BGH-Urteil Passive Sterbehilfe ohne Patientenverfügung möglich

Einem Urteil des Bundesgerichtshofs zufolge ist passive Sterbehilfe bei Koma-Patienten auch ohne Patientenverfügung möglich. Maßgeblich sind früher geäußerte Behandlungswünsche des Patienten.

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Die Politik debattiert derzeit intensiv über Sterbehilfe. Quelle: dpa

Karlsruhe Passive Sterbehilfe bei Koma-Patienten ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs auch ohne Patientenverfügung möglich. In diesem Fall müsse ein Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen von einem Betreuungsgericht genehmigt werden, wenn dies „dem Willen des betroffenen Patienten entspricht“, entschied der BGH in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. Das gelte auch dann, wenn der Tod nicht unmittelbar bevorstehe. (Az: XII ZB 202/13)

Maßgeblich seien in erster Linie früher geäußerte Behandlungswünsche des Patienten, heißt es in dem Beschluss. Dies könnten „alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung nicht genügen“. Auf den „mutmaßlichen Willen“ des Patienten sei aber nur dann zurückzugreifen, wenn ein „erklärter Wille“ nicht festgestellt werden könne.

Darüber hinaus betonte der BGH, dass ein bestellter Betreuer dann nicht die Genehmigung eines Betreuungsgerichts einholen muss, wenn er und der behandelnde Arzt sich einig sind, dass der Behandlungsabbruch dem festgestellten Willen des Patienten entspricht.

Im vorliegenden Fall hatte eine 1963 geborene Frau im Jahr 2009 eine Gehirnblutung erlitten. Seitdem liegt sie im Wachkoma, wird über eine Magensonde ernährt und ist nicht ansprechbar. Ihr Ehemann und ihre Tochter, die zu ihren Betreuern bestellt sind, hatten beim Betreuungsgericht beantragt, die künstliche Ernährung einzustellen und die Magensonde zu entfernen. Die Patientin habe sich vor ihrer Erkrankung gegenüber Familienangehörigen und Freunden gegen lebenserhaltende Maßnahmen im Fall einer schweren Krankheit ausgesprochen, führten sie an. Das Amtsgericht Stollberg und das Landgericht Chemnitz hatten die Anträge der Betreuer jedoch abgelehnt.

Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung der Vorinstanzen auf. Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass wegen des nicht direkt bevorstehenden Todes der Patientin besonders strenge Anforderungen für die Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens gelten würden. Die Chemnitzer Richter müssten nun „etwaige geäußerte Behandlungswünsche“ der Frau neu ermitteln.

In der Politik läuft derzeit eine intensive Debatte über Sterbehilfe. Parteiübergreifend soll es verschiedene Gruppenanträge dazu geben, über die der Bundestag im nächsten Jahr beraten soll.

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