Cum-Ex-Geschäfte Internationale Großbanken im Visier der Steuerfahnder

NRW-Steuerfahnder ermitteln inzwischen gegen mehr als 100 Banken wegen der fragwürdigen Aktiengeschäfte, die zur mehrfachen Steuererstattung genutzt und den Fiskus um mehr als zwölf Milliarden Euro gebracht haben sollen.

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Banken in Frankfurt am Main Quelle: dpa

Der systematische Missbrauch von Steuerschlupflöchern im Aktienhandel bis zum Jahr 2012 mittels sogenannten Dividendenstrippings oder Cum-Ex-Geschäften zieht immer weitere Kreise. Nun sind Medienberichten zufolge auch etliche Schwergewichte der Bankenbranche ins Visier der deutschen Steuerfahnder geraten. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR sind unter anderem JP Morgan und Morgan Stanley aus den USA, Barclays und HSBC aus Großbritannien, die UBS aus der Schweiz und die französischen BNP Paribas von den Ermittlungen betroffen. Sie stehen in Verdacht, durch trickreiche Aktiengeschäfte Gewinne auf Kosten des Steuerzahlers gemacht zu haben. Dazu nutzten sie rund um die Dividendenstichtage von Aktien zu Unrecht ausgestellte Steuerbescheinigungen, um sich angeblich gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten zu lassen.

Die Dimension des Cum-Ex-Skandals sorgt bei Beobachtern für ungläubiges Staunen. Nahezu ein Jahrzehnt lang – Szenekennern zufolge seit 2003 – liefen die Aktiendeals mit dem Ziel, durch unberechtigte Steuerrückzahlungen Gewinne zu generieren.

Dass gesetzliche Regelungen dahingehend missbraucht wurden, war im Bundesfinanzministerium seit vielen Jahren bekannt, aber nach einer Gesetzesnovelle von 2007 ging es erst richtig los. Ein Untersuchungsausschuss, der im Februar auf Initiative von Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen, ins Leben gerufen wurde, beschäftigt sich seitdem in jeder Sitzungswoche mit diesem Thema – und hat Bemerkenswertes zutage gefördert.

Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte

So sagte ein ehemaliger, hochrangiger Ministerialbeamter vor dem Untersuchungsausschuss aus, gleichzeitig dem BMF zugearbeitet zu habe und gegen Bezahlung für verschiedene Bankenverbände tätig gewesen zu sein, im Bürokratendeutsch also „entgeltliche Leistungen“ für die Bankenlobbyisten erbracht. „Er gab sogar zu, genau den Teil der Gesetzbegründung ´verfasst´ zu haben, der bloß eine Kopie eines Lobbyschreibens war“, sagt Schick, der ebenfalls im Untersuchungsausschuss sitzt. Der fragliche Richter a.D. gilt im Untersuchungsausschuss als ein zentraler Akteur bei den Cum-Ex-Geschäften.

Unter Druck geraten die Banken, seit das NRW-Finanzministerium vor einem Jahr einen Datenträger mit Hinweisen auf „Cum-Ex-Betrügereien“ gekauft habe. Die Steuerfahndung gehe jedem Verdacht nach. Mehrere Banken kooperierten bereits mit den Behörden bei der Aufklärung, erklärte Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Zu weiteren Details - etwa um welche Geldhäuser es sich handelt - äußerte sich das Ministerium nicht.

Von Seiten des Untersuchungsausschusses heißt es hingegen, einige Banken wie die HVB oder Landesbanken wie LBBW und HSH zeigten sich kooperativ, andere Banken sähen sich hingegen im Recht, weil sie sich an geltende Gesetze gehalten hätten. „Mit der Zeit wurden die Betrügereien immer dreister. Eigens dafür wurden sogar US-Pensionsfonds mit nur einem Pensionsberechtigten gegründet“, erklärt Schick die Erkenntnisse aus der Ausschussarbeit.

Die Dividenden-Steuertricks von Investoren könnten laut einem Gutachten auch für Depotbanken ein teures Nachspiel haben. Aus Expertensicht sind sie verpflichtet, für doppelte Steuerbescheinigungen zu haften.

Bei den komplizierten Deals wurden Aktien mit (cum) und ohne (ex) Ausschüttungsanspruch um den Dividendenstichtag eines Unternehmens rasch zwischen mehreren Beteiligten hin- und hergeschoben. Das führte dazu, dass Steuerbescheinigungen für Kapitalertragsteuern mehrfach ausgestellt wurden, die so aber gar nicht gezahlt wurden. Das Bundesfinanzministerium hat dieses Steuerschlupfloch 2012 geschlossen.

Die Meinungen darüber, ob das Gesetz vor 2012 dazu eine Lücke aufwies oder missbräuchlich umgesetzt wurde, gehen auseinander. Bislang fehlt dazu ein höchstrichterliches Urteil des Bundesfinanzhofs, weil selbst verurteilte Banken kein Interesse an einem Berufungsverfahren vor der nächsthöheren Instanz zeigten. Der gesunde Menschenverstand indes sagt einem, dass eine Steuererstattung für etwas, was nie bezahlt wurde, nicht rechtens sein kann. Dass die Frage der Legalität von Cum-Ex-Geschäften bis heute nicht abschließend geklärt, muss als Erfolg für die Bankenlobby gewertet werden - zum Schaden des deutschen Steuerzahlers.

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