Im Volksmund heißt es, jedes Kind würde die Eltern soviel kosten wie ein Eigenheim. Bis sie selbst ein ausreichendes Einkommen erzielen, können Lebenshaltungskosten, Ausbildung und Anschubfinanzierung ein beachtliches Vermögen verschlingen. Aber wer Kinder in die Welt setzt, ist für sie verantwortlich und muss für sie sorgen – und weil es die geliebten Sprösslinge sind, stecken die meisten Eltern bereitwillig viel Geld in ihren Nachwuchs.
Sollen Kinder plötzlich für ihre Eltern zahlen, kommt das aber vielen unfair vor. Kinder haben sich ihre Eltern schließlich nicht ausgesucht, der Lebensunterhalt für die eigene Familie muss mühsam verdient werden – und manchmal haben die Eltern in den Augen ihrer Kinder auch keine Unterstützung verdient, weil sie Fürsorgepflichten verletzt oder als Vater oder Mutter versagt haben. Dass plötzlich die Eltern die Hilfe ihrer Kinder brauchen, ist dann schwer zu akzeptieren.
Die Angst, große Anteile des Einkommens oder sogar sein angespartes Vermögen für die finanziell überforderten Eltern opfern zu müssen, geht inzwischen um. Kein Wunder, dass ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 12. Februar für Empörung sorgte: Kinder müssen demnach sogar dann Unterhalt für ihre Eltern zahlen, wenn die jahrzehntelang keinen Kontakt zu ihren Kindern wünschten – und somit anscheinend keine Verantwortung für ihren Nachwuchs übernehmen wollten. In dem verhandelten Fall ging es um Pflegekosten für einen Mann, der von sich aus den Kontakt zum Sohn vor langer Zeit abgebrochen hatte, aber seinen Pflegeheimplatz nicht von seiner Rente bestreiten konnte. Die Stadt hatte Regressforderungen gegen den Sohn über mehrere tausend Euro geltend gemacht. Der BGH urteilte, der Sohn müsse zahlen. Begründung: Der Mann habe seine Vaterpflichten bis zur Volljährigkeit seines Sohnes im Grunde erfüllt und den Kontakt erst später abgebrochen. Das Urteil empfanden viele Kommentatoren dennoch als unfair und realitätsfern. Wie können Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern, nur Anspruch auf Unterhalt haben? Das Unterhaltsrecht müsse reformiert werden, forderten sie.
Aber wann müssen Kinder tatsächlich für ihre Eltern zahlen und wie viel? Und was können Kinder und Eltern tun, um diesen Fall möglichst zu vermeiden oder zumindest – falls gewünscht - die Folgen zu lindern?
Pauschale Antworten auf diese Fragen sind problematisch. Auch wenn es dazu gesetzliche Regeln gibt, so sind doch letztlich die Auslegung der Regeln und der individuelle Fall entscheidend. So viel zumindest vorab: Die Folgen sind in der Regel weit weniger schlimm, als von den Betroffenen befürchtet.
Worauf gründet die Unterhaltspflicht?
Der Paragraf 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist in den Grundsätzen zur Unterhaltspflicht eindeutig: Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. In der Regel trifft dies Eltern, die für ihre Kinder Unterhalt leisten müssen, sowie Ehegatten, die füreinander unterhaltspflichtig sind, wenn der Partner nicht mehr in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus dem eigenem Einkommen zu bestreiten. Diese Unterhaltspflicht besteht auch im Falle einer Trennung oder Scheidung, sowohl gegenüber dem ehemaligen Ehepartner als auch gegenüber gemeinsamen Kindern.
Der Paragraf ist aber keine Einbahnstraße; er gilt auch in umgekehrter Richtung. Damit sind leibliche oder adoptierte Kinder ebenso gegenüber den Eltern unterhaltspflichtig. Kinder können sich nur dann von der Unterhaltspflicht befreien lassen, wenn die Eltern aus eigenem „sittlichen Verschulden“ in die Notlage geraten sind oder die eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind grob vernachlässigt haben. Die einzelnen Fälle werden meist individuell vor dem Familiengericht entschieden.
Wann entsteht eine Unterhaltspflicht?
Was sind typische Gründe für eine finanzielle Verpflichtung gegenüber den Eltern?
