Aktuelle Urteile Wann der Unfall ein Arbeitsunfall ist

Am Arbeitsplatz und auf dem Weg dahin sind Arbeitnehmer in der Regel unfallversichert. Ob das auch während einer Betriebsfeier gilt und wer das Risiko im Home Office trägt, hat jüngst das Bundessozialgericht entschieden.

Wer morgens vor der Arbeit einen Arzttermin wahrnimmt, ist auf dem Weg von der Praxis zum Arbeitsplatz in der Regel nicht unfallversichert. Das entschied das Bundessozialgericht (BSG) am 5. Juli. Anderes gilt danach nur, wenn der Arztaufenthalt mindestens zwei Stunden dauert oder der Unfall an einem Ort passiert, der wieder auf dem regulären Arbeitsweg von der Wohnung liegt (Az.: B 2 U 16/14 R). Im Streitfall musste der Arbeitnehmer aus Bayern krankheitsbedingt regelmäßig sein Blut untersuchen lassen. Mit seinem Arbeitgeber hatte er vereinbart, dass er dies gleich morgens tun kann und dann etwas später zur Arbeit kommt. Auch am Unfalltag war der Arbeitnehmer mit seinem Fahrrad zunächst zu seinem Hausarzt gefahren. Nach 40 Minuten machte er sich von dort auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz. Dabei stieß er mit einem Auto zusammen. Laut Gesetz steht neben der Arbeit selbst auch der „unmittelbare Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit“ unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach bisheriger Rechtsprechung kann dies auch der Weg von einem „dritten Ort“ sein, etwa einem anderen Übernachtungsort. Abweichungen vom geeignetsten Weg, etwa zum Tanken oder Einkaufen, sind dagegen nicht versichert. Voraussetzung für einen „dritten Ort“ ist aber ein Mindestaufenthalt von zwei Stunden, urteilte nun das BSG. Quelle: DAPD
Auch bei der Weihnachtsfeier einer kleineren Abteilung in einem Unternehmen ist ein Unfall unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich unfallversichert. Die Anwesenheit eines höheren Chefs sei dafür nicht erforderlich, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am 5. Juli. Die bisherige Rechtsprechung des BSG, nämlich dass ein Chef dabei sein muss, sei nicht mehr haltbar (Az.: B 2 U 19/14 R). Allerdings müsse die Veranstaltung im Einvernehmen mit der Betriebsleitung stattfinden, alle Mitarbeiter der Abteilung müssten eingeladen sein und die Teamleitung daran teilnehmen. Auf die Anzahl der Teilnehmer an der Feier komme es nicht an, betonten die obersten deutschen Sozialrichter. Quelle: DPA
Wer im Home Office arbeitet und sich beim Wasserholen den Fuß bricht, kann dafür keinen Arbeitsunfall geltend machen. Das entschied das Bundessozialgericht am 5. Juli in Kassel (Az.: B 2 U 5/15 R). Der Arbeitgeber habe nicht das Risiko zu verantworten, wie der Lebensbereich des Arbeitnehmers gestaltet sei, hieß es zur Begründung. Im konkreten Fall wollte eine Frau vom Arbeitszimmer im Dachgeschoss in die Küche in der Etage darunter laufen, auf der Treppe brach sie sich den Fuß. Das Gericht erklärte, die Arbeit zu Hause nehme einer Wohnung nicht den Charakter der privaten, nicht versicherten Lebenssphäre. Zudem sei es den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung kaum möglich, in der Wohnung gefahrenreduzierende Maßnahmen wie etwa schwarz-gelbe Sicherheitsmarkierungen zu ergreifen. Quelle: DPA
Arbeitnehmer haben nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts auch bei Bereitschaftsdiensten Anspruch auf den Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro pro Stunde. Das hat das Bundesarbeitsgericht am 29. Juni in Erfurt in seinem zweiten Grundsatzurteil seit Mindestlohn-Einführung vor eineinhalb Jahren entschieden (Az.: 5 AZR 716/15). Das Mindestlohngesetz differenziere nicht zwischen regulärer Arbeitszeit und Bereitschaftsstunden, sondern sehe eine einheitliche Lohnuntergrenze vor, hieß es zur Begründung. Für den Präzedenzfall sorgte ein Rettungssanitäter aus dem Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen. Quelle: DPA
Bei gesetzlich vorgeschriebener Hygienekleidung in Lebensmittelbetrieben müssen Arbeitgeber auch die Kosten für die Reinigung übernehmen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht am 14. Juni in Erfurt (Az.: 9 AZR 181/15). Damit war ein Mitarbeiter eines niedersächsischen Schlachthofes jetzt auch in der dritten Instanz mit seiner Klage erfolgreich. In der Lebensmittelverarbeitung hätten die Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass ihre Beschäftigten saubere und geeignete Arbeitskleidung tragen, erklärten die obersten Arbeitsrichter. Damit gehöre ebenso die Kostenübernahme für die Reinigung dieser Kleidung zu den Pflichten der Arbeitgeber. Die Entscheidung dürfte für zahlreiche Mitarbeiter in der Lebensmittelbranche von Interesse sein. Quelle: DPA
