Zwischenruf eines Privatbankiers Populäre Irrtümer zur Finanzkrise

Steuert die Wirtschaft tiefer in die Krise oder sind erste Leuchtfeuer zu sehen? Privatbankier Alexander Mettenheimer, Sprecher der Geschäftsführung von Merck Finck & Co., räumt in seinem Gastkommentar mit fünf verbreiteten Fehleinschätzungen auf.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Privatbankier Alexander Quelle: dpa

Führt eine Einkaufstour an der Börse in diesen Tagen zum großen Reibach? Oder bekommen wir bald wieder Buttermarken? Zukunftsprognosen für die Finanzwirtschaft deuten in verschiedene Richtungen – haben die Experten alle keine Ahnung? Der kleine Dampfer „Economy“ kämpft sich durch dichten Nebel, Leuchtfeuer und Irrlichter sind kaum zu unterscheiden. Tatsächlich weiß kaum einer, wohin die Weltwirtschaft steuert. Erster Schritt zur Besserung: Aufräumen mit Irrtümern – fünf Fehleinschätzungen

Die gute Nachricht vorweg: Auch 2009 wird die Welt nicht untergehen. Im Gegenteil: Viele Anleger werden in diesem Jahr erneut Gewinne machen. Jedoch, die Meinung hat sich inzwischen durchgesetzt, dabei wird es sich um eine wesentlich dünnere Rahmschicht handeln, bei einem großen See saurer Milch. Ein gigantischer Geldbetrag, so eine weit verbreitete Einschätzung, wurde ja zwischenzeitlich „vernichtet“ – am Ende der Nahrungskette stehe der kleine Mann, der die Zeche mit seinem Steuergroschen zahle.

1. Fehleinschätzung: Die Geldvernichtung schlägt zu

Viele Lehrmeinungen mussten in den vergangenen Monaten korrigiert werden – etwa, dass eine Bank nicht „bankrott“ gehen kann – oder „banca rotta“, wie es ursprünglich hieß: Die Eigenschaften einer „zerbrochenen Bank“ offenbaren sich derzeit ja auch durch die so genannten „Toxic Assets“. Falsch ist aber auch, dass in den letzten Monaten vierstellige Milliardenbeträge angeblich schlicht „vernichtet“ worden seien. Tatsächlich gingen Unsummen an die Verkäufer einst gefragter Immobilien, für die aufgrund eines Überangebots irgendwann kein Markt mehr bestand. Banken müssen die Kredite, die sie dafür vergeben haben, nun massenweise abschreiben. Die Immobilienverkäufer haben die Beträge, wie es so schön heißt, längst verkonsumiert. Ein Teil wird dennoch zurückgezahlt werden: Das Geld der Banken und der jetzigen Investoren hat sich nicht in Luft aufgelöst, sondern den entgegen gesetzten Aggregatszustand angenommen, so dass es sich auf unbestimmte Zeit nur schwer verflüssigen lässt.

2. Fehleinschätzung: Die Schuldigen sind bekannt

Es hat sich längst eingebürgert, für die weltweiten Subprime-Turbulenzen die Finanzelite verantwortlich zu machen. Einen wesentlichen Anteil haben aber auch jene Rating-Agenturen, die Banken nun für ihre „Giftpapiere“ abstrafen: Sie haben den jahrelangen Etikettenschwindel bei der Kreditverbriefung bereitwillig unterstützt. Die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank schließlich war Wegbereiter für die massenhafte Überschuldung der Immobilienkäufer. Wer diese Politik geißelt, setzt sich freilich schnell dem Vorwurf der Missgunst gegenüber niedrigen Einkommensschichten aus.

Doch auch die Reaktionen der Politik auf wirtschaftliche Verwerfungen sind unzureichend – und das aus Tradition: Eine immer höhere Neuverschuldung zum kreditfinanzierten Brandlöschen hat sich auch in Deutschland längst etabliert und wird auch vom Wähler noch klaglos hingenommen. Das skandalträchtige Verhalten in einer drastischen Zahl: Experten schätzen die implizite Staatsverschuldung – inklusive Pensionslasten und anderer Leistungsversprechen – für 2007 auf 360 Prozent des BIP. Vergessen scheinen die Worte des ansonsten gerne zitierten Adam Smith: Die Verschuldungspolitik der öffentlichen Haushalte habe „nach und nach jeden Staat geschwächt, der sich ihrer bedient hat“.

3. Fehleinschätzung: Der Sozialismus steht bevor

Dennoch ist unstrittig, dass eine Regierung handeln muss, wenn ein Kollaps bevorsteht; notfalls eben auch mittels massiver Neuverschuldung. Hier greift das gängige Klischee zu kurz, Gewinne würden individualisiert, Verluste sozialisiert. Die Rettungsaktionen von Bundesregierung und internationaler Staatengemeinschaft haben ja gerade den Zweck, bei unzähligen Zulieferern der Schlüsselindustrien Arbeitsplätze zu sichern – und eben nicht in den Vorstandsetagen der Banken. Als Alternative blieben nur Zahlungen der Arbeitslosenversicherung.

Ein Abgleiten in den Populismus droht besonders deutlich, wenn die Verstaatlichung einer Bank im Gespräch ist. Laut war daher das Geschrei, ein Gesetz zur „Zwangsenteignung“ von Banken wie der Hypo Real Estate (HRE) werde uns mehr oder weniger direkt in die Planwirtschaft führen. Keine Frage, aus ordnungspolitischer Sicht ein Fiasko. Doch wenn ein Zusammenbruch droht, sollten übergeordnete volkswirtschaftliche Interessen Vorrang haben. Dies mag als letztes Mittel auch eine Verstaatlichung sein, solange die Wettbewerbsneutralität gewahrt bleibt. Wer trotz öffentlicher Polemik ein wenig nüchtern bleibt, stellt dabei fest, dass die HRE ab dem Empfang massiver Staatsgarantien ohnehin nicht mehr autark operiert hat. Bei den meisten anderen Instituten aber stehen Enteignungen nicht zur Debatte: Bei einer einfachen Kapitalerhöhung wird der Staat lediglich Aktionär, allenfalls Mehrheitsaktionär, mit allen Rechten und Pflichten.

Inhalt
  • Populäre Irrtümer zur Finanzkrise
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%