Am Anfang steht immer die Frage, ob die Eltern im gesetzlichen Sinne bedürftig sind, sich also den angemessenen Lebensunterhalt ohne großen Luxus noch leisten können. „Der Klassiker ist der Rentenbezieher, der zum Pflegefall wird“, weiß Andrea Fromherz, Fachanwältin für Familienrecht in der Sozietät Cavada Lüth & Partner aus Bietigheim-Bissingen und Expertin für Unterhaltsansprüche, aus praktischer Erfahrung. „Auch die Fälle, die vor dem BGH verhandelt werden, sind Pflegefälle. Das liegt an den hohen Pflegekosten.“ Der Grund dafür ist einfach: Ein Platz im Pflegeheim kostet schnell um die 3000 Euro pro Monat. Mit einer durchschnittlichen Rente sind diese Beträge nicht zu stemmen. Regelmäßig übernehmen deshalb die zuständigen Sozialbehörden die Pflegekosten – und suchen dann bei Verwandten in gerader Linie nach Möglichkeiten, sich von diesen zumindest einen Teil der Kosten erstatten zu lassen.
Weitaus seltener kommen laut Fromherz Fälle vor, in denen eine Unterhaltspflicht der Kinder entsteht, weil die regelmäßige Rente des Elternteils nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. „Bei Rentnern mit eigenem Hausstand greift zunächst der Anspruch auf eine Grundsicherung, die von den Ämtern gezahlt wird“, so Fromherz. Ähnliches gilt für Fälle, in denen Arbeitslosigkeit oder Berufsunfähigkeit zur Bedürftigkeit führen. Dann gibt es im schlimmsten Fall nur noch Arbeitslosengeld II („Hartz IV“).
Wer muss Unterhalt zahlen?
Die Geldnot der Eltern trifft die Kinder aber nur, wenn diese mindestens 100.000 Euro im Jahr verdienen. Erst dann müssen sie einen Beitrag zum Lebensunterhalt ihrer Eltern zahlen. „Bedürftige haben auch Obliegenheiten - und müssen zunächst alles Zumutbare tun, um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten“, sagt Anwältin Fromherz.
Grundsätzlich zahlen müssen auch Erben. Wer das Erbe seiner Eltern antritt, übernimmt sowohl das Vermögen als auch die Schulden – und muss damit auch offene Kredite bedienen oder überzogene Konten ausgleichen. Allerdings haben Erbberechtigte auch immer die Möglichkeit, ein Erbe auszuschlagen. Kennen die Kinder Vermögen und Verschuldung ihrer Eltern, müssen sie abwägen, ob sich die Schuldenübernahme für sie lohnt oder nicht.
Wofür die gesetzliche Pflegeversicherung aufkommt
Die gesetzliche Pflegepflichtversicherung gehört seit 1995 fest zur sozialen Absicherung. Im Juli 2007 wurde die Versicherung reformiert - dennoch übernimmt die Versicherung nur den sogenannten Grundschutz. Das heißt: Die Versicherung trägt - zumindest anteilig - die Kosten für ambulante und stationäre Pflege.
Die Pflegepflichtversicherung versorgt den Pflegebedürftigen dementsprechend mit Dienst- und Geldleistungen. Wie viel es für den ambulanten Pflegedienst, Essen auf Rädern oder sonstige Hilfsangebote dazu gibt, ist abhängig von der Pflegestufe des Betroffenen. Diese legt ein medizinischer Gutachter fest.
Die Pflichtversicherung zahlt bei Pflegestufe III maximal bis zu 1.510 EUR für einen Pflegeplatz in einem Heim - allerdings nur für die Pflegekosten. Für Unterbringung und Verpflegung muss der Heimbewohner selbst aufkommen. Bei außergewöhnlichen Härten übernimmt die Versicherung Leistungen von bis zu 1.918 Euro.
Laut BGB-Gesetzbuch steht an erster Stelle der Unterhaltspflichtige der Ehepartner. Der muss nach langer Ehe selbst im Fall einer Trennung oder Scheidung Unterhalt zahlen. Ist der Ehepartner jedoch verstorben, sind die Kinder unterhaltspflichtig. Das gilt gleichermaßen für leibliche wie adoptierte Kinder. Von den Verwandten in gerader Linie folgen an nächster Stelle dann die Enkelkinder. Doch diese Konstellation ist eher theoretisch. „In der Praxis ist mir noch kein Fall untergekommen, in dem Enkelkinder Unterhalt für ihre Großeltern zahlen mussten“, sagt Familienrechtlerin Fromherz.
