Klagewelle Wie der Fiskus bei Dienstreisen abkassiert

Immer wieder kürzt das Finanzamt Steuervorteile für berufliche Fahrten massiv. Vom Berater bis zum Bauarbeiter sind zahlreiche Berufsgruppen betroffen. Wie Sie sich wehren.

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Bei der Nutzung von Quelle: gms

Früher war die Arbeitswelt noch in Ordnung. Die Menschen fuhren morgens ins Büro oder in die Fabrik und sonst nirgendwohin. Doch die Dienstleistungsgesellschaft hat neue Arbeitsweisen hervorgebracht. Etwa den Software-Spezialisten, der zuhause arbeitet und nur sporadisch ins Büro fährt. Den Berater, der viele Monate beim Kunden verbringt. Oder den Leiharbeiter, der mal hier und mal dort arbeitet.

Diese neue Vielfalt birgt steuerlich allerdings gewaltige Tücken. Denn immer wieder lautet die Frage: Handelt es sich um Dienstreisen oder um Fahrten zum Arbeitsplatz, wenn der Berater morgens zum Kunden, der Heimarbeiter ausnahmsweise ins Büro oder der Leiharbeiter zum nächsten Job fährt?

Staat halbiert den Steuervorteil

Was harmlos klingt, ist finanziell ein gewaltiger Unterschied. Denn für Dienstreisen mit dem Auto dürfen Arbeitnehmer 30 Cent für jeden auf Hin- und Rückweg gefahrenen Kilometer von der Steuer absetzen. Für Fahrten zum Arbeitsplatz gewährt der Fiskus dagegen nur die sogenannte Pendlerpauschale von 30 Cent pro Entfernungskilometer – also die Hälfte.

Zudem können Arbeitnehmer für Dienstreisen Verpflegungsmehraufwendungen bis zu 24 Euro pro Tag geltend machen – für Fahrten zur Arbeit dagegen nicht. So kommen aufs Jahr gerechnet schnell ein paar Tausend Euro zusammen, die der Staat zusätzlich kassiert, wenn er Dienstreise zu Fahrten ins Büro umdeklariert.

Und das funktioniert so: Die Finanzämter unterstellen kurzerhand eine „regelmäßige Arbeitsstätte“, selbst wenn der Bezirksleiter eine Niederlassung nur einmal pro Woche besucht. Oder wenn der Heimarbeiter jeden Freitag zu einer Besprechung am Firmensitz fährt, dort aber nicht mal einen Schreibtisch hat. „Die Einstufung als regelmäßige Arbeitsstätte führt dazu, dass für die Fahrten nur die Pendlerpauschale berücksichtigt wird“, sagt Wolfram Vogel, Rechtsanwalt und Steuerberater bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner in Köln.

Doch inzwischen regt sich Widerstand. Betroffene klagen reihenweise gegen das rigide Vorgehen des Fiskus, allein beim Bundesfinanzhof laufen vier Verfahren. Zudem setzt die Wirtschaft die Bundesregierung unter Druck, endlich die Regeln zu vereinfachen. Derzeit arbeitet eine Projektgruppe des Bundesfinanzministeriums an einer Reform zur, wobei die einheitliche Definition des Begriffs „regelmäßige Arbeitsstätte“ höchste Priorität hat. Die neuen Vorschriften sollen aber frühestens 2012 in Kraft treten.

Mindestens bis dahin bleibt es also bei der konfliktträchtigen Rechtslage. Immerhin: In zahlreichen Fällen haben Betroffene die Chance, sich gegen ihre Steuerbescheide zu wehren oder dem Fiskus durch eine geschickte Reiseplanung auszubremsen. Wiwo.de hat Praxistipps für zahlreiche Berufsgruppen zusammengestellt.