Die wiederholte Verlängerung befristeter Arbeitsverträge für Wissenschaftler an Hochschulen ist nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auch bei insgesamt sehr langer Beschäftigungsdauer nicht zwingend rechtswidrig. Dienen solche „Kettenverträge“ in einem erheblichen Zeitraum der beruflichen Qualifizierung der Wissenschaftler, spreche dies gegen eine missbräuchliche Ausnutzung der nach Wissenschaftszeitvertragsgesetz möglichen Befristungen, urteilte das höchste deutsche Arbeitsgericht am 8. Juni in Erfurt (Az.: 7 AZR 259/14). Dem Gericht lag der Fall einer Wissenschaftlerin vor, die an der Uni Leipzig insgesamt 22 Jahre lang über befristete Arbeitsverträge und zuletzt in Drittmittelprojekten beschäftigt war. Während dieser Zeit schrieb sie eine Doktorarbeit und erwarb die Habilitation. Die zuletzt vereinbarte Befristung bis Ende Oktober 2011 hielt die Frau für unwirksam. Das Arbeitsgericht hatte ihre Klage zurückgewiesen, das Landesarbeitsgericht Sachsen gab ihr Recht. Dagegen war der Freistaat Sachsen beim BAG in Revision gegangen, das bei der letzten Befristung keinen Rechtsmissbrauch sah. Quelle: DPA
Ein Unfall auf der Toilette einer Behörde kann nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts durchaus ein Dienstunfall sein. Damit bekam eine Mitarbeitern des Berliner Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg Recht, wie das Gericht am 25. Mai mitteilte. Die Beamtin war im August 2013 während des Dienstes in einem Toilettenraum gegen einen weit geöffneten Fensterflügel gestoßen. Sie erlitt eine Platzwunde sowie eine Prellung und musste ärztlich behandelt werden. Ihre Vorgesetzten hatten das nicht als Dienstunfall anerkannt und argumentiert, der Aufenthalt in einer Toilette sei eine rein private Angelegenheit (Urteil der 26. Kammer vom 4. Mai 2016 - VG 26 K 54.14). Das sahen die Verwaltungsrichter anders. Ein Dienstunfall sei es dann, wenn ein Körperschaden infolge eines plötzlichen Ereignisses im oder infolge des Dienstes erlitten werde. Dies treffe auf den Fall der Frau zu. Der Zusammenhang mit dem Dienst sei dann gegeben, wenn es zum Unfall während der Dienstzeit am Dienstort komme. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls wurde seine sogenannte Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Quelle: DPA
Arbeitgeber können Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld nach dem ersten Mindestlohn-Urteil des Bundesarbeitsgerichts in bestimmten Fällen verrechnen. Sie könnten herangezogen werden, um die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde zu erfüllen, entschieden die Bundesrichter am 25. Mai in Erfurt. Das gelte jedoch nur in den Fällen, in denen die Sonderzahlungen als Entgelt für tatsächliche Arbeitsleistungen dienten - quasi wie ein 13. Gehalt. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte damit die Rechtsprechung der Vorinstanzen. Der Präzedenzfall für die erste höchstrichterliche Entscheidung seit Mindestlohneinführung vor knapp eineinhalb Jahren kam aus Brandenburg. Quelle: DPA
Das Kündigungsschutzverfahren eines von der katholischen Kirche wegen einer außerehelichen Beziehung gekündigten Organisten wird nicht neu aufgerollt. Mit einem am 17. Mai veröffentlichten Beschluss billigte das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt aus dem Jahr 2012. (Az.: 2 BvR 1488/14). Der Beschwerdeführer hatte als Organist und Chorleiter bei einer katholischen Kirchengemeinde in Essen gearbeitet. 1997 kündigte ihm die Kirchengemeinde wegen einer außerehelichen Beziehung: Der Organist habe seine „Loyalitätspflichten“ gegenüber der katholischen Kirche verletzt, hieß es. (Foto: Orgel im Kölner Dom). Quelle: DPA
Ein Spielbank-Beschäftigter aus Hessen ist mit seiner Forderung nach einem rauchfreien Arbeitsplatz vor Gericht gescheitert. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt wies am 10. Mai in letzter Instanz die Klage des 52-jährigen Croupiers einer Spielbank in Bad Homburg ab. Nach der Bundesarbeitsstättenverordnung habe der Kläger zwar grundsätzlich Anspruch auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz, so der 9. BAG-Senat. Allerdings mache das Casino von einer Ausnahmeregelung im Nichtraucherschutzgesetz des Bundeslandes Gebrauch. Dieses erlaubt das Rauchen in Spielbanken (Az.: 9 AZR 347/15). Quelle: DPA
Unternehmen dürfen ihren Mitarbeitern keine Prämien für einen Gewerkschaftsaustritt zahlen. Das hat das Arbeitsgericht Gelsenkirchen am 9. März in einem Eilverfahren entschieden. Im konkreten Fall hatte ein Reinigungsunternehmen rund 200 Mitarbeiter angeschrieben und eine Prämie von 50 Euro angeboten, falls sie ihre Mitgliedschaft bei der IG Bauen-Agrar-Umwelt kündigten. Gleichzeitig wurden vorformulierte Kündigungsschreiben zur Verfügung gestellt. Die Richter sprachen im Prozess von einem „massiven Verstoß gegen das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit“ (Az.: 3 GA 3/16). Quelle: DPA
Die Universität Münster muss dem Personalrat nicht Auskunft über schwangere Beschäftigte geben. Das hat das Verwaltungsgericht Münster am 11. März entschieden. Die Kammer für Personalvertretungssachen lehnte einen Antrag des wissenschaftlichen Personalrats der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ab. Dieser wollte ab sofort von der Universitätsleitung monatlich darüber informiert werden, welche wissenschaftliche Mitarbeiterin ein Kind erwartet. Nach Meinung der Richter sei in diesem Fall jedoch das Recht der Frauen auf informationelle Selbstbestimmung höher zu bewerten als der Anspruch des Personalrats auf volle Informationsweitergabe. Quelle: DPA
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