Wie viel Unterhalt ist zu zahlen?
Die Höhe der zu zahlenden Unterhaltsleistungen wird in einem komplizierten Verfahren berechnet. Laut Gesetz herrscht der Grundsatz, dass nur dann Unterhalt zu zahlen ist, wenn ein „angemessener Lebensunterhalt“ nicht gefährdet ist. In der Praxis ermitteln die Behörden erst einmal die Zahlungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Kindes. Zunächst wird der Unterpflichtige aufgefordert, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse mit Hilfe von Fragebögen und geeigneten Belegen offenzulegen. Für jedes unterhaltspflichtige Kind wird abhängig vom Einkommen, den Familienverhältnissen und finanziellen Verpflichtungen – zum Beispiel die Raten für einen Immobilienkredit oder bereits bestehende Unterhaltspflichten - das „einsetzbare Einkommen“ ermittelt. Das ist nichts anderes, als das um wesentliche Zahlungsverpflichtungen und Lebenshaltungskosten bereinigte Nettoeinkommen. Jedem Kind steht dabei ein Selbstbehalt von mindestens 1600 Euro zu, bei Verheirateten sind es 2880 Euro pro Monat, die dem Unterhaltspflichtigen für dessen Lebensunterhalt mindestens bleiben sollen. Diese Beträge können aber auch individuell höher angesetzt werden
Wie erhöht sich der individuelle Selbstbehalt?
Die individuelle Höhe des Selbstbehalt lässt sich am besten an einem Beispiel erklären. Ein alleinstehender Sohn ohne Geschwister hat ein Nettoeinkommen von 2000 Euro. Der Grund-Selbstbehalt beträgt 1.600 Euro. Er erhöht sich individuell um die Hälfte des Unterschiedsbetrages zwischen Einkommen und Selbstbehalt. Im Beispiel ist der Unterschiedsbetrag 400 Euro (2000 Euro - 1.600 Euro). Davon die Hälfte - also 200 Euro - sind dem Grund-Selbstbehalt zuzurechnen. Der Selbstbehalt des Sohnes beträgt damit 1.800 Euro. 200 Euro wären dann das für Unterhaltszahlungen einsetzbare Einkommen, mit denen er etwa zu den Pflegekosten der Eltern beitragen müsste.
Wie teilt sich die Belastung auf mehrere Kinder auf?
Das so ermittelte Einkommen und Vermögen der Kinder wird dem Bedarf des Elternteils gegenübergestellt. Die Unterhaltsforderung bezieht sich immer auf die nicht bereits abgedeckten Lebenshaltungskosten, zu denen im typischen Fall eben auch die hohen Pflegekosten zählen. Unterhaltspflichtige müssen diese Deckungslücke im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten schließen.
Wie viel Kinder für Ihre Eltern letzten Endes tatsächlich zahlen müssen, hängt wiederum von den Familien- und Einkommensverhältnissen ab. Ist das einsetzbare Einkommen für jedes Kind ermittelt, die angemessenen Lebenshaltungskosten und der individuelle Selbstbehalt somit berücksichtigt, steht fest, wie viel jedes Kind individuell zur Verfügung hat, um den Elternunterhalt zu zahlen. Verteilt wird die Belastung entsprechend der Relation der einsetzbaren Einkommen. Ein Beispiel: Der Sohn hat nach Abzug des Selbstbehalts und seiner Kosten für eine angemessene Lebenshaltung ein einsetzbares Einkommen von 900 Euro, die Tochter von 300 Euro. Die Unterhaltspflicht für den pflegebedürftigen Vater beträgt für beide zusammen 800 Euro. Davon hat entsprechend der Einkommensrelation der Sohn zwei Drittel, also 600 Euro, zu übernehmen, die Tochter ein Drittel, somit 200 Euro.