Unternehmensberater

Wer ein Projekt beim Kunden betreut, verbringt oft Monate oder Jahre dort und taucht kaum noch beim Arbeitgeber auf. Auch Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater sind oft über lange Zeiträume auswärts tätig. Sobald es mehr als 46 Tage pro Jahr waren, ging der Fiskus deshalb lange Zeit von einer „regelmäßigen Arbeitsstätte aus.

Doch 2009 stellte der Bundesfinanzhof klar: Egal, wie lange Arbeitnehmer dort sind – ein Büro beim Kunden ist niemals eine „regelmäßige Arbeitstätte“. Wer morgens dorthin und abends zurückfährt, darf deshalb generell jeden gefahrenen Kilometer von der Steuer absetzen. Doppelter Steuervorteil also. „Das Urteil des Bundesfinanzhofs war sehr erfreulich und hat eine Reihe weiterer Klagen von Betroffenen ausgelöst“, sagt Vogel. Denn trotz des klaren Votums der Richter bleiben einige Zweifelsfälle.

Konzernmitarbeiter

Dienstfahrten können als Quelle: dpa

In Konzernen werden Angestellte bisweilen in ein Tochterunternehmen ausgegliedert, ohne dass sich ihr Arbeitsort ändert. Dann arbeiten sie also plötzlich für ein anderes Unternehmen und nicht mehr für ihren bisherigen Arbeitgeber. „Obwohl sie nur bei einem 'Kunden' arbeiten, unterstellt die Finanzverwaltung in solchen Fällen weiterhin eine regelmäßige Arbeitsstätte“, sagt Vogel.

Dagegen klagt derzeit ein Mitarbeiter der Deutschen Telekom, der einem Tochterunternehmen zugewiesen wurde und deshalb die Fahrten ins Büro fortan als Reisekosten (30 Cent je gefahreren Kilometer) von der Steuer absetzen wollte. Das Finanzgericht Köln lehnte sein Ansinnen ab, doch der Mann hat Revision eingelegt. Bald muss deshalb der Bundesfinanzhof entscheiden (Aktenzeichen: VI R 22/10). „Betroffene sollten mit Verweis auf dieses Verfahren Einspruch gegen ihren Steuerbescheid einlegen und das Urteil abwarten“, rät Vogel.

Leiharbeiter

Auch bei Leiharbeitern gibt es noch Zweifelsfälle. Prinzipiell gilt: Da sie stets bei einem Kunden ihres tatsächlichen Arbeitgebers – der Zeitarbeitsfirma – tätig sind, haben sie dort keine „regelmäßige Arbeitsstätte“ und somit Anspruch auf den doppelten Steuervorteil.

Eine Ausnahme macht der Fiskus allerdings: Wenn das Zeitarbeitsunternehmen die Mitarbeiter nur befristet für ein einziges Projekt bei einem Kunden einstellt, wertet das Finanzamt die Fahrten dorthin nicht als Dienstreisen, sondern gewährt nur die Pendlerpauschale. Bislang läuft dazu kein Verfahren beim Bundesfinanzhof. Das könnte sich aber bald ändern, Betroffene sollten daher Einspruch einlegen. Da Leiharbeiter – anders als klassische Arbeitnehmer – ihre Fahrtkosten nicht durch einen Umzug senken können, gibt es nach Ansicht von Experten keinen Grund, nur die Pendlerpauschale zu gewähren.

Bezirks- oder Regionalleiter sind oft für mehrere Niederlassungen ihres Unternehmens zuständig. Und sobald sie eine davon öfter als 46 Mal im Jahr besuchen, mutiert die Niederlassung zum Arbeitsplatz – mit den entsprechenden steuerlichen Nachteilen. Die magische 46- Tages-Grenze kommt wie folgt zustande: Die Finanzverwaltung sagt, dass ein regelmäßige Arbeitsstätte vorliegt, wenn Arbeitnehmer mindestens ein Mal die Woche vor Ort sind. Und bei 52 Wochen im Jahr minus sechs Wochen Urlaub landen die Beamten eben bei 46 Tagen.

