Erbschaftsstreit Wenn das Erbe aus Familien Feinde macht

Übers Erben wird in Deutschland nicht gern gesprochen. Die Autorin und Journalistin Julia Friedrichs tut es trotzdem. Die Ergebnisse ihrer Recherche hinterlassen ein unbehagliches Gefühl.

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Zankapfel Erbe - die größten Fallstricke
Emotional überfordertWenn Partner oder Eltern sterben, ist das eine hohe emotionale Belastung. Aber auch eine große Erbschaft kann auf die Psyche schlagen. Das kann sich unterschiedlich auswirken. Nicht selten rutschen die Erben ab oder schlagen über die Stränge. Das Ergebnis ist dasselbe: Das Erbe wird verprasst, für Autos, Reisen, Partys. Mit entsprechenden Regelungen – etwas einer Dauertestamentsvollstreckung mit monatlichen Auszahlungen – kann dem entgegengewirkt werden. Quelle: dpa
Kein TestamentLiegt kein schriftliches und unterschriebenes Testament vor, gilt die gesetzliche Erbfolge – auch wenn der Erblasser mündlich einen anderen letzten Willen ausgesprochen hat. Stirbt ein Ehepartner, erbt der überlebende Partner. Gibt es Kinder, egal ob ehelich oder unehelich, bekommt der Ehepartner 50 Prozent und die Kinder teilen sich die verbleibenden 50 Prozent. Quelle: dpa
Langfristige BindungDas Berliner Testament ist beliebt und weit verbreitet. Doch es hat seine Tücken, denn es zementiert eine einmal getroffene Regelung. Bei dieser Testamentsform, setzen sich Eheleute gegenseitig als Alleinerben ein. Erst wenn beide tot sind, erben die Kinder. Diese Quote kann ein überlebender Elternteil im Nachhinein nicht verändern. Es sei denn, es gibt eine Klausel, die dies erlaubt. Ein neues Testament des länger Lebenden gilt nicht - das Berliner Testament geht immer vor. Quelle: dpa
Pflichtteilsstrafklausel und Jastrow’schen KlauselHat nun ein Ehepaar ein solches Berliner Testament und ein Ehepartner verstirbt, ist der Überlebende Partner erst einmal Alleinerbe. Steckt nun das ganze Vermögen des Paares in einem Grundstück mit Häuschen und die Kinder fordern ihren Pflichtteil, muss der überlebende Partner Haus und Hof verkaufen, um die Kinder auszubezahlen. Verhindern lässt sich solch ein Fall mittels der Pflichtteilsstrafklausel im Testament. Dabei verfügt das Paar, dass ein Kind, das beim Tod des ersten Elternteils seinen Pflichtteil einfordert, beim Tod des zweiten Elternteils enterbt ist. Wer also jetzt gierig ist und beispielsweise die Mutter zum Verkauf des Häuschens zwingt, soll bei deren Tod leer ausgehen. Im Falle der Jastrow’schen Klausel ist das Prinzip umgekehrt: Es droht also keine Strafe für Gierige, sondern eine Belohnung für Geduldige. Verzichtet ein Kind auf seinen Pflichtteil, wenn Vater oder Mutter sterben, bekommt das Kind beim Tod des anderen Elternteils quasi eine Bonuszahlung. Quelle: dpa
EnterbenDas eigene Kind vollständig zu enterben - ihm also auch den Pflichtteil zu verwehren, ist nur möglich, wenn - der Erbnehmer versucht hat, den Erblasser oder ein anderes Familienmitglied schwer zu verletzen oder zu töten - der Erbnehmer ein Verbrechen begangen hat, das mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung geahndet wurde und es für den Erblasser unzumutbar wird, seinen Nachlass - mit dieser Person zu teilen - wenn der Erbnehmer eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser böswillig verletzte Quelle: dpa
Fehlerhaftes TestamentDer letzte Wille ist oft falsch oder missverständlich formuliert. Immerhin ein Drittel der Deutschen hat in einer Studie angegeben, sich mit Begriffen wie „gesetzlicher Erbfolge“ oder „Pflichtteil“ nicht auszukennen. Juristische Begriffe werden deshalb in Testamenten oft falsch verwendet oder verwechselt. Häufig sind sie deshalb so geschrieben, dass Fachleute sie auslegen müssen. Die Folge: Der letzte Wille ist nicht so umsetzbar, wie vom Erblasser gewollt. Quelle: dpa
Erbschaftssteuer nicht eingeplantNächste Angehörige – das sind Ehepartner, Kinder und Enkel – haben Freibeträge. Ehepartner erben 500.000 Euro steuerfrei, Kinder immerhin noch 400.000 Euro und Enkel 200.000 Euro. Erst wenn die Erbschaft diese übertrifft, greift der Fiskus zu. Doch häufig ist für die fällig werdende Erbschaftssteuer nicht genügend Geld auf dem Konto. Besteht ein Begünstigter auf schnelle Auszahlung, müssen Immobilien, Wertpapiere oder Kunstgegenstände veräußert werden. Quelle: dpa

