Zwei Mietrechtsfälle haben Ende März vor Deutschlands oberstem Zivilgericht für Aufsehen gesorgt. Fall 1, Berlin: Ein Eigentümer wollte in einer vermieteten Wohnung ein Aktenarchiv für sein Beratungsunternehmen einrichten. Der Bundesgerichtshof hob die Kündigung des Mietverhältnisses auf, denn der Eigentümer könne das Archiv stattdessen leicht in einem anderen Gebäude einrichten (VIII ZR 45/16).
Fall 2, Bühl: Ein Vermieter wollte die an ein älteres Ehepaar vermietete Erdgeschosswohnung der im gleichen Haus wohnenden Großfamilie des Sohnes zur Verfügung stellen. Der betagte Mieter konterte mit dem Argument, der Auszug würde seine Gesundheit gefährden. Hier trug der Bundesgerichtshof den Vorinstanzen auf, die angebliche Gesundheitsgefahr mit Hilfe von Sachverständigen gründlich zu untersuchen (VIII ZR 270/15).
Bei Vermietern quer durch die Republik dürften die jüngsten BGH-Entscheidungen für kräftiges Stirnrunzeln sorgen, wurden in den beiden Fällen doch nachvollziehbare und sachliche Gründe für die Kündigung vorgetragen. Ist es in Deutschland wirklich so schwer bis unmöglich, Mietern zu kündigen, wenn der Eigentümer die Immobilie selber nutzen will?
Der Mietrechtsexperte Mathias Münch, Rechtsanwalt bei der Berliner Kanzlei BRL Boege Rohde Luebbehuesen, sieht in den neuesten Entscheidungen allerdings keine generelle Stärkung des Mieterschutzes durch den Bundesgerichtshof. „Die Tendenz scheint dahin zu gehen, in jedem Einzelfall eine echte Abwägung der Interessen von Mietern und Vermietern zu verlangen“, sagt Münch.
Für Vermieter dürfte es daher ratsam sein, jede Kündigung sorgfältig zu begründen. Und Mietern sollte klar sein, dass sie nicht einfach aus der Luft gegriffene Gründe dagegen vorschieben dürfen. Denn die Gerichte haben nun durch den Bundesgerichtshof den klaren Auftrag und das Mandat erhalten, die Argumente genau zu durchleuchten – auch mit Hilfe von Sachverständigen. Streitparteien müssen sich also darauf einrichten, dass Mietrechtsverfahren im Zweifel eher komplexer werden und länger dauern als ohnehin schon.
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Berechtigte Interessen auf beiden Seiten
Wie sieht die Rechtslage aus und welche Fußangeln müssen insbesondere kündigungswillige Eigentümer in der Praxis beachten? Das Bürgerliche Gesetzbuch erlaubt den Widerspruch des Mieters gegen eine ordentliche Kündigung durch seinen Vermieter, falls das Ende des Mietvertrags eine Härte für ihn oder seine Familie bedeuten würde. Dabei müssen die berechtigten Interessen des Vermieters berücksichtigt werden. Das führt oft zu Streit, weil die vom Gesetz und nun auch detailliert vom obersten Zivilgericht verlangte Abwägung der Interessen beider Parteien im Einzelfall so schwierig ist.
"Wenn der Vermieter seinen Eigenbedarf gut begründet, geben ihm die Gerichte meist Recht“, sagt Mietrechtsexperte Münch. Wichtig für Vermieter sei dabei folgendes: Sie müssen erläutern, warum der Eigenbedarf gerade jetzt und ausgerechnet im Stadtteil der jeweiligen Immobilie entsteht.
Klassische Kündigungsgründe
Klassische Gründe sind zum Beispiel, wenn es in der Familie des Eigentümers eine Heirat, Trennung oder einen Arbeitgeberwechsel gab und wenn Nachwuchs erwartet wird. Ein zeitlich schnell vorübergehender Bedarf, etwa während des Praktikums eines Familienmitglieds, gilt dagegen nicht als Kündigungsgrund – ein Studium, das üblicherweise mehrere Jahre dauert, dagegen schon.
Auf dem Papier einfach sieht die außerordentliche Kündigung aus. Die ist fristlos möglich, wenn der Mieter seine Pflichten verletzt und dem Vermieter die Fortsetzung des Vertrags nicht zumutbar ist.
Diese Notbremse kann der Eigentümer ziehen, wenn sein Mieter die Immobilie verkommen lässt, unerlaubt Haustiere hält oder dauernd gegen die Hausordnung verstößt. Dann müssen der Kündigung aber zunächst Abmahnungen vorangehen. Selbst Mieter, die unzuverlässig zahlen, wird man nur nach einem zähen Prozess los. Der Vermieter kann kündigen, wenn der Mieter mit zwei aufeinanderfolgenden Raten im Rückstand ist. Verweigert ein Mietschuldner den Auszug, hat er nach Erhalt der Räumungsklage großzügige zwei Monate Zeit, die überfällige Miete doch noch zu zahlen, wonach er schließlich bleiben dürfte.
Abmahnungen, Räumungsklagen, Schadenersatz
Dabei dauert es erfahrungsgemäß Wochen, bis eine Räumungsklage beim zuständigen Amtsgericht überhaupt bearbeitet werden kann. Für die Gerichtskosten muss der Vermieter dabei oft noch in Vorleistung gehen.