Das kann dramatische Folgen haben. Denn mancher Bezirksleiter besucht pro Tag mehrere Filialen. Eine „District-Managerin“ bei einer Supermarktkette zum Beispiel kommt auf nicht weniger als 15 Arbeitsstätten. Statt rund 6000 Euro pro Jahr für Fahrt- und Verpflegungskosten darf sie deshalb nur knapp 2000 von der Steuer absetzen. Dagegen prozessiert sie derzeit vor dem Bundesfinanzhof (Aktenzeichen: VI R 36/10). „Sobald das Finanzamt mehr als drei regelmäßige Arbeitsstätten unterstellt, sollten Arbeitnehmer unter Berufung auf das Verfahren beim Bundesfinanzhof Einspruch gegen ihren Steuerbescheid einlegen“, rät Vogel.

Manche betroffene Führungskraft ist aufgrund der fiskalischen Härte zum gewieften Reiseroutenplaner mutiert. „Zahlreiche Bezirks- oder Regionalleiter fahren morgens stets zur nahegelegensten Filiale“, sagt Thomas Lorre, auf Reisekosten spezialisierter Personalfachkaufmann bei der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft DHPG in Euskirchen. „Denn wenn sie danach von dort aus zur nächsten Filiale fahren, gilt dies in jedem Fall als Dienstreise."

Dienstfahrt zum Briefkasten?

Somit lässt sich der Steuernachteil durch geschickte Planung deutlich verringern. Am besten sei es natürlich, darauf zu achten, sich höchstens 45 Tage pro Jahr in einer Niederlassung aufzuhalten, sagt Lorre. „Aber das lässt sich bei vielen Jobs nicht einrichten.“ Einige Manager übernehmen sogar niedere Aufgaben, um dem Finanzamt ein Schnippchen zu schlagen. So nimmt eine Bezirksleiter aus der letzten Filiale, die er aufsucht, stets die Post mit, um sie in den Briefkasten nahe seiner Wohnung zu werfen. Auf diese Weise soll aus der Heimfahrt eine Dienstreise werden. Ob das Finanzamt dies akzeptiert, ist allerdings fraglich.

Das Problem mit mehreren Arbeitsplätzen betrifft übrigens nicht nur Führungskräfte. „Es gibt zunehmend Bankmitarbeiter oder Verkäufer, die in verschiedenen Filialen eingesetzt sind“, sagt Lorre.

Dienstwagenfahrer

Das Steuer-Problem verschärft sich sogar, wenn Manager mit einem Dienst- oder Firmenwagen zu den Niederlassungen fahren. „Wenn sie für eine Fahrt von der Wohnung zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte einen Dienstwagen benutzen, wertet der Fiskus das als geldwerten Vorteil“, warnt Lorre.

In solchen Fällen müssen Betroffene also zusätzliche Steuern zahlen. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber eine Fahrt zu einer Arbeitsstätte fälschlicherweise als Dienstreise einstuft und dafür Reisekosten erstattet. „Die erstattete Summe gilt dann als zusätzlicher steuerpflichtiger Lohn“, sagt Lorre. Häufig fliegt das bei einer Betriebsprüfung auf, denn Finanzbeamte schauen sich Reisekostenerstattungen oft sehr genau an.

Aus diesen Gründen ist die schwierige Abgrenzung zwischen Dienstreise und Fahrt zur Arbeitsstätte auch für Arbeitgeber ein Riesenproblem. Denn wenn Mitarbeiter mit dem Dienstwagen zu einer Arbeitsstätte fahren, ist das Unternehmen verpflichtet, für den geldwerten Vorteil Steuern einzubehalten. „Arbeitgeber haften für die korrekte Abführung der Lohnsteuer“, warnt Vogel.

