Joachim Nagel "Vorbeugen, nicht reparieren"

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Die Finanzbranche wird wenig Interesse an einer Eindämmung dieser Geschäfte haben. Banken verdienen viel daran, und die Deutsche Börse macht auf ihrem Handelssystem Xetra rund die Hälfte der Umsätze mit solchen Transaktionen.

Nagel: Auch die Finanzindustrie kann kein Interesse an einer Destabilisierung haben. Sie weiß, welchen Schaden die jüngste Krise angerichtet hat. Es ist doch besser, man beugt Schäden vor, als immer hinterherzuhinken und nur zu reparieren. Der computergesteuerte Hochfrequenzhandel kann extreme Kursbewegungen an den Märkten auslösen oder verstärken. Denken Sie nur an den Flash Crash vom Mai 2010 an der Wall Street, als einzelne Aktien binnen Minuten 50 Prozent oder mehr ihres Werts verloren. Extreme Bewegungen von Aktienkursen bringen Unternehmen, die auf Kapitalzufuhr angewiesen sind, in Existenzschwierigkeiten. Und Anleger können massiv Geld verlieren. Das ist eine große Gefahr.

Wie sollte man dieser Gefahr begegnen?

Nagel: Die Finanzindustrie muss einen Verhaltenskodex für den Hochfrequenzhandel einführen. Alle wichtigen Akteure sollten sich daran beteiligen – Banken, Hedgefonds, Börsen und Handelsplattformen.

Und wozu sollen die sich selbst verpflichten?

Nagel: Sie sollten eine Mindesthaltedauer für Kontrakte einführen. Ein Problem ist auch, dass Hochfrequenzhändler bis zu 90 Prozent ihrer Order direkt wieder stornieren. Man kann sie also dazu verpflichten, einmal ins System gestellte Kurse, zu denen sie kaufen oder verkaufen wollen, eine bestimmte Zeit lang offen zu halten. Denkbar ist auch, die Volumina von FlashTrades zu begrenzen.

Die US-Börsenaufsicht SEC glaubt nicht, dass ein solcher Kodex funktionieren würde. SEC-Chefin Mary Schapiro ist für eine klare gesetzliche Regulierung.

Nagel: Wir sollten der Finanzindustrie -etwas Zeit geben, es mit selbstbindenden Regeln zu versuchen. Wenn das nicht fruchtet, müssen wir den Hochfrequenzhandel regulieren. Da gebe ich Frau Schapiro recht.

Wie viel Zeit würden Sie der Finanzindustrie denn geben?

Nagel: 12 bis 18 Monate sind in Ordnung. Länger sollte es nicht dauern.

Große Finanzinvestoren haben ihre Großrechner in Frankfurt direkt neben denen der deutschen Börse aufgestellt, um so ein paar letzte Millisekunden Vorsprung vor anderen Marktteilnehmern zu haben.

Nagel: Es ist absurd, wenn die Leitungslänge zum Großrechner darüber entscheidet, ob eine bestimmte Handelsstrategie Erfolg hat oder nicht.

Eine weitere Reformbaustelle ist der Handel mit Kreditausfallderivaten (CDS), mit deren Hilfe sich Investoren gegen Kreditausfälle von Unternehmen und Staaten absichern. CDS-Kurse haben eine enorme Signalwirkung und beeinflussen die Kurse von Anleihen. Der Markt ist undurchsichtig, weil CDS-Handel außerhalb von Börsen abläuft. Wollen Sie den auch über einen Kodex in den Griff bekommen?

Nagel: Nein. Ich denke, bei CDS macht es Sinn, eine Clearing-Pflicht einzuführen, das heißt, alle Geschäfte müssen über Börsen miteinander verrechnet werden. Generell brauchen wir eine Meldepflicht für sämtliche Derivate-Geschäfte, die außerhalb von Börsen ablaufen. Das würde den Handel standardisieren und damit besser kontrollierbar machen.

Haben sich die Staatsanleihemärkte mit Blick auf die Schuldenkrise im Euro-Raum nun dauerhaft beruhigt, oder ist das nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm?

Nagel: Für eine dauerhafte Beruhigung gibt es einige Signale. Dennoch wird der Anleihemarkt sich langfristig verändern: Investoren werden in Europa künftig genauer darauf schauen, welche Staaten ihren Haushalt in Ordnung halten. Das wird sich in den Risikoprämien, die sie von Staatsschuldnern verlangen, stärker niederschlagen. Von den extrem niedrigen Renditedifferenzen zwischen Staatsanleihen im Euro-Raum, wie sie vor der Krise herrschten, werden wir uns verabschieden müssen.

Die Märkte haben sich beruhigt, die Banken machen wieder Gewinne. Befürchten Sie nicht, dass der Reformeifer von Politik und Regulierern bald wieder erlahmt?

Nagel: Mit Basel III haben wir einen Meilenstein erreicht. Aber die Gefahr besteht, dass wir an Momentum verlieren. Deshalb ist es wichtig, den Handlungsdruck so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Da müssen wir auch als Bundesbank dranbleiben. Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass Finanzmärkte künftig keine Krisen mehr produzieren. Aber jetzt geht es darum, Schäden in Zukunft so gering wie möglich zu halten.

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