Genügt das einsetzbare Einkommen nicht zur Deckung des Bedarfs, muss jeder nach seinen Möglichkeiten zahlen, den Rest trägt dann die öffentliche Hand. Sind also die beiden Kinder beispielweise nur in der Lage, Unterhaltszahlungen in Höhe von 600 Euro zu bestreiten, übernimmt die zuständige Verwaltung die restlichen 200 Euro.
Wie sich Kinder schützen
Was verringert das einsetzbare Einkommen?
Grundsätzlich sollten gegenüber den Behörden alle Zahlungsverpflichtungen genannt werden. Anerkannt werden zum Beispiel Ratenzahlungen für laufende Kredite, der Unterhalt und die Betreuungskosten für die eigenen Kinder – auch abhängig vom Alter und Einkommen der Kinder - sowie berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von fünf Prozent des Nettoeinkommens.
Ein wichtiger abzugsfähiger Posten ist die private Altersvorsorge. Grundsätzlich dürfen auch hier fünf Prozent des Bruttolohns für privates Vorsorgesparen aufgewendet werden. Selbstständige, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, können Vorsorgeaufwendungen von bis zu 25 Prozent der Bruttoeinkünfte geltend machen.
Womit die private Altersvorsorge aufgebaut wird, spielt grundsätzlich keine Rolle. Eine Sammlung von Goldmünzen wird ebenso akzeptiert wie das Wertpapierdepot oder ein Riester-Vertrag. Wichtig ist, das erkennbar gespart und Vermögen aufgebaut wird, das zu Absicherung im Alter dient. Große Summen auf dem Girokonto sind dazu eher nicht geeignet.
Für die Anerkennung der privaten Altersvorsorge gibt es auch keine absolute Obergrenze. Wer mehr als die Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Rentenversicherung verdient – also derzeit mehr als knapp 70.000 Euro im Jahr – darf auch deutlich mehr als die veranschlagten fünf Prozent vom Bruttoeinkommen in die private Vorsorge stecken, ohne das das Geld für Unterhaltszahlungen herangezogen werden kann. Denn für den über die Bemessungsgrenze hinausgehenden Einkommensanteil dürfen Unterhaltspflichtige neben den fünf Prozent zusätzlich Sparraten in Höhe des Rentenbeitragssatzes von 18,9 Prozent ansparen. Wer mehr verdient, darf auch deutlich mehr für die private Altersvorsorge aufwenden“, erklärt Fromherz.
Was erhöht das einsetzbare Einkommen?
Neben den Zahlungsverpflichtungen werden bei der Unterhaltsberechnung aber auch zusätzliche Einkünfte berücksichtigt. Das können zum Beispiel Steuererstattungen, Erträge aus Geldanlagen oder aus der Vermietung einer Immobilie sein. Auch das Bewohnen einer eigenen Immobilie erhöht rechnerisch das bereinigte Nettoeinkommen, da mietfreies Wohnen als Einkommensvorteil gewertet wird. Bei Alleinstehenden werden dafür 450 Euro auf das Einkommen aufgeschlagen, bei Ehepaaren sind es 800 Euro.
Wann müssen Unterhaltspflichtige bestehendes Vermögen auflösen?
Die größte Befürchtung der Unterhaltspflichtigen ist immer wieder Gegenstand von Gerichtsverhandlungen: Müssen Vermögenswerte zugunsten der Unterhaltspflicht geopfert werden? Nach Aussage von Anwälten ist dies eher selten der Fall, da das sogenannte Schonvermögen von den Gerichten und Behörden regelmäßig großzügig bemessen wird. Sozialämter akzeptieren zum Beispiel eine eiserne Reserve von 10.000 Euro für unerwartet auftretende Kosten wie zum Beispiel den Ersatz des kaputten Autos.
Das Altersvorsorgevermögen mit Sparbeiträgen wie oben geschildert ist für alle Berufsjahre gerechnet auf jeden Fall geschützt. Als Faustregel gilt, dass ein Vermögen bis 100.000 Euro nicht angetastet werden muss.
Auch die selbstbewohnte Immobilie ist geschützt, sofern sie noch als angemessen anzusehen ist. Wer eine Luxusvilla mit 300 Quadratmetern Wohnfläche bewohnt, muss damit rechnen, dass Ämter das als nicht mehr angemessen bewerten. In den allermeisten Fälle steht das Eigenheim aber nicht zur Disposition.