Wenn bei einer Betriebsprüfung herauskommt, dass keine Steuer einbehalten wurde, können deshalb hohe Nachforderungen auf das Unternehmen zukommen. „Häufig können sich Arbeitgeber das Geld in solchen Fällen auch nicht beim Mitarbeiter zurückholen“, sagt Vogel. Ähnlich ist es bei Sozialversicherungsbeiträgen, die bei geldwerten Vorteilen ebenfalls fällig sind und meist höher ausfallen als die Lohnsteuer. „Arbeitgeber müssen häufig einem Großteil der Beitragsnachforderungen selbst zahlen“, berichtet Lorre.

Angesichts dieser Risiken ist es kein Wunder, dass die Wirtschaft auf einfachere Regeln drängt. So fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) klare Vorgaben, um auszuschließen, dass Betriebsprüfer die Fahrt hinterher doch als Fahrt zur Arbeit und nicht als Dienstreise werten.

Heimarbeiter

Ob Journalisten, Programmierer oder Schreibkräfte: Immer mehr Menschen arbeiten hauptsächlich von zuhause aus und lassen sich nur sporadisch beim Arbeitgeber blicken. Auch in solchen Fällen gilt laut Finanzverwaltung die 46-Tages-Grenze. Soll heißen: Summieren sich die Tage, an denen Betroffene in die Zentrale fahren, auf 46 oder mehr, gilt diese als regelmäßige Arbeitsstätte – selbst wenn sie dort keinen Schreibtisch haben, sondern nur zu Besprechungen oder Formalien anreisen.

„Betroffene sollten in solchen Fällen versuchen, die Niederlassung des Arbeitgebers an weniger als 46 Tagen im Jahr aufzusuchen“, rät Vogel. Viele Angelegenheiten ließen sich auch telefonisch klären. Wer die 46-Tages-Grenze sprengt und keinen Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers hat, sollte Einspruch gegen seinen Steuerbescheid einlegen. Auch dazu läuft ein Verfahren beim Bundesfinanzhof (Aktenzeichen: VI R 58/09). Klägerin ist in dem Fall eine Außendienstmitarbeiterin, die einmal am Tag im Büro vorbeifährt, dort aber keinen Arbeitsplatz hat. Der Fall lässt sich aber auch auf Heimarbeiter übertragen. Denn es geht um die Frage, wie Fahrten zur Zentrale einzustufen sind, wenn Arbeitnehmer dort keinen festen Arbeitsplatz haben.

Ein ähnliches Problem haben oft Bauarbeiter, die sich nur auf Baustellen und selten in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers anzutreffen sind.

Studenten

Bei Studenten wertet der Fiskus die Uni als regelmäßige Arbeitsstätte und akzeptiert deshalb keinen Abzug von Reisekosten. Das ist für viele Eltern ärgerlich, weil dadurch das Kindergeld schneller wegfällt. Das passiert, wenn Studenten mit Nebenjobs mehr als 8004 Euro pro Jahr verdienen.

Von den Einkünften lassen sich jedoch – unter anderem – Fahrtkosten abziehen. Könnten Studenten Reisekosten geltend machen, also jeden gefahreren Kilometer absetzen, würden sie natürlich schneller unter die magische 8004-Euro-Schwelle rutschen als mit der Pendlerpauschale.

Und auch für einige Studenten, die nicht über die Grenze kommen, ist die Linie des Fiskus ärgerlich. Wer nach einer Berufsausbildung ein Studium absolviert, kann nach aktueller Rechtslage Fahrtkosten in der Steuererklärung angeben und auf diese Weise steuerliche Verluste aufbauen, die sich später beim Eintritt ins Berufsleben von den ersten Einkünften absetzen lassen.Auch zur Frage, ob die Uni eine regelmäßige Arbeitsstätte ist, läuft ein Verfahren beim BFH (VI R 44/10), Studenten sollten deshalb Einspruch gegen ihren Steuerbescheid einlegen, wenn der Fiskus für Fahrten zur Uni nur die Pendlerpauschale akzeptiert.

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