Eine gewaltige Erbschaftswelle rollt auf Deutschland zu: Zwischen zwei und vier Billionen Euro werden in den nächsten Jahren den Besitzer wechseln. Das Erbe der Wirtschaftswundergeneration wird weitergereicht. Es entsteht die reichste Erbengeneration aller Zeiten. Doch die Erbschaften sind ausgesprochen ungleich verteilt. Hinter den objektiven Zahlen verbirgt sich eine gigantische Unwucht. Denn einige wenige erben riesige Vermögen, viele nur überschaubare Beträge, und ein großer Teil - etwa die Hälfte der Bevölkerung - wird überhaupt nichts erben, vor allem im Osten.

Julia Friedrichs (35) veranschaulicht die Ungleichheit der Vermögen in ihrem Buch „Wir Erben“ an einem plastischen Beispiel: Auf einer Party werden zehn Kekse per Los an Kinder verteilt. Das erste Kind darf sich allein sechs Kekse nehmen - es steht für den reichsten Teil der Bevölkerung. Die Kinder mit den schlechten Losnummern sechs bis zehn bekommen nur ein Zehntel des letzten Kekses. Was wird aus einem Land, in dem ein Großteil des Reichtums vererbt wird? Widerspricht solch mühelos erlangtes Vermögen, das allein dem Zufall der Geburt entspringt, nicht dem Leistungsgedanken, einem Fundament unserer Demokratie? Sind wir auf dem besten Weg in einen „feudalistischen Kapitalismus“? Und droht eine solche Erbengesellschaft nicht zu erstarren, ihren Ansporn und ihre Vitalität zu verlieren? Das sind brennende Fragen, die eigentlich alle angehen.

Umso erstaunlicher ist, dass über das Erben in der Öffentlichkeit nicht gerne gesprochen wird. Es ist ein heißes Eisen. Das wird Julia Friedrichs bei ihrer zweijährigen Recherche immer wieder klar. Die Journalistin kennt sich aus. Vor ein paar Jahren schrieb sie ein Buch über die Elite, die Mächtigen von morgen. Schon da machte sie die Erfahrung, dass Reichtum im Gegensatz zu Armut in Deutschland kaum erfasst ist, sondern sich die wirklich Vermögenden von der Allgemeinheit abschotten. Bei ihrem Versuch, mit reichen Erben in Kontakt zu kommen, sammelt Friedrichs reihenweise Absagen.

Wie Betriebsnachfolger ihren Steuervorteil selbst berechnen können

Einer der wenigen, die sich stellen, ist Roger Klüh, Sohn des millionenschweren Düsseldorfer Multidienstleisters Josef Klüh. Der Junior war als Teenager mal mit Stéphanie von Monaco liiert, arbeitete jahrelang in der Firma seines Vaters mit, jetzt macht er etwas Eigenes: Er will mit seinem Speedboot einen neuen Rekord aufstellen. Das ist sein Lebensprojekt.

Sinnstiftung scheint ein Hauptproblem reicher Erben zu sein. Viele werden von den Eltern instrumentalisiert, stehen ein Leben lang in deren Schatten, einige zerbrechen daran, wie Friedrichs überzeugend am eher deprimierenden Schicksal des Rockefeller-Clans zeigt. Ein Mann wie der dm-Drogeriemarktunternehmer Götz Werner hat deshalb dem Dynastiegedanken abgeschworen. Seine Kinder bekommen nur einen Bruchteil seines Vermögens, das meiste ging in eine Stiftung. Doch eine solche Haltung ist sehr selten.

Fast alle Eltern wollen ihr Vermögen möglichst ungeschmälert an den Nachwuchs weitergeben - und wenig Steuern zahlen. Die Erbschaftssteuer ist auch bei weniger Vermögenden unpopulär, ein Grund, warum sich die Parteien nicht richtig daran trauen, obwohl sie die Schieflage sehr wohl erkennen. Erben verändert Menschen. Das zeigt Friedrichs in vielen eindrucksvollen Porträts.

Manchen hilft es in einer schwierigen Situation, sie gewinnen Freiheit. Viele aber entzweit es auch, manchmal gehen die erbitterten Streitigkeiten bis zum Mord. Erben verändert aber auch die Gesellschaft. Und nicht unbedingt zum Guten. Der Ausblick auf eine Rentiersgesellschaft, in der ein Teil der Jugend durch die „fütternde Hand“ der Alten lebt, während die anderen sich so durchwursteln, ist nicht besonders prickelnd. Friedrichs Buch ist eine Aufforderung, dieser Entwicklung gegenzusteuern. Man muss es nur wollen.

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