Rohstoffhandel Vom Ölhändler zum Staatsfeind

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Ex-US-Präsident Clinton Quelle: Reuters

In Krisen Gewinne zu machen und Partner zusammenzubringen, die offiziell nichts miteinander zu tun haben wollten – das sollte Richs Geschäftsmodell werden. Er diente seinen Kunden immer wieder als verschwiegener Vermittler. Die Öffentlichkeit scheute er. Jahrelang gab es keine Fotos von ihm, Journalisten verweigerte er sich systematisch.

Weil selten bekannt wurde, mit wem er handelte, konnte er Geschäftsbeziehungen selbst über einen Regimewechsel hinaus sichern. So kam Rich nach dem Sturz des Schahs 1979 auch mit dem iranischen Gottesstaat ins Geschäft. Offiziell sprachen die Ayatollahs Israel das Existenzrecht ab. Ihr Öl aber verkaufte Rich dem jüdischen Staat und sicherte so dessen Überleben. Pikant: Die iranischen Funktionäre wussten genau, dass Rich ihr Öl dem vermeintlichen Erzfeind lieferte. „Es war ihnen egal“, sagt Rich, „die Iraner wollten einfach ihr Öl verkaufen.“

Er avancierte auch zum wichtigsten Lieferanten des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Das Erdöl stammte aus Ländern der Sowjetunion und Saudi-Arabien, die Südafrika offiziell boykottierten, im Geheimen aber via Rich lukrative Geschäfte machten. Der Händler gab den Regimes die Möglichkeit, Widersprüche zwischen politischer Rhetorik und wirtschaftlichen Taten zu kaschieren.

Als wäre das alles nicht schon widersprüchlich genug, half Rich den Marxisten in Angola, die Ölindustrie zu entwickeln; dem sozialistischen Jamaika, die Aluminiumindustrie zu retten; den revolutionären Sandinisten in Nicaragua, an harte Währungen zu kommen. Selbst mit Che Guevara, nach der Revolution auf Kuba zeitweise Industrieminister, machte Zigarrenliebhaber Rich Geschäfte. Wenn es um den Rohstoffhandel geht, zumal um das strategisch eminent wichtige Erdöl, zählen Ideologien wenig.

„Business ist neutral“, sagt Rich dazu. „Sie können eine Handelsgesellschaft nicht aufgrund von Sympathien führen.“

Weltweit gejagt

Ein Öltanker vor einem Quelle: AP

Die Iran-Beziehungen, die seinen Aufstieg massiv befördert hatten, wurden ihm letztlich zum Verhängnis. Rich handelte 1979/80 trotz US-Embargos mit iranischem Erdöl, während Amerikaner in der US-Botschaft in Teheran als Geiseln gehalten wurden. Für Staatsanwalt Rudy Giuliani, den späteren New Yorker Bürgermeister, war das illegal. Er klagte ihn 1983 wegen „Handels mit dem Feind“ an. Weil Rich zudem versucht hatte, mit komplizierten Ringtauschgeschäften von den Ölpreiskontrollen zu profitieren, die in den USA damals galten, verfolgte Giuliani ihn als den „größten Steuerbetrüger in der Geschichte der USA“.

Rich, der bis heute seine Unschuld beteuert, setzte sich noch vor der Anklage in die Schweiz ab und reiste nie wieder in die USA – nicht einmal 1996, als seine an Leukämie erkrankte Tochter in Seattle im Sterben lag.

Ob seine Geschäfte illegal waren, wurde deshalb nie von einem Gericht geklärt. Staatsanwalt Giuliani baute auf dem publicityträchtigen Fall seine politische Karriere auf. Er sorgte dafür, dass Rich auf die FBI-Liste der meistgesuchten Verbrecher gesetzt wurde, sodass ihn US-Polizisten auf der ganzen Welt jagten. Amerikanische Undercover-Agenten versuchten sogar einmal, Rich illegal aus der Schweiz zu entführen – und flogen peinlicherweise auf.

17 Jahre lang versuchte das mächtigste Land der Welt vergeblich, Rich hinter Gitter zu bringen. 2001 wurde er schließlich von Präsident Bill Clinton an dessen letztem Tag im Amt begnadigt – angeblich, weil sich Israels Präsident Schimon Peres für Rich, der Israel jahrelang mit Öl versorgt und Operationen des Geheimdiensts Mossad finanziert hatte, einsetzte. Weil Richs Ex-Frau Denise zu den großzügigsten Spendern der Demokraten zählte, wurde Clinton für diese Entscheidung in den USA heftig kritisiert.

„Messer am Hals“

Seine Firma hatte der durch die Anklage angeschlagene Rich bereits 1993 dem Management verkauft, für 600 Millionen Dollar. „Ich war schwach. Die anderen bemerkten es und nutzten es aus. Sie hielten mir das Messer an den Hals“, sagt er. Aus der Marc Rich & Co. AG ging Glencore hervor – heute eines der größten Unternehmen der Welt in Privatbesitz.

Rich lebt heute in einer Villa in der Steueroase Meggen, direkt am Vierwaldstättersee. Er handelt nicht mehr mit echtem Öl, sondern investiert in Rohstoffderivate – und baut Immobilien in Russland, Tschechien, Frankreich, der Schweiz und anderswo. Das US-Magazin „Forbes“ schätzt sein Vermögen auf mindestens eine Milliarde Dollar.

Die Glencore-Eigner, allen voran seine einstige rechte Hand, der Deutsche Willy Strothotte, denken derzeit über einen Börsengang nach. Mit 600 Millionen werden sie sich aber dann wohl kaum zufriedengeben: Der Börsenwert von Glencore dürfte bei etwa 35 Milliarden Dollar liegen. Allein die Beteiligung am Rohstoffriesen Xstrata ist an der Börse rund 16 Milliarden Dollar wert. 

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