Mantel-Spekulation Heiße Wetten auf Börsen-Zombies

Mit großem Getöse gingen Unternehmen wie Arcandor, Babcock, Holzmann und Walter Bau in die Pleite. Nur an der Börse sorgen die Firmen noch gelegentlich für Aufregung - denn dort führen sie eine Existenz als Untote.

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2002 stellte Holzmann einen ersten Insolvenzantrag. An der Börse ist der Baukonzern aber weiterhin. Quelle: handelsblatt.com

Der Insolvenzverwalter Werner Schneider hat ein heimliches Faible, das Pfänden von Flugzeugen. Vor Jahren blockierte der umtriebige Ulmer Anwalt einen Airbus der libanesischen Middle East Airlines in Istanbul, im Juli eine Boeing des thailändischen Kronprinzen in München.Schneider nutzt das ungewöhnliche Druckmittel, um offene Rechnungen der insolventen Walter Bau AG von zahlungsunwilligen staatlichen Auftraggebern einzutreiben. Diplomatische Verwicklungen scheut er nicht - der Erfolg gibt ihm recht. Libanon zahlte. Thailand, ist Schneider zuversichtlich, wird bis Jahresende abrechnen. Die Pfändung in München bewirkte immerhin eine Bankbürgschaft Thailands über 38 Millionen Euro, um den Flieger des Prinzen loszueisen.Der Scoop des Verwalters wird in Online-Foren gefeiert. Private Zocker, die sich mit Aktien der Walter Bau AG eingedeckt haben, frohlocken. Bei Preisen um drei bis vier Cent pro Aktie ist das keine Frage des Geldes. Nur des Glaubens. Die Gemeinde von Pennystock (Pfennig-Aktien)-Händlern spekuliert darauf, dass Pleite-AGs eines Tages wie Phönix aus der Asche auferstehen. Und sie selbst kräftig Kasse machen, weil dann die Kurse durch die Decke gehen.

Insolvente Firmen leben an der Börse weiter

Insolvente Aktiengesellschaften leben oft lange an den Börsen weiter. Die Rechtslage ist unklar, die Abwickler müssen auf einem schmalen Grad zwischen Aktiengesetz und Insolvenzordnung balancieren. Oft stehen sie vor der Frage, ob etwa der Insolvenzverwalter allein die Einstellung des Börsenhandels, das sogenannte Delistung, beschließen kann. Laut Aktienrecht müsste dafür eine Hauptversammlung einberufen werden. Aber das kostet Geld. "Wer soll das bezahlen?" fragen die Rechtsanwälte einhellig.Der rege Handel mit Zombiepapieren und die Gerüchteküche in den Börsenforen nervt sie zwar. Doch die Chance, dass nach Befriedigung der Gläubigerforderungen etwas für die Aktionäre übrig bleibt, tendiert gegen null. Da können Zocker spekulieren, wie sie wollen. Die Aktien sind wertlos.

Andererseits ist auch das Weiterleben an der Börse nicht umsonst. Bis zu 10 000 Euro Gebühren fallen pro Jahr an. Walter Bau oder der insolvente Konzern Philipp Holzmann zahlen 7500 Euro. Zwar können sich die Unternehmen theoretisch von den Gebühren befreien lassen. Der Trick funktioniert aber nur, wenn selbst die Portokasse der Liquidations-AG absolut leer ist.Leer gehen auch Vorstände und Aufsichtsräte aus. Selbst eine Pleite-AG braucht eigentlich die Gremien und ihre Vertreter - aber das ist längst nicht überall der Fall. Selbst wenn es sie gibt, haben die Herrschaften nichts zu melden. Professor Manfred Hunkemöller ist einer von ihnen. Der Pro-Forma-Vorstandschef des legendären Baukonzerns Philipp Holzmann nimmt es mit Humor. Insolvente börsennotierte AGs hätten sich "karnickelartig vermehrt". Neben ihm, schätzt er, gebe es mindestens 200 "Kasino-Vorstände, die das lustige Treiben" mit Pleiteaktien verfolgten.

Die langlebigsten Untoten

Wie viele leere Börsenhüllen tatsächlich ihr Dasein fristen und dafür auch noch zahlen, darüber schweigt die Deutsche Börse ehrenhaft. Aus Gründen der "Diskretion", heißt es. Experten rechnen mit etwa 50.Selbst Hubert Görg, Arcandor-Verwalter und Altmeister unter den Insolvenzanwälten, ist unsicher, ob er den Börsenabgang von Arcandor jetzt einleiten kann - zumal die Pleite gerade mal zwei Jahre zurückliegt. Bei Babcock Borsig stellt sich die Frage nicht mehr. Den Maschinenbaukonzern hat die Börse Frankfurt in diesem Juni, neun Jahre nach der Insolvenz, zwangssuspendiert. In Berlin aber wird Babcock Borsig weiter gehandelt. Verwalter Helmut Schmitz verhandelt schon seit Jahren mit der Finanzaufsicht, die Börsennotierung zu streichen - natürlich kostenlos.Langlebigster Untoter unter den großen AGs ist Philipp Holzmann. Der erste Insolvenzantrag liegt fast zwölf Jahre zurück. Holzmann ist auch ein Beispiel dafür, warum Insolvenzverfahren sich ewig hinziehen. Verwalter Ottmar Hermann verkündete 2009 stolz einen ersten üppigen Abschlag von 85 Millionen Euro auf die Forderungen der Gläubiger. Ein Jahr darauf musste er die Zusage kassieren. In Frankreich rollte unerwartet ein Kartellverfahren mit einer halben Milliarde Euro Forderungen gegen Holzmann an.

Genau zehn Jahre hielt es die größte Industriepleite der Nachwendejahre an der Börse aus. Im Sommer 1996 brach der Bremer Vulkan zusammen, am 2. Juni 2006 wurde der Handel mit Vulkan-Aktien eingestellt. Das Insolvenzverfahren selbst war schon ein halbes Jahr vorher geschlossen worden. Immer wieder gab es Spekulationen über eine Reanimation des einst größten deutschen Werftenverbunds mit 22500 Beschäftigten. Eine andere Werft, so die Gerüchte, könnte interessiert sein, den Börsenmantel zu kaufen, um den millionenschweren Verlustvortrag steuerschonend zu nutzen.Dazu kam es nie. Das Steuerschlupfloch mit den Verlustvorträgen hat der Gesetzgeber inzwischen dichtgemacht. Damit verschwand auch die letzte Chance eines Insolvenzverwalters, aus den Resten einer Pleite-AG noch einen letzten Euro herauszuholen. Meist endet die Börsenkarriere als "kaltes Delisting". Der Handel wird von Amts wegen eingestellt.

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