Mietern muss klar sein, dass sie einer Kündigung wegen Eigenbedarf nur mit triftigem Grund widersprechen können. Allgemeine und alltägliche Härten, wie sie mit einem Wohnungswechsel immer verbunden sind, stehen einer Kündigung nicht entgegen. Das gilt für die langwierige Wohnungssuche, den teuren Umzug, den Verlust des gewohnten Umfelds oder die in der neuen Bleibe oft höhere Miete sowie zusätzliche Fahrtkosten zum wegen des Umzugs weiter entfernten Arbeitsplatz.
Diese Zusatzkosten können allerdings schlagend werden, wenn sich hinterher herausstellt, dass der Vermieter den Eigenbedarf nur vorgetäuscht hat und die frei gewordenen Mieträume anders als vorgegeben nicht selber nutzt. Dann muss der Eigentümer dem gekündigten Mieter Schadenersatz leisten, wozu zum Beispiel die Mietdifferenz und die Umzugskosten zählen.
In der Realität ist es aber schwer bis unmöglich für Mieter, einen vorgeschobenen Eigenbedarf des Vermieters zu beweisen. Denn dafür müssten sie über einen längeren Zeitraum beobachten, wer ihre alte Wohnung nach dem Auszug tatsächlich nutzt und ihre Beobachtung belegen. Das dürfte ohne Verstöße gegen den Datenschutz oder den Hausfrieden in den meisten Fällen nicht möglich sein.
Anwälte bestätigen, dass es tatsächlich nicht zu besonders vielen Schadenersatzprozessen kommt. Aber es sei schon denkbar, dass Mieter im Nachhinein kontrollieren, ob der Vermieter hinterher wirklich seinen Namen am Klingelschild und am Briefkasten angebracht hat oder im Haus nachfragt, ob der Vermieter tatsächlich eingezogen ist.
Nach Beobachtung des Berliner Mietrechtsexperten Münch kommt es unter der Mieterschaft auch zu Solidarisierungserscheinungen, sodass andere Mieter die Gekündigten informieren, ob Vermieter von seinem Eigenbedarf wirklich Gebrauch machen. Auch könne es vorkommen, dass die Wohnung plötzlich auf Vermietportalen wie AirBnb auftauche oder als Verkaufsangebot auf Immobilienscout. Das wäre ein deutliches Indiz für einen vorgetäuschten Eigenbedarf.
Wie umgehen mit Härtefällen?
Auf die Härtefallregel berufen können sich nur Menschen, die zum Beispiel eine chronische Krankheit haben und unter einem erzwungenen Ortswechsel so stark leiden würden, dass ihr Leben oder ihre Gesundheit in Gefahr sind.
In solchen außergewöhnlichen Fällen müssen die Gerichte künftig detailliert untersuchen, ob die vom Mieter vorgetragenen Argumente stichhaltig sind. Bei dem jüngst vor dem Bundesgerichtshof verhandelten Fall aus Bühl ging es um die Räumungsklage gegen einen bereits 1930 geborenen langjährigen Bewohner einer Erdgeschosswohnung und dessen Frau. Der Eigentümer benötigte den Wohnraum für die vierköpfige Familie seines im gleichen Gebäude wohnenden Sohnes.
Die Partei des Mieters hatte der Kündigung widersprochen, weil der Beklagte unter einer beginnenden Demenz litt und beim Verlust seiner Wohnung wohl in ein Pflegeheim umziehen müsste. Für die noch nicht pflegebedürftige Ehefrau komme der Umzug in ein Heim nicht in Frage, sodass sie durch den Wohnungswechsel von ihrem Mann getrennt würde. Ein weiteres Argument: Der Sohn des Vermieters hätte für seine Familie stattdessen auch in eine bereits leer stehende Dachgeschosswohnung desselben Hauses in Anspruch nehmen können.
Gut begründet und überprüfbar ist Bedingung
Amts- und Landgericht hatten sämtliche Argumente des Mieters als wahr unterstellt, jedoch dem Vermieter Recht gegeben. Der Bundesgerichtshof als höchstes Zivilgericht hat sich zur Stichhaltigkeit der Argumente nicht geäußert. Trotzdem hat er die bisherigen Urteile zu dem Fall aufgehoben und den Vorinstanzen aufgetragen, einen Sachverständigen zur Hilfe zu nehmen. Der soll zum Beispiel untersuchen, ob der Verlust der Wohnung tatsächlich eine Gesundheitsgefahr darstellen könnte.
Für Mieter und Vermieter bedeutet das: Streitfälle bei Kündigungen und Räumungsklagen werden komplexer. Beide Seiten müssen ihre Argumente detailliert begründen und sich auf eine Überprüfung durch externe Experten gefasst machen.
„Öfter als man denkt, führen Mieter gesundheitliche Gründe gegen eine Kündigung ins Feld“, berichtet der Berliner Rechtsanwalt Münch. Beliebt sei das Argument der Suizidgefahr nach einem Wohnungswechsel. Dabei könne es sich aber in vielen Fällen um eine Täuschung handeln. Gerichte dürfen das aber natürlich nicht einfach vom Tisch wischen, weil besonders labile Personen bei einem erzwungenen Umzug tatsächlich in Selbstmordgefahr geraten könnten. „Wer gesundheitliche Gründe ins Feld führt, muss sich auf die Anordnung einer ärztlichen Behandlung durch das Gericht gefasst machen“, so Münch. Bei Suizidgefahr könne das in Einzelfällen sogar bis zur Einweisung in die Psychiatrie führen.
Solche abenteuerlichen Argumente können daher schnell zum Bumerang für den Mieter werden.