elektroinstallation und Fußboden, auf einen modernen Standard gebracht wird.
Sind diese Bedingungen erfüllt, kann der Vermieter wie bei einem Neubau die Miete für den ersten Mieter frei aushandeln.
Noch arbeitet das Bundesjustizministerium an den Regeln, nach denen Neubaukosten zu kalkulieren sind. „Vermieter sollten die Vergleichsgröße Neubaukosten für das gesamte Mietshaus ermitteln und sie nach Quadratmetern auf einzelne Wohnungen umlegen“, rät Mietrechtsexperte Roland Schäfer von der Düsseldorfer Kanzlei GTW. Würden Vermieter nur die Neubaukosten für eine einzelne Wohnung – etwa ohne die Kosten fürs Treppenhaus – ansetzen, wäre die Mieterhöhung wahrscheinlich